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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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rische Stellung charakteristisch sind. Die Biographie von Hitzig ist musterhaft und
völlig erschöpfend. Hitzig verschweigt keine von den kleinen Schwächen und von
den schlimmeren Verirrungen seines Freundes, aber sie sind alle so in das Ge-
sammtl'lib verwebt und dieses mit so viel Wärme und guter Laune ausgeführt,
daß wir nicht uur für einzelne hervorragende Seiten des Dichters, sondern für
den ganzen Menschen die wärmste Theilnahme empfinden.

1776 zu Königsberg geboren, hätte er als Student Gelegenheit gehabt, sich
die Kant'sche Philosophie, die dort neben ihrer welthistorischen Bedeutuug
noch ein gemüthliches Interesse hatte, mit demselben Eifer anzueignen, der da¬
mals bei weitem die meisten strebsamen Geister erfüllte. Er hat sich aber weder
mit philosophischen, noch mit humanistischen Studien beschäftigt, er hat sich streng
auf die juristische Disciplin eingeschränkt, um durch sie seinen Lebensunterhalt zu
gewinnen, während seine Liebe sich ganz und gar ans Musik und Malerei con-
centrirte. Auch die beiden anderen berühmten Schriftsteller seiner Heimath, Hippel
und Hamann, haben aus seine Bildung keinen Einfluß gehabt, obgleich in den
Schriften des Ersten sich manche Seite hätte finden lassen, die mit seinem Wesen
in Einklang stand. Aber es fehlte Hippel jene Innigkeit, deren ein junges un¬
verdorbenes Herz bedarf. Hoffmann wurde daher ganz von Jean Paul gefesselt,
und die Fragmente seiner ersten schriftstellerischen Versuche aus den Studenten-
jahren sind der Form wie dem Inhalt nach ganz im Sinne dieses Dichters.
Auch das Verhältniß zu seinem Freund Hippel, dem Neffen des Dichters, hatte
etwas Jean Paulisches, und würde durch die Ueberschwänglichkeit seines Ausdrucks
zuweilen den Verdacht erregen, als hätte dabei etwas Anempfindung mitgespielt,
wenn es nicht in gleicher Stärke und Innigkeit bis an sein Lebensende gedauert
hätte. Gleichzeitig mit dieser leidenschaftlichen Freundschaft trat ein leidenschaft¬
liches Liebesverhältniß ein, und es dürfte Manches in seinem poetischen Schaffen
erklären, wenn man erwägt, daß ihn seine Natur zur höchsten Leidenschaft und
Extravaganz der Empfindung trieb, während er in seiner Persönlichkeit nicht die
mindesten Requisiten zu einem tüchtigen Romanhelden vorfand. Auf die Augenblicke
der Leidenschaft folgten daher immer Augenblicke der Reflexion, in denen er sein
eigenes Wesen ironisirte, und dieser Wechsel der Stimmungen ging so rasch und
so häufig vor sich, daß man die Poesie des Contrastes, welche die neueren Dichter
durch künstliche Anstrengung hervorrufen, bei ihm als den Ausdruck eigenster
Natur betrachten muß.

Dem Sturm seiner Empfindungen entzog er sich durch eine angestrengte
geschäftliche Thätigkeit. In seinen Briefen geht die Mischung von Humor und
Schwärmerei fort; in seinen juristischen Arbeiten dagegen waltet der klare, ge¬
ordnete Verstand. In seinem Leben finden wir zunächst keine bedeutenden Ereig¬
nisse, bis er nach Ablegung des dritten Examens im Jahre 1800 als Assessor
nach Posen versetzt wurde. ,Die Aeltern hatte er in dieser Zeit verloren; sein


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rische Stellung charakteristisch sind. Die Biographie von Hitzig ist musterhaft und
völlig erschöpfend. Hitzig verschweigt keine von den kleinen Schwächen und von
den schlimmeren Verirrungen seines Freundes, aber sie sind alle so in das Ge-
sammtl'lib verwebt und dieses mit so viel Wärme und guter Laune ausgeführt,
daß wir nicht uur für einzelne hervorragende Seiten des Dichters, sondern für
den ganzen Menschen die wärmste Theilnahme empfinden.

