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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Liebesverhältniß war abgebrochen. In Posen wurde er in eine ganz neue Welt
eingeführt, deren ausschweifende Liederlichkeit nicht ohne Einfluß auf ihn blieb,
und die ihn übermüthig machte, weil er die Überlegenheit seines Geistes über
alle Personen, mit welchen er umging, sich nicht verhehlen konnte. Dieser Ueber¬
muth und die immer mehr hervortretende Neigung zu possenhaften Erfindungen
veranlaßten einen Austritt, der ihm eine vorübergehende Versetzung nach Plock
zuzog. 1803 kam er nach Warschau, wo er die seltsame Mischung des orienta¬
lischen und abendländischen Wesens wie einen Maskenzug für seine Beobachtungen
ausbeutete. Hier fand er Gelegenheit, durch Direction einer Capelle und durch
damit zusammenhängende Arbeiten, z. B. Decorationsmalerei, seine Künste im
Praktischen anzuwenden. Außerdem wurde er mit Zacharias Werner, Hitzig und
Mnioch bekannt und dnrch sie in die Mysterien der romantischen Schule einge¬
weiht, die ihm bis dahin fremd geblieben war und die den gewaltigsten Einfluß
auf ihn ausübte. Vor allen Dingen faßte er eine große Begeisterung für Calde-
ron, den Lieblingsdichter der Schule. -- Dieser entlegene Kreis von Schöngeistern
hielt sich eben so von aller Politik fern, wie seine Vorbilder in Jena und Berlin.
Hoffmann waren von frühester Jugend an Staatsgespräche zuwider gewesen, und
selbst die furchtbaren Erschütterungen des Jahres 1806 waren nicht im Stande,
ihn diesem Jndifferentismus zu entreißen. Man lebte in einer künstlerischen
Traumwelt, oder in den currenten Tagesgeschäften; man las nicht einmal die
Zeitungen. Endlich wurde dieses idyllische Künstlertreiben gewaltsam unterbrochen.
Zuerst rückten die Russen ein, dann die Franzosen. Die preußische Herrschaft
wurde aufgehoben und die preußischen Beamten außer Dienst gesetzt. Hoffmann
ließ sich im Anfang selbst dadurch nicht anfechten. Er betrachtete die fremden
Truppen als ein anmuthiges Schauspiel, aus dem man neuen Stoff für Cari-
caturen nehmen könnte. Endlich trieb ihn 1807 Noth und Sorge nach Berlin,
wo ihm im Anfang Alles mißglückte, bis er endlich im Frühling des folgenden
Jahres vom Grasen Soden einen Ruf als Musikdirector nach Bamberg erhielt.
Obgleich die Truppe, die er zu leiten hatte, ganz wie eine herumziehende Ko¬
mödiantenbande aussah, fand er sich doch in seinem Element, namentlich seitdem
im Anfang des Jahres 1810 durch Holbein's Direction in die Ausführungen
und namentlich in seine Stellung etwas mehr Ordnung und Negel gekommen
war. Schon in Warschau hatte er aus Calderon's Schärpe und Blume" eine
Oper gemacht und Brentano's "lustige Mnstkante.it" componirt. Jetzt war er
unermüdlich in der Erfindung neuer Decorationen und in der Idealisirung des
Theaters. Er betrachtete die Vervollkommnung der Mittel, sowol die Wahr¬
scheinlichkeit, als die poetische Stimmung zu erhöhen, keineswegs mit den Augen
Tieck's, der gern zur Einfachheit des Shakspeare'schen Bretergerüstes zurückge¬
kehrt wäre. Er hielt es vielmehr für angemessen, auch in diesen Äußerlichkeiten
das Höchste zu erreichen, damit die Würdigkeit der Form dem Inhalt entspräche.


Liebesverhältniß war abgebrochen. In Posen wurde er in eine ganz neue Welt
eingeführt, deren ausschweifende Liederlichkeit nicht ohne Einfluß auf ihn blieb,
und die ihn übermüthig machte, weil er die Überlegenheit seines Geistes über
alle Personen, mit welchen er umging, sich nicht verhehlen konnte. Dieser Ueber¬
muth und die immer mehr hervortretende Neigung zu possenhaften Erfindungen
veranlaßten einen Austritt, der ihm eine vorübergehende Versetzung nach Plock
zuzog. 1803 kam er nach Warschau, wo er die seltsame Mischung des orienta¬
lischen und abendländischen Wesens wie einen Maskenzug für seine Beobachtungen
ausbeutete. Hier fand er Gelegenheit, durch Direction einer Capelle und durch
damit zusammenhängende Arbeiten, z. B. Decorationsmalerei, seine Künste im
Praktischen anzuwenden. Außerdem wurde er mit Zacharias Werner, Hitzig und
Mnioch bekannt und dnrch sie in die Mysterien der romantischen Schule einge¬
weiht, die ihm bis dahin fremd geblieben war und die den gewaltigsten Einfluß
auf ihn ausübte. Vor allen Dingen faßte er eine große Begeisterung für Calde-
ron, den Lieblingsdichter der Schule. — Dieser entlegene Kreis von Schöngeistern
hielt sich eben so von aller Politik fern, wie seine Vorbilder in Jena und Berlin.
Hoffmann waren von frühester Jugend an Staatsgespräche zuwider gewesen, und
selbst die furchtbaren Erschütterungen des Jahres 1806 waren nicht im Stande,
ihn diesem Jndifferentismus zu entreißen. Man lebte in einer künstlerischen
Traumwelt, oder in den currenten Tagesgeschäften; man las nicht einmal die
Zeitungen. Endlich wurde dieses idyllische Künstlertreiben gewaltsam unterbrochen.
