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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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fortfahren, gewisse unbedeutende Striche, Formen und Farben ausschließlich für
schön zu halten, so wird doch die bei weitem größere Anzahl sich dadurch in der
Wahl ihrer Lieblinge nicht beschränken lassen, und das Schöne in seiner Gesammt¬
heit schätzen und bevorzugen, wo und in welcher unendlichen Abwechselung es sich
anch zeigen mag.

Früher war das anders. Man war nur auf wenige Arten beschränkt, an
ihnen vertiefte sich das Interesse leicht bis zur Leidenschaft, und wenn der Zufall
oder außerordentliche Bemühungen um die Vervollkommnung einer einzelnen Pflanze
dieselbe in Ruf gebracht hatten, so daß wie bei der Mode stets der Fall ist, aus¬
gezeichnete oder hochgestellte Personen dieselbe bevorzugten oder pflegten, dann folgte
der große Haufe mit sclavischer Folgsamkeit. Nicht so ist es jetzt. Botanische
Reisende und sammelnde Gärtner durchziehen suchend die Erde nach allen Rich¬
tungen, und bringen von allen Seiten so herrliche neue Blumen, daß wir meinen,
sie wären unübertrefflich, während doch schon das nächste Jahr neue Schätze
entdeckt, welche sie in den Hintergrund stellen. Doch nicht genug, daß neue Blu¬
men entdeckt und aus fremden Ländern eingeführt werden: eine noch größere
Anzahl von Blumen entsteht ans künstlichem Wege, denn seitdem die Gärtner der
Natur das Geheimniß der Pflanzenbefrnchtung abgelauscht haben, ist die Bastar¬
denerzeugung ein besonders einträgliches Geschäft geworden, und diesen schöpferi¬
schen Eingriffen in das. Wirken der Natur verdanken wir die raffinirte Cultur
eigentlicher Modeblnmen. Kaum wird die Verwandtschaft einer neu eingeführten
Pflanze mit einer schon vorhandenen erkannt, so regen sich auch schon hundert
Befruchtungspinsel, welche deu Blumenstaub der eiuen Pflanze auf die andere
übertragen, um alls dem daraus gewonnenen Samen neue Spielarten zu ziehen.
Durch die Befruchtung der erzogenen Bastarde mit anderen Bastarden entstehen
endlich so zahlreiche Mischlinge, daß an eine Uebersicht kaum mehr zu denken ist.
Zum große" Leidwesen der Botaniker sind nur wenige Pflanzenfamilien gegen diese
künstliche Verwirrung gesichert.

Obschon die Modeliebha-berei auch bei deu Blumen bisweilen zur Lächerlich¬
keit und Thorheit geführt hat, so ist doch der Wechsel der Mode sowol, als das
Ansehn, welches sie ihren Lieblingen verleiht, für die Decoration der Gärten von
ungemeinem Nutze", deun ihr verdanken wir den Blumenreichthum unsrer heuti¬
gen Gärten und die außerordentliche Vollkommenheit einzelner Blumengeschlechter.
Ohne eine gewisse Einseitigkeit ist nie Vollkommenes zu erwarten, denn Zersplitterung
der Kräfte führt überall zur Mittelmäßigkeit. Nur dadurch, daß man alle Kraft
und Sorge an die Pflege einer bstimmten Pflanze wendete, war es möglich, ge¬
wisse Arten und Sorten zu der jetzt bewunderten Vollkommenheit zu bringen.

Bevor die verschiedenen Blumen aufgezählt werde", welche uach einander i"
die Mode gekommen sind, sei vor Allem einer Blume gedacht, welche, wenn auch
zu Zeiten vernachlässigt, doch stets in der Mode geblieben ist und es immer blei-


fortfahren, gewisse unbedeutende Striche, Formen und Farben ausschließlich für
schön zu halten, so wird doch die bei weitem größere Anzahl sich dadurch in der
Wahl ihrer Lieblinge nicht beschränken lassen, und das Schöne in seiner Gesammt¬
heit schätzen und bevorzugen, wo und in welcher unendlichen Abwechselung es sich
anch zeigen mag.

Früher war das anders. Man war nur auf wenige Arten beschränkt, an
ihnen vertiefte sich das Interesse leicht bis zur Leidenschaft, und wenn der Zufall
oder außerordentliche Bemühungen um die Vervollkommnung einer einzelnen Pflanze
dieselbe in Ruf gebracht hatten, so daß wie bei der Mode stets der Fall ist, aus¬
gezeichnete oder hochgestellte Personen dieselbe bevorzugten oder pflegten, dann folgte
der große Haufe mit sclavischer Folgsamkeit. Nicht so ist es jetzt. Botanische
Reisende und sammelnde Gärtner durchziehen suchend die Erde nach allen Rich¬
tungen, und bringen von allen Seiten so herrliche neue Blumen, daß wir meinen,
sie wären unübertrefflich, während doch schon das nächste Jahr neue Schätze
entdeckt, welche sie in den Hintergrund stellen. Doch nicht genug, daß neue Blu¬
men entdeckt und aus fremden Ländern eingeführt werden: eine noch größere
Anzahl von Blumen entsteht ans künstlichem Wege, denn seitdem die Gärtner der
Natur das Geheimniß der Pflanzenbefrnchtung abgelauscht haben, ist die Bastar¬
denerzeugung ein besonders einträgliches Geschäft geworden, und diesen schöpferi¬
schen Eingriffen in das. Wirken der Natur verdanken wir die raffinirte Cultur
eigentlicher Modeblnmen. Kaum wird die Verwandtschaft einer neu eingeführten
Pflanze mit einer schon vorhandenen erkannt, so regen sich auch schon hundert
Befruchtungspinsel, welche deu Blumenstaub der eiuen Pflanze auf die andere
übertragen, um alls dem daraus gewonnenen Samen neue Spielarten zu ziehen.
Durch die Befruchtung der erzogenen Bastarde mit anderen Bastarden entstehen
endlich so zahlreiche Mischlinge, daß an eine Uebersicht kaum mehr zu denken ist.
Zum große» Leidwesen der Botaniker sind nur wenige Pflanzenfamilien gegen diese
künstliche Verwirrung gesichert.

Obschon die Modeliebha-berei auch bei deu Blumen bisweilen zur Lächerlich¬
keit und Thorheit geführt hat, so ist doch der Wechsel der Mode sowol, als das
Ansehn, welches sie ihren Lieblingen verleiht, für die Decoration der Gärten von
ungemeinem Nutze», deun ihr verdanken wir den Blumenreichthum unsrer heuti¬
gen Gärten und die außerordentliche Vollkommenheit einzelner Blumengeschlechter.
Ohne eine gewisse Einseitigkeit ist nie Vollkommenes zu erwarten, denn Zersplitterung
der Kräfte führt überall zur Mittelmäßigkeit. Nur dadurch, daß man alle Kraft
und Sorge an die Pflege einer bstimmten Pflanze wendete, war es möglich, ge¬
wisse Arten und Sorten zu der jetzt bewunderten Vollkommenheit zu bringen.

Bevor die verschiedenen Blumen aufgezählt werde», welche uach einander i»
die Mode gekommen sind, sei vor Allem einer Blume gedacht, welche, wenn auch
zu Zeiten vernachlässigt, doch stets in der Mode geblieben ist und es immer blei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/471>, abgerufen am 11.05.2024.