1776 zu Königsberg geboren, hätte er als Student Gelegenheit gehabt, sich
die Kant'sche Philosophie, die dort neben ihrer welthistorischen Bedeutuug
noch ein gemüthliches Interesse hatte, mit demselben Eifer anzueignen, der da¬
mals bei weitem die meisten strebsamen Geister erfüllte. Er hat sich aber weder
mit philosophischen, noch mit humanistischen Studien beschäftigt, er hat sich streng
auf die juristische Disciplin eingeschränkt, um durch sie seinen Lebensunterhalt zu
gewinnen, während seine Liebe sich ganz und gar ans Musik und Malerei con-
centrirte. Auch die beiden anderen berühmten Schriftsteller seiner Heimath, Hippel
und Hamann, haben aus seine Bildung keinen Einfluß gehabt, obgleich in den
Schriften des Ersten sich manche Seite hätte finden lassen, die mit seinem Wesen
in Einklang stand. Aber es fehlte Hippel jene Innigkeit, deren ein junges un¬
verdorbenes Herz bedarf. Hoffmann wurde daher ganz von Jean Paul gefesselt,
und die Fragmente seiner ersten schriftstellerischen Versuche aus den Studenten-
jahren sind der Form wie dem Inhalt nach ganz im Sinne dieses Dichters.
Auch das Verhältniß zu seinem Freund Hippel, dem Neffen des Dichters, hatte
etwas Jean Paulisches, und würde durch die Ueberschwänglichkeit seines Ausdrucks
zuweilen den Verdacht erregen, als hätte dabei etwas Anempfindung mitgespielt,
wenn es nicht in gleicher Stärke und Innigkeit bis an sein Lebensende gedauert
hätte. Gleichzeitig mit dieser leidenschaftlichen Freundschaft trat ein leidenschaft¬
liches Liebesverhältniß ein, und es dürfte Manches in seinem poetischen Schaffen
erklären, wenn man erwägt, daß ihn seine Natur zur höchsten Leidenschaft und
Extravaganz der Empfindung trieb, während er in seiner Persönlichkeit nicht die
mindesten Requisiten zu einem tüchtigen Romanhelden vorfand. Auf die Augenblicke
der Leidenschaft folgten daher immer Augenblicke der Reflexion, in denen er sein
eigenes Wesen ironisirte, und dieser Wechsel der Stimmungen ging so rasch und
so häufig vor sich, daß man die Poesie des Contrastes, welche die neueren Dichter
durch künstliche Anstrengung hervorrufen, bei ihm als den Ausdruck eigenster
Natur betrachten muß.

Dem Sturm seiner Empfindungen entzog er sich durch eine angestrengte
geschäftliche Thätigkeit. In seinen Briefen geht die Mischung von Humor und
Schwärmerei fort; in seinen juristischen Arbeiten dagegen waltet der klare, ge¬
ordnete Verstand. In seinem Leben finden wir zunächst keine bedeutenden Ereig¬
nisse, bis er nach Ablegung des dritten Examens im Jahre 1800 als Assessor
nach Posen versetzt wurde. ,Die Aeltern hatte er in dieser Zeit verloren; sein


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[0453] rische Stellung charakteristisch sind. Die Biographie von Hitzig ist musterhaft und völlig erschöpfend. Hitzig verschweigt keine von den kleinen Schwächen und von den schlimmeren Verirrungen seines Freundes, aber sie sind alle so in das Ge- sammtl'lib verwebt und dieses mit so viel Wärme und guter Laune ausgeführt, daß wir nicht uur für einzelne hervorragende Seiten des Dichters, sondern für den ganzen Menschen die wärmste Theilnahme empfinden. 1776 zu Königsberg geboren, hätte er als Student Gelegenheit gehabt, sich die Kant'sche Philosophie, die dort neben ihrer welthistorischen Bedeutuug noch ein gemüthliches Interesse hatte, mit demselben Eifer anzueignen, der da¬ mals bei weitem die meisten strebsamen Geister erfüllte. Er hat sich aber weder mit philosophischen, noch mit humanistischen Studien beschäftigt, er hat sich streng auf die juristische Disciplin eingeschränkt, um durch sie seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, während seine Liebe sich ganz und gar ans Musik und Malerei con- centrirte. Auch die beiden anderen berühmten Schriftsteller seiner Heimath, Hippel und Hamann, haben aus seine Bildung keinen Einfluß gehabt, obgleich in den Schriften des Ersten sich manche Seite hätte finden lassen, die mit seinem Wesen in Einklang stand. Aber es fehlte Hippel jene Innigkeit, deren ein junges un¬ verdorbenes Herz bedarf. Hoffmann wurde daher ganz von Jean Paul gefesselt, und die Fragmente seiner ersten schriftstellerischen Versuche aus den Studenten- jahren sind der Form wie dem Inhalt nach ganz im Sinne dieses Dichters. Auch das Verhältniß zu seinem Freund Hippel, dem Neffen des Dichters, hatte etwas Jean Paulisches, und würde durch die Ueberschwänglichkeit seines Ausdrucks zuweilen den Verdacht erregen, als hätte dabei etwas Anempfindung mitgespielt, wenn es nicht in gleicher Stärke und Innigkeit bis an sein Lebensende gedauert hätte. Gleichzeitig mit dieser leidenschaftlichen Freundschaft trat ein leidenschaft¬ liches Liebesverhältniß ein, und es dürfte Manches in seinem poetischen Schaffen erklären, wenn man erwägt, daß ihn seine Natur zur höchsten Leidenschaft und Extravaganz der Empfindung trieb, während er in seiner Persönlichkeit nicht die mindesten Requisiten zu einem tüchtigen Romanhelden vorfand. Auf die Augenblicke der Leidenschaft folgten daher immer Augenblicke der Reflexion, in denen er sein eigenes Wesen ironisirte, und dieser Wechsel der Stimmungen ging so rasch und so häufig vor sich, daß man die Poesie des Contrastes, welche die neueren Dichter durch künstliche Anstrengung hervorrufen, bei ihm als den Ausdruck eigenster Natur betrachten muß. Dem Sturm seiner Empfindungen entzog er sich durch eine angestrengte geschäftliche Thätigkeit. In seinen Briefen geht die Mischung von Humor und Schwärmerei fort; in seinen juristischen Arbeiten dagegen waltet der klare, ge¬ ordnete Verstand. In seinem Leben finden wir zunächst keine bedeutenden Ereig¬ nisse, bis er nach Ablegung des dritten Examens im Jahre 1800 als Assessor nach Posen versetzt wurde. ,Die Aeltern hatte er in dieser Zeit verloren; sein S6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/453>, abgerufen am 27.05.2024.