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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Mützen und rothen Nasen auf dem Parketboden ihrer Stuben sitzen, wie sie mit
schmuzigen Taschenmessern in die Holztäfelung einschneiden: Jakob Kiolbassa devil,
oder Michel Mros keen; wie sie aus kleinen Pfeifen die schlechteste Tabakasche auf
die Teppiche ausschütten; wie sie mit einer alten Schere, die sonst zum Stutzen
der Anudeohren gebraucht wurde, die ältesten Adelsbriefe zu FidibuS zerschneiden,
und, den glimmenden Fidibus im Kreise herumreichend, ein schamloses: "Stirbt
der Fuchs, so gilt der Balg" spielen. Sie sehen noch immer halbnacktes Pro¬
letariervolk über ihren großen Geldsäcken kauern, und mit den blutrothen Fäusten
in ihrem Golde wühlen, während sie selbst erdolcht, mit aufgenommenen Herzen,
als unansehnliches Bündel in einer Ecke liegen. Sie sehen noch immer die Ruhe
ihres Lebens, die Sicherheit ihrer Familie, das Gedeihen ihres Geschäftes ab¬
hängig von einer.Negierung, welche alle Opposition mit allen Mitteln nicderhält;
sie huldigten früher dem Liberalismus aus Schwäche, jetzt sind sie aus Schwäche
dem Constableriömus verfallen. Viele von ihnen find schwerlich zu heilen. Sie
wollen sich den Himmel nicht mehr denken ohne Gendarmen, und sehen in ihren
Träumen Se. Petrum im Helm eines Constablers mit strammen Schritten an
der Himmelsthür auf- und abgehen, und den Erzengel Michael in der schönen
Uniform Hinkeldey's die Teufel wegen mangelhafter Loyalität hinauswerfen.

Ach, aber das Uebel geht noch höher! Selbst die Kreise der vornehmsten
Herren Beamten, in welchen die großen Staatsgeschäfte gemacht werden, zählen
in manchen Staaten Deutschlands von der Unpäßlichkeit angegriffene Charaktere.
Da ist z. B., ein ansehnlicher Staat: Preußen. Es soll hier nichts Nachtheiliges von der
Politik und den Regierungsgrundsätzen seines Premierministers gesagt werden,
durchaus Nichts. Aber der Schreiber dieses Artikels hofft den Ton achtungs¬
voller Besprechung nichts zu verlassen, wenn er die leise Befürchtung ausspricht,
daß auch dieser Herr trotz der Energie, Konsequenz und constitutionellen Weisheit,
welche ihn auszeichnen, in dringender Gefahr sei, zuweilen ein wenig mehr Con-
stabler, als Minister zu sein.

Rühren wir nicht alte Geschichten auf! Die Dankbarkeit für den Vertrag
mit Hannover, der eine brave That war, hält uoH vor. Aber da sehen wir in
der Nahe des Münsters ein anderes betrübendes Beispiel menschlicher Hinfällig-
l keit und schweren Leidens.

Um das Jahr 184-8 schwamm auf den trägen Fluthen des Danziger Bür-
gerthums eine kleine, allerliebste Zeitschrift umher, das "Dampfboot" genannt.
Es war kein schweres, aber ein behendes Fahrzeug, sein Capitain war ein Herr
Quedl. Der Styl dieses Redacteurs zeichnete sich, wenn die Erinnerung nicht
täuscht, durch einen gewissen liberalen Schwung ans, er kämpfte mit Feuer so-
wol für die großen weltgeschichtlichen Probleme gegen den beschränkten Unter¬
thanenverstand der damaligen Negierung, als gegen das massenhafte Umherlaufen
der Danziger Hunde und die Uebergriffe der Obstfrauen. Kurz, es war ein ge-


Mützen und rothen Nasen auf dem Parketboden ihrer Stuben sitzen, wie sie mit
schmuzigen Taschenmessern in die Holztäfelung einschneiden: Jakob Kiolbassa devil,
oder Michel Mros keen; wie sie aus kleinen Pfeifen die schlechteste Tabakasche auf
die Teppiche ausschütten; wie sie mit einer alten Schere, die sonst zum Stutzen
der Anudeohren gebraucht wurde, die ältesten Adelsbriefe zu FidibuS zerschneiden,
und, den glimmenden Fidibus im Kreise herumreichend, ein schamloses: „Stirbt
der Fuchs, so gilt der Balg" spielen. Sie sehen noch immer halbnacktes Pro¬
letariervolk über ihren großen Geldsäcken kauern, und mit den blutrothen Fäusten
in ihrem Golde wühlen, während sie selbst erdolcht, mit aufgenommenen Herzen,
als unansehnliches Bündel in einer Ecke liegen. Sie sehen noch immer die Ruhe
ihres Lebens, die Sicherheit ihrer Familie, das Gedeihen ihres Geschäftes ab¬
hängig von einer.Negierung, welche alle Opposition mit allen Mitteln nicderhält;
sie huldigten früher dem Liberalismus aus Schwäche, jetzt sind sie aus Schwäche
dem Constableriömus verfallen. Viele von ihnen find schwerlich zu heilen. Sie
wollen sich den Himmel nicht mehr denken ohne Gendarmen, und sehen in ihren
Träumen Se. Petrum im Helm eines Constablers mit strammen Schritten an
der Himmelsthür auf- und abgehen, und den Erzengel Michael in der schönen
Uniform Hinkeldey's die Teufel wegen mangelhafter Loyalität hinauswerfen.

