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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft aus. Das Kreuz, für den Westen
eine düstere Reminiscenz, ist für den Serben das Symbol der Vergangenheit
und zugleich das Banner der Zukunft.

Natur und Volksleben sind in dieser Entwickelung des religiösen Bewußt¬
seins nicht wie im Westen feindliche, einander ausschließende Gegensätze, sondern
organisch gegliederte Momente desselben geworden. Die Kirche mußte beide in
sich aufnehmen, und ihr Verdienst besteht in der so glücklich vollbrachten Ver¬
söhnung derselben. Dieses Factum ist nur dadurch zu erklären, daß die Kirche
die Entwickelung des nationalen und religiösen Bewußtseins zu ihrer eigeuen
machte; denn nur so konnte es geschehen, daß zwischen dem religiösen Bewußt¬
sein des Volkes und der Kirche kein Bruch entstand, welcher sonst eine noth¬
wendige Folge des Stillstandes der letztern und der Fortentwickelung jenes ge¬
wesen wäre.

So aber hat sich beim serbischen Volke eine echt christliche Weltanschauung
gebildet. "Fleisch und Geist sollen einander nicht bekämpfen, weil sie sich doch
nicht aufreiben dürfen, sondern sollen nach Gleichgewicht streben und die Har¬
monie suchen, in welcher einzig ihre Existenz denkbar und wirklich ist", schrieb
der entschlafene Wladyka von Montenegro, selbst ein Kirchenfürst, an einen
Freund, der ihm die Vortheile der alten Askese vorzustellen gesucht halte. In
diesem Satze ist einer der charakteristischesten Punkte der Kirchenlehre im Sinne
des Volksglaubens gelöst.

Das Christenthum ist in allen Lebenssphären des serbischen Volkes popn-
larisirt. Deshalb ist hier kein Raum für occidentalische Doctrinen, mögen.sie
nun kirchliche oder philosophische sein. Was hier ans religiösem Gebiete ent¬
steht, muß dem Volksthum entsprießen, wenn es bestehen soll; andererseits ist
aber keine Wirkung auf das Volk nachhaltig, wenn sie uicht durch das religiöse
Element vermittelt wird. Nur durch die gleichzeitige Wirkung beider können
die schlummernden Kräfte des serbischen Volkes geweckt, entfaltet und zu histori¬
scher Activität geführt werden.

Ich nannte die griechisch-slavische Kirche das Elements der Vermittelung
und Einigung'zwischen den zukunftgewissesten slavischen Stämmen; ich wiederhole
dies mit dem Beisatze, daß sie der Idee des Slaventhums Fleisch und Blut
verliehen hat, und daß dieser kühne Gedanke nur durch sie verwirklicht wer¬
den könnte.

Es ist nur die einfache Consequenz dieser Ansicht, wenn die slavische Parte
bei den Russen und Serben in allen ihren Bestrebungen zuvörderst auf ti
Kirche steht, und diese für sich zu interessiren sucht. Im Jahre 1848 geschah es
noch, daß ein greiser slavischer Kirchenfürst, der Patriarch Rajatschitsch,
das Schlachtenbanner ergriff, und die Krieger seines Volkes zum Siege führte;
es wäre wol auch ohne ihn geschehen, was geschehen ist, aber das Bedeutnngs-


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Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft aus. Das Kreuz, für den Westen
eine düstere Reminiscenz, ist für den Serben das Symbol der Vergangenheit
und zugleich das Banner der Zukunft.

Natur und Volksleben sind in dieser Entwickelung des religiösen Bewußt¬
seins nicht wie im Westen feindliche, einander ausschließende Gegensätze, sondern
organisch gegliederte Momente desselben geworden. Die Kirche mußte beide in
sich aufnehmen, und ihr Verdienst besteht in der so glücklich vollbrachten Ver¬
söhnung derselben. Dieses Factum ist nur dadurch zu erklären, daß die Kirche
die Entwickelung des nationalen und religiösen Bewußtseins zu ihrer eigeuen
machte; denn nur so konnte es geschehen, daß zwischen dem religiösen Bewußt¬
sein des Volkes und der Kirche kein Bruch entstand, welcher sonst eine noth¬
wendige Folge des Stillstandes der letztern und der Fortentwickelung jenes ge¬
wesen wäre.

