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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Denn compromittirt er nicht durch solche Projecte das Ministerium, welches die¬
selben zu seinen eigenen macht? Von dem Ministerium selbst kann man natürlich
nicht verlangen, daß es die Wirkungen seiner Gesetzvorschläge im Voraus
übersehen soll, aber der Proponent müßte sie doch übersehen. Und siehe, da er¬
hebt sich in der Tagespreise von allen Seiten die Behauptung, daß derselbe treu-
herzige Mann, Herr Quedl, auch diesen unförmliche" und ganz nnpreußischen
Steuersatz den Ministern gerathen habe. Wenn das ist, so betrachtet Schreiber
dieses denselben als einen verlorenen Menschen, dessen Beruf fortan nnr sein kann,
in dem Schrein der Geschichte als pathologische Merkwürdigkeit aufbewahrt zu
werden. Der bravste, liebenswürdigste Mensch und Redacteur wäre in diesem
Fall für die Welt verloren. Freilich ließe sich gar nicht sagen, was er noch Alles
angeben mag. Jetzt werden in Preußen Pairs, gemacht, darunter auch solche
auf Lebenszeit, welche vielleicht auch absetzbar sein sollen, man weiß das noch nicht recht.
Wer steht uns denn dafür, daß nicht in der Zukunft, wenn gerade einmal die Majestät
mit dem Ministerpräsidenten verreist ist, unser armer Herr Quedl so ein SO Stück
Constablers als Pairs einkleiden und einschwören läßt, und ihnen die Revenuen des
Motteufestes und der Baumblüthe von Pankow u. s. w. als Dotation zuweist?

Das Aergste aber ist, ernsthaft zu reden, daß auch bedeutende Meuscheu, Staats¬
männer und öffentliche Charaktere in hohen Stellungen in Deutschland an einer Em¬
pfindlichkeit und Reizbarkeit leiden, welche ihrer selbst sehr unwürdig ist. Jede Oppo¬
sition erbittert sie; jeder kleine schlechte Witz, welcher ihre bekannte Persönlichkeit
benutzt, um sich an ihr zu Präsentiren, empört und ärgert sie; jeder Augriff
durch die Presse und die Kammern regt sie ans, und vernichtet ihre Verdauung,
ihre Laune, ja ihren Glauben an die Menschheit. Das ist ein schmerzliches
Zeichen von ihrer eigenen innern Unsicherheit, von Mangel an Selbstgefühl und
Mangel an sittlicher Kraft. Wer durch jeden Zeitungsangriff, durch jede spitze
Bemerkung eines parlamentarischen Gegners zum Haß und zu Verfolgungen gegen
die'Presse und die Parteien seiner Gegner getrieben wird, der mag immerhin
im Privatleben ein gutmüthiger humaner Mensch sein, ein gebildeter Staatsmann
und ein Mann von Charakter ist er nicht.

Warum ist Louis Napoleon der Empfindlichste aller Empfindlichen? Weil er
sich am wenigsten sicher fühlt, und am lebhaftesten das Gefühl des innern Un¬
behagens hat. Wir aber, das Volk, beurtheilen das gute Gewisse" und die
Charakterfestigkeit unsrer Staatsmänner zumeist nach der größern oder geringern
Gemüthsruhe, welche sie den Angriffen ihrer Gegner gegenüberstellen; je ruhiger,
heiterer, würdiger ein Mann die Angriffe erträgt, je mäßiger und schonender er sie
parirt, desto mehr sind wir geneigt ihm zu vertrauen. --Wer aber gereizt auf¬
kocht und im Zorn sich verleiten läßt seine Gewalt zu mißbrauchen, dem ist unmöglich
zu vertrauen. Und deshalb sei zum Schluß an unsre politischen Erhalter die artige
und bescheidene Bitte gerichtet, sie möchten die Anlage zum Constablerthum, die


Denn compromittirt er nicht durch solche Projecte das Ministerium, welches die¬
selben zu seinen eigenen macht? Von dem Ministerium selbst kann man natürlich
nicht verlangen, daß es die Wirkungen seiner Gesetzvorschläge im Voraus
übersehen soll, aber der Proponent müßte sie doch übersehen. Und siehe, da er¬
hebt sich in der Tagespreise von allen Seiten die Behauptung, daß derselbe treu-
herzige Mann, Herr Quedl, auch diesen unförmliche« und ganz nnpreußischen
Steuersatz den Ministern gerathen habe. Wenn das ist, so betrachtet Schreiber
dieses denselben als einen verlorenen Menschen, dessen Beruf fortan nnr sein kann,
in dem Schrein der Geschichte als pathologische Merkwürdigkeit aufbewahrt zu
werden. Der bravste, liebenswürdigste Mensch und Redacteur wäre in diesem
Fall für die Welt verloren. Freilich ließe sich gar nicht sagen, was er noch Alles
angeben mag. Jetzt werden in Preußen Pairs, gemacht, darunter auch solche
auf Lebenszeit, welche vielleicht auch absetzbar sein sollen, man weiß das noch nicht recht.
Wer steht uns denn dafür, daß nicht in der Zukunft, wenn gerade einmal die Majestät
mit dem Ministerpräsidenten verreist ist, unser armer Herr Quedl so ein SO Stück
Constablers als Pairs einkleiden und einschwören läßt, und ihnen die Revenuen des
Motteufestes und der Baumblüthe von Pankow u. s. w. als Dotation zuweist?

Das Aergste aber ist, ernsthaft zu reden, daß auch bedeutende Meuscheu, Staats¬
männer und öffentliche Charaktere in hohen Stellungen in Deutschland an einer Em¬
pfindlichkeit und Reizbarkeit leiden, welche ihrer selbst sehr unwürdig ist. Jede Oppo¬
sition erbittert sie; jeder kleine schlechte Witz, welcher ihre bekannte Persönlichkeit
benutzt, um sich an ihr zu Präsentiren, empört und ärgert sie; jeder Augriff
durch die Presse und die Kammern regt sie ans, und vernichtet ihre Verdauung,
ihre Laune, ja ihren Glauben an die Menschheit. Das ist ein schmerzliches
Zeichen von ihrer eigenen innern Unsicherheit, von Mangel an Selbstgefühl und
Mangel an sittlicher Kraft. Wer durch jeden Zeitungsangriff, durch jede spitze
Bemerkung eines parlamentarischen Gegners zum Haß und zu Verfolgungen gegen
die'Presse und die Parteien seiner Gegner getrieben wird, der mag immerhin
im Privatleben ein gutmüthiger humaner Mensch sein, ein gebildeter Staatsmann
und ein Mann von Charakter ist er nicht.

Warum ist Louis Napoleon der Empfindlichste aller Empfindlichen? Weil er
sich am wenigsten sicher fühlt, und am lebhaftesten das Gefühl des innern Un¬
behagens hat. Wir aber, das Volk, beurtheilen das gute Gewisse« und die
Charakterfestigkeit unsrer Staatsmänner zumeist nach der größern oder geringern
Gemüthsruhe, welche sie den Angriffen ihrer Gegner gegenüberstellen; je ruhiger,
heiterer, würdiger ein Mann die Angriffe erträgt, je mäßiger und schonender er sie
parirt, desto mehr sind wir geneigt ihm zu vertrauen. —Wer aber gereizt auf¬
kocht und im Zorn sich verleiten läßt seine Gewalt zu mißbrauchen, dem ist unmöglich
zu vertrauen. Und deshalb sei zum Schluß an unsre politischen Erhalter die artige
und bescheidene Bitte gerichtet, sie möchten die Anlage zum Constablerthum, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/324>, abgerufen am 12.05.2024.