Ach, aber das Uebel geht noch höher! Selbst die Kreise der vornehmsten
Herren Beamten, in welchen die großen Staatsgeschäfte gemacht werden, zählen
in manchen Staaten Deutschlands von der Unpäßlichkeit angegriffene Charaktere.
Da ist z. B., ein ansehnlicher Staat: Preußen. Es soll hier nichts Nachtheiliges von der
Politik und den Regierungsgrundsätzen seines Premierministers gesagt werden,
durchaus Nichts. Aber der Schreiber dieses Artikels hofft den Ton achtungs¬
voller Besprechung nichts zu verlassen, wenn er die leise Befürchtung ausspricht,
daß auch dieser Herr trotz der Energie, Konsequenz und constitutionellen Weisheit,
welche ihn auszeichnen, in dringender Gefahr sei, zuweilen ein wenig mehr Con-
stabler, als Minister zu sein.

Rühren wir nicht alte Geschichten auf! Die Dankbarkeit für den Vertrag
mit Hannover, der eine brave That war, hält uoH vor. Aber da sehen wir in
der Nahe des Münsters ein anderes betrübendes Beispiel menschlicher Hinfällig-
l keit und schweren Leidens.

Um das Jahr 184-8 schwamm auf den trägen Fluthen des Danziger Bür-
gerthums eine kleine, allerliebste Zeitschrift umher, das „Dampfboot" genannt.
Es war kein schweres, aber ein behendes Fahrzeug, sein Capitain war ein Herr
Quedl. Der Styl dieses Redacteurs zeichnete sich, wenn die Erinnerung nicht
täuscht, durch einen gewissen liberalen Schwung ans, er kämpfte mit Feuer so-
wol für die großen weltgeschichtlichen Probleme gegen den beschränkten Unter¬
thanenverstand der damaligen Negierung, als gegen das massenhafte Umherlaufen
der Danziger Hunde und die Uebergriffe der Obstfrauen. Kurz, es war ein ge-


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[0322] Mützen und rothen Nasen auf dem Parketboden ihrer Stuben sitzen, wie sie mit schmuzigen Taschenmessern in die Holztäfelung einschneiden: Jakob Kiolbassa devil, oder Michel Mros keen; wie sie aus kleinen Pfeifen die schlechteste Tabakasche auf die Teppiche ausschütten; wie sie mit einer alten Schere, die sonst zum Stutzen der Anudeohren gebraucht wurde, die ältesten Adelsbriefe zu FidibuS zerschneiden, und, den glimmenden Fidibus im Kreise herumreichend, ein schamloses: „Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg" spielen. Sie sehen noch immer halbnacktes Pro¬ letariervolk über ihren großen Geldsäcken kauern, und mit den blutrothen Fäusten in ihrem Golde wühlen, während sie selbst erdolcht, mit aufgenommenen Herzen, als unansehnliches Bündel in einer Ecke liegen. Sie sehen noch immer die Ruhe ihres Lebens, die Sicherheit ihrer Familie, das Gedeihen ihres Geschäftes ab¬ hängig von einer.Negierung, welche alle Opposition mit allen Mitteln nicderhält; sie huldigten früher dem Liberalismus aus Schwäche, jetzt sind sie aus Schwäche dem Constableriömus verfallen. Viele von ihnen find schwerlich zu heilen. Sie wollen sich den Himmel nicht mehr denken ohne Gendarmen, und sehen in ihren Träumen Se. Petrum im Helm eines Constablers mit strammen Schritten an der Himmelsthür auf- und abgehen, und den Erzengel Michael in der schönen Uniform Hinkeldey's die Teufel wegen mangelhafter Loyalität hinauswerfen. Ach, aber das Uebel geht noch höher! Selbst die Kreise der vornehmsten Herren Beamten, in welchen die großen Staatsgeschäfte gemacht werden, zählen in manchen Staaten Deutschlands von der Unpäßlichkeit angegriffene Charaktere. Da ist z. B., ein ansehnlicher Staat: Preußen. Es soll hier nichts Nachtheiliges von der Politik und den Regierungsgrundsätzen seines Premierministers gesagt werden, durchaus Nichts. Aber der Schreiber dieses Artikels hofft den Ton achtungs¬ voller Besprechung nichts zu verlassen, wenn er die leise Befürchtung ausspricht, daß auch dieser Herr trotz der Energie, Konsequenz und constitutionellen Weisheit, welche ihn auszeichnen, in dringender Gefahr sei, zuweilen ein wenig mehr Con- stabler, als Minister zu sein. Rühren wir nicht alte Geschichten auf! Die Dankbarkeit für den Vertrag mit Hannover, der eine brave That war, hält uoH vor. Aber da sehen wir in der Nahe des Münsters ein anderes betrübendes Beispiel menschlicher Hinfällig- l keit und schweren Leidens. Um das Jahr 184-8 schwamm auf den trägen Fluthen des Danziger Bür- gerthums eine kleine, allerliebste Zeitschrift umher, das „Dampfboot" genannt. Es war kein schweres, aber ein behendes Fahrzeug, sein Capitain war ein Herr Quedl. Der Styl dieses Redacteurs zeichnete sich, wenn die Erinnerung nicht täuscht, durch einen gewissen liberalen Schwung ans, er kämpfte mit Feuer so- wol für die großen weltgeschichtlichen Probleme gegen den beschränkten Unter¬ thanenverstand der damaligen Negierung, als gegen das massenhafte Umherlaufen der Danziger Hunde und die Uebergriffe der Obstfrauen. Kurz, es war ein ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/322>, abgerufen am 17.06.2024.