So aber hat sich beim serbischen Volke eine echt christliche Weltanschauung
gebildet. „Fleisch und Geist sollen einander nicht bekämpfen, weil sie sich doch
nicht aufreiben dürfen, sondern sollen nach Gleichgewicht streben und die Har¬
monie suchen, in welcher einzig ihre Existenz denkbar und wirklich ist", schrieb
der entschlafene Wladyka von Montenegro, selbst ein Kirchenfürst, an einen
Freund, der ihm die Vortheile der alten Askese vorzustellen gesucht halte. In
diesem Satze ist einer der charakteristischesten Punkte der Kirchenlehre im Sinne
des Volksglaubens gelöst.

Das Christenthum ist in allen Lebenssphären des serbischen Volkes popn-
larisirt. Deshalb ist hier kein Raum für occidentalische Doctrinen, mögen.sie
nun kirchliche oder philosophische sein. Was hier ans religiösem Gebiete ent¬
steht, muß dem Volksthum entsprießen, wenn es bestehen soll; andererseits ist
aber keine Wirkung auf das Volk nachhaltig, wenn sie uicht durch das religiöse
Element vermittelt wird. Nur durch die gleichzeitige Wirkung beider können
die schlummernden Kräfte des serbischen Volkes geweckt, entfaltet und zu histori¬
scher Activität geführt werden.

Ich nannte die griechisch-slavische Kirche das Elements der Vermittelung
und Einigung'zwischen den zukunftgewissesten slavischen Stämmen; ich wiederhole
dies mit dem Beisatze, daß sie der Idee des Slaventhums Fleisch und Blut
verliehen hat, und daß dieser kühne Gedanke nur durch sie verwirklicht wer¬
den könnte.

Es ist nur die einfache Consequenz dieser Ansicht, wenn die slavische Parte
bei den Russen und Serben in allen ihren Bestrebungen zuvörderst auf ti
Kirche steht, und diese für sich zu interessiren sucht. Im Jahre 1848 geschah es
noch, daß ein greiser slavischer Kirchenfürst, der Patriarch Rajatschitsch,
das Schlachtenbanner ergriff, und die Krieger seines Volkes zum Siege führte;
es wäre wol auch ohne ihn geschehen, was geschehen ist, aber das Bedeutnngs-


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[0501] Hoffnung und Zuversicht für die Zukunft aus. Das Kreuz, für den Westen eine düstere Reminiscenz, ist für den Serben das Symbol der Vergangenheit und zugleich das Banner der Zukunft. Natur und Volksleben sind in dieser Entwickelung des religiösen Bewußt¬ seins nicht wie im Westen feindliche, einander ausschließende Gegensätze, sondern organisch gegliederte Momente desselben geworden. Die Kirche mußte beide in sich aufnehmen, und ihr Verdienst besteht in der so glücklich vollbrachten Ver¬ söhnung derselben. Dieses Factum ist nur dadurch zu erklären, daß die Kirche die Entwickelung des nationalen und religiösen Bewußtseins zu ihrer eigeuen machte; denn nur so konnte es geschehen, daß zwischen dem religiösen Bewußt¬ sein des Volkes und der Kirche kein Bruch entstand, welcher sonst eine noth¬ wendige Folge des Stillstandes der letztern und der Fortentwickelung jenes ge¬ wesen wäre. So aber hat sich beim serbischen Volke eine echt christliche Weltanschauung gebildet. „Fleisch und Geist sollen einander nicht bekämpfen, weil sie sich doch nicht aufreiben dürfen, sondern sollen nach