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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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genommenen Resultate der Wissenschaft nach künstlerischen oder anderen Motiven
ausbeutet. Namentlich seit den Zeiten der Schlegel nimmt diese belletristische
halbwissenschaftliche Literatur bei uns eiuen Raum ein, der auf deu Ernst in un¬
srem Denken und Empfinden höchst schädlich einwirkt. Seit Schlegel hat sich
eine eigene Klasse von Belletristen gebildet, die wie Gorgias der Sophist die
Kunst der Rede als etwas für sich Bestehendes ausbilden und über jeden belie¬
bigen Gegenstand mit Eleganz und einem gewissen Pathos zu sprechen wissen,
gleichviel ob sie von ihm eine erschöpfende Kenntniß haben oder nicht. Ja, diese
belletristische Manier hat sich eines Theils der Gelehrten selbst bemächtigt,
die neben ihrem eigentlichen Studium auch noch sür das Publicum schreiben.
Sie halten es für ihre Pflicht, in diesem Fall so zierlich, so philosophisch, so
pathetisch, so Rococo als möglich zu sein, und vergessen dabei, daß die
Kunstform nicht etwas Aeußerliches ist, welches man an den Gegenstand her¬
anbringen könnte, ohne auf die Natur derselben Rücksicht zu nehmen, sondern
daß sie die immanente Form des Gegenstandes sein muß. Sie machen den Ein¬
druck von Malvolio, der sich die Kniegürtel kreuzweise bindet, unfein puritani¬
sches philisterhaftes Wesen hinter gemachter Geckenhaftigkeit zu verstecken. -- Wenn
die directe Polemik gegen diese Verirrung der Literatur deu eigentlich kritischen
Journalen überlassen werden muß, so hat ein constructives wissenschaftliches Cen-
tralorgan die wirksamsten Mittel, indirect dagegen auszutreten. Jene Verirrung
entspringt aus einem an sich ganz richtigen Bestreben. So wie der Mensch des
Sonntags bedarf, um sich einmal von der Gewohnheit der curreuten Geschäfte
zu sammeln und Frende an sich selbst zu haben, so bedarf auch die Wissenschaft
von Zeit zu Zeit einer festtägigen Stimmung, in der sie sich zur Kunst erhebt, um
sich selber mit Wohlgefallen anzuschauen -- Kunst natürlich in dem ältern Sinne
gebraucht, nicht in dem modernen, wo sie gegen die Wissenschafft den Gegensatz
bildet. Der Irrthum bestand nur darin, daß man ihr ein künstlerisches Ansehen
zu geben glaubte, wenn man sie mit fremdartigem Flitterstaat ausputzte. Die
Wissenschaft hat ihre eigene Anmuth und Würde, und sie soll die Physiognomie,
die ihr ansteht, aus sich heraustreiben. Man kann auf sie eben so wie auf die
Poesie die schönen Worte ans Schiller's "Mädchen aus der Fremde" anwenden:
Sie bietet Jedem ihre Gaben, doch eine gewisse Würde und Höhe entfernt die
Vertraulichkeit.

Diese Würde und dieser Ernst muß uuter Anderm anch dadurch gewahrt
werden, daß man jedes störende Moment unerbittlich ausschließt. In den gewöhn¬
lichen Literatnrzeitungen hat jeder Zweig der sogenannten Wissenschaft seine eigene
Stelle, und wird nicht nach einer allgemeinen Methode, sondern nach der speciellen
Methode jeder einzelnen Disciplin verarbeitet. Was z. B. über die Naturwissen¬
schaften, und was über die Theologie gesagt wird, stimmt in den wenigsten Fällen
zusammen; das Eine ist nur für den Naturforscher, das Andere mir für den


genommenen Resultate der Wissenschaft nach künstlerischen oder anderen Motiven
ausbeutet. Namentlich seit den Zeiten der Schlegel nimmt diese belletristische
halbwissenschaftliche Literatur bei uns eiuen Raum ein, der auf deu Ernst in un¬
srem Denken und Empfinden höchst schädlich einwirkt. Seit Schlegel hat sich
eine eigene Klasse von Belletristen gebildet, die wie Gorgias der Sophist die
Kunst der Rede als etwas für sich Bestehendes ausbilden und über jeden belie¬
bigen Gegenstand mit Eleganz und einem gewissen Pathos zu sprechen wissen,
gleichviel ob sie von ihm eine erschöpfende Kenntniß haben oder nicht. Ja, diese
belletristische Manier hat sich eines Theils der Gelehrten selbst bemächtigt,
die neben ihrem eigentlichen Studium auch noch sür das Publicum schreiben.
Sie halten es für ihre Pflicht, in diesem Fall so zierlich, so philosophisch, so
pathetisch, so Rococo als möglich zu sein, und vergessen dabei, daß die
Kunstform nicht etwas Aeußerliches ist, welches man an den Gegenstand her¬
anbringen könnte, ohne auf die Natur derselben Rücksicht zu nehmen, sondern
daß sie die immanente Form des Gegenstandes sein muß. Sie machen den Ein¬
druck von Malvolio, der sich die Kniegürtel kreuzweise bindet, unfein puritani¬
sches philisterhaftes Wesen hinter gemachter Geckenhaftigkeit zu verstecken. — Wenn
die directe Polemik gegen diese Verirrung der Literatur deu eigentlich kritischen
Journalen überlassen werden muß, so hat ein constructives wissenschaftliches Cen-
tralorgan die wirksamsten Mittel, indirect dagegen auszutreten. Jene Verirrung
entspringt aus einem an sich ganz richtigen Bestreben. So wie der Mensch des
Sonntags bedarf, um sich einmal von der Gewohnheit der curreuten Geschäfte
zu sammeln und Frende an sich selbst zu haben, so bedarf auch die Wissenschaft
von Zeit zu Zeit einer festtägigen Stimmung, in der sie sich zur Kunst erhebt, um
sich selber mit Wohlgefallen anzuschauen — Kunst natürlich in dem ältern Sinne
gebraucht, nicht in dem modernen, wo sie gegen die Wissenschafft den Gegensatz
bildet. Der Irrthum bestand nur darin, daß man ihr ein künstlerisches Ansehen
zu geben glaubte, wenn man sie mit fremdartigem Flitterstaat ausputzte. Die
Wissenschaft hat ihre eigene Anmuth und Würde, und sie soll die Physiognomie,
die ihr ansteht, aus sich heraustreiben. Man kann auf sie eben so wie auf die
Poesie die schönen Worte ans Schiller's „Mädchen aus der Fremde" anwenden:
Sie bietet Jedem ihre Gaben, doch eine gewisse Würde und Höhe entfernt die
Vertraulichkeit.