Zuerst rückten die Russen ein, dann die Franzosen. Die preußische Herrschaft
wurde aufgehoben und die preußischen Beamten außer Dienst gesetzt. Hoffmann
ließ sich im Anfang selbst dadurch nicht anfechten. Er betrachtete die fremden
Truppen als ein anmuthiges Schauspiel, aus dem man neuen Stoff für Cari-
caturen nehmen könnte. Endlich trieb ihn 1807 Noth und Sorge nach Berlin,
wo ihm im Anfang Alles mißglückte, bis er endlich im Frühling des folgenden
Jahres vom Grasen Soden einen Ruf als Musikdirector nach Bamberg erhielt.
Obgleich die Truppe, die er zu leiten hatte, ganz wie eine herumziehende Ko¬
mödiantenbande aussah, fand er sich doch in seinem Element, namentlich seitdem
im Anfang des Jahres 1810 durch Holbein's Direction in die Ausführungen
und namentlich in seine Stellung etwas mehr Ordnung und Negel gekommen
war. Schon in Warschau hatte er aus Calderon's Schärpe und Blume" eine
Oper gemacht und Brentano's „lustige Mnstkante.it" componirt. Jetzt war er
unermüdlich in der Erfindung neuer Decorationen und in der Idealisirung des
Theaters. Er betrachtete die Vervollkommnung der Mittel, sowol die Wahr¬
scheinlichkeit, als die poetische Stimmung zu erhöhen, keineswegs mit den Augen
Tieck's, der gern zur Einfachheit des Shakspeare'schen Bretergerüstes zurückge¬
kehrt wäre. Er hielt es vielmehr für angemessen, auch in diesen Äußerlichkeiten
das Höchste zu erreichen, damit die Würdigkeit der Form dem Inhalt entspräche.


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[0454] Liebesverhältniß war abgebrochen. In Posen wurde er in eine ganz neue Welt eingeführt, deren ausschweifende Liederlichkeit nicht ohne Einfluß auf ihn blieb, und die ihn übermüthig machte, weil er die Überlegenheit seines Geistes über alle Personen, mit welchen er umging, sich nicht verhehlen konnte. Dieser Ueber¬ muth und die immer mehr hervortretende Neigung zu possenhaften Erfindungen veranlaßten einen Austritt, der ihm eine vorübergehende Versetzung nach Plock zuzog. 1803 kam er nach Warschau, wo er die seltsame Mischung des orienta¬ lischen und abendländischen Wesens wie einen Maskenzug für seine Beobachtungen ausbeutete. Hier fand er Gelegenheit, durch Direction einer Capelle und durch damit zusammenhängende Arbeiten, z. B. Decorationsmalerei, seine Künste im Praktischen anzuwenden. Außerdem wurde er mit Zacharias Werner, Hitzig und Mnioch bekannt und dnrch sie in die Mysterien der romantischen Schule einge¬ weiht, die ihm bis dahin fremd geblieben war und die den gewaltigsten Einfluß auf ihn ausübte. Vor allen Dingen faßte er eine große Begeisterung für Calde- ron, den Lieblingsdichter der Schule. — Dieser entlegene Kreis von Schöngeistern hielt sich eben so von aller Politik fern, wie seine Vorbilder in Jena und Berlin. Hoffmann waren von frühester Jugend an Staatsgespräche zuwider gewesen, und selbst die furchtbaren Erschütterungen des Jahres 1806 waren nicht im Stande, ihn diesem Jndifferentismus zu entreißen. Man lebte in einer künstlerischen Traumwelt, oder in den currenten Tagesgeschäften; man las nicht einmal die Zeitungen. Endlich wurde dieses idyllische Künstlertreiben gewaltsam unterbrochen. Zuerst rückten die Russen ein, dann die Franzosen. Die preußische Herrschaft wurde aufgehoben und die preußischen Beamten außer Dienst gesetzt. Hoffmann ließ sich im Anfang selbst dadurch nicht anfechten. Er betrachtete die fremden Truppen als ein anmuthiges Schauspiel, aus dem man neuen Stoff für Cari- caturen nehmen könnte. Endlich trieb ihn 1807 Noth und Sorge nach Berlin, wo ihm im Anfang Alles mißglückte, bis er endlich im Frühling des folgenden Jahres vom Grasen Soden einen Ruf als Musikdirector nach Bamberg erhielt. Obgleich die Truppe, die er zu leiten hatte, ganz wie eine herumziehende Ko¬ mödiantenbande aussah, fand er sich doch in seinem Element, namentlich seitdem im Anfang des Jahres 1810 durch Holbein's Direction in die Ausführungen und namentlich in seine Stellung etwas mehr Ordnung und Negel gekommen war. Schon in Warschau hatte er aus Calderon's Schärpe und Blume" eine Oper gemacht und Brentano's „lustige Mnstkante.it" componirt. Jetzt war er unermüdlich in der Erfindung neuer Decorationen und in der Idealisirung des Theaters. Er betrachtete die Vervollkommnung der Mittel, sowol die Wahr¬ scheinlichkeit, als die poetische Stimmung zu erhöhen, keineswegs mit den Augen Tieck's, der gern zur Einfachheit des Shakspeare'schen Bretergerüstes zurückge¬ kehrt wäre. Er hielt es vielmehr für angemessen, auch in diesen Äußerlichkeiten das Höchste zu erreichen, damit die Würdigkeit der Form dem Inhalt entspräche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/454>, abgerufen am 17.06.2024.