Diese Würde und dieser Ernst muß uuter Anderm anch dadurch gewahrt
werden, daß man jedes störende Moment unerbittlich ausschließt. In den gewöhn¬
lichen Literatnrzeitungen hat jeder Zweig der sogenannten Wissenschaft seine eigene
Stelle, und wird nicht nach einer allgemeinen Methode, sondern nach der speciellen
Methode jeder einzelnen Disciplin verarbeitet. Was z. B. über die Naturwissen¬
schaften, und was über die Theologie gesagt wird, stimmt in den wenigsten Fällen
zusammen; das Eine ist nur für den Naturforscher, das Andere mir für den


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[0496] genommenen Resultate der Wissenschaft nach künstlerischen oder anderen Motiven ausbeutet. Namentlich seit den Zeiten der Schlegel nimmt diese belletristische halbwissenschaftliche Literatur bei uns eiuen Raum ein, der auf deu Ernst in un¬ srem Denken und Empfinden höchst schädlich einwirkt. Seit Schlegel hat sich eine eigene Klasse von Belletristen gebildet, die wie Gorgias der Sophist die Kunst der Rede als etwas für sich Bestehendes ausbilden und über jeden belie¬ bigen Gegenstand mit Eleganz und einem gewissen Pathos zu sprechen wissen, gleichviel ob sie von ihm eine erschöpfende Kenntniß haben oder nicht. Ja, diese belletristische Manier hat sich eines Theils der Gelehrten selbst bemächtigt, die neben ihrem eigentlichen Studium auch noch sür das Publicum schreiben. Sie halten es für ihre Pflicht, in diesem Fall so zierlich, so philosophisch, so pathetisch, so Rococo als möglich zu sein, und vergessen dabei, daß die Kunstform nicht etwas Aeußerliches ist, welches man an den Gegenstand her¬ anbringen könnte, ohne auf die Natur derselben Rücksicht zu nehmen, sondern daß sie die immanente Form des Gegenstandes sein muß. Sie machen den Ein¬ druck von Malvolio, der sich die Kniegürtel kreuzweise bindet, unfein puritani¬ sches philisterhaftes Wesen hinter gemachter Geckenhaftigkeit zu verstecken. — Wenn die directe Polemik gegen diese Verirrung der Literatur deu eigentlich kritischen Journalen überlassen werden muß, so hat ein constructives wissenschaftliches Cen- tralorgan die wirksamsten Mittel, indirect dagegen auszutreten. Jene Verirrung entspringt aus einem an sich ganz richtigen Bestreben. So wie der Mensch des Sonntags bedarf, um sich einmal von der Gewohnheit der curreuten Geschäfte zu sammeln und Frende an sich selbst zu haben, so bedarf auch die Wissenschaft von Zeit zu Zeit einer festtägigen Stimmung, in der sie sich zur Kunst erhebt, um sich selber mit Wohlgefallen anzuschauen — Kunst natürlich in dem ältern Sinne gebraucht, nicht in dem modernen, wo sie gegen die Wissenschafft den Gegensatz bildet. Der Irrthum bestand nur darin, daß man ihr ein künstlerisches Ansehen zu geben glaubte, wenn man sie mit fremdartigem Flitterstaat ausputzte. Die Wissenschaft hat ihre eigene Anmuth und Würde, und sie soll die Physiognomie, die ihr ansteht, aus sich heraustreiben. Man kann auf sie eben so wie auf die Poesie die schönen Worte ans Schiller's „Mädchen aus der Fremde" anwenden: Sie bietet Jedem ihre Gaben, doch eine gewisse Würde und Höhe entfernt die Vertraulichkeit. Diese Würde und dieser Ernst muß uuter Anderm anch dadurch gewahrt werden, daß man jedes störende Moment unerbittlich ausschließt. In den gewöhn¬ lichen Literatnrzeitungen hat jeder Zweig der sogenannten Wissenschaft seine eigene Stelle, und wird nicht nach einer allgemeinen Methode, sondern nach der speciellen Methode jeder einzelnen Disciplin verarbeitet. Was z. B. über die Naturwissen¬ schaften, und was über die Theologie gesagt wird, stimmt in den wenigsten Fällen zusammen; das Eine ist nur für den Naturforscher, das Andere mir für den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/496>, abgerufen am 06.06.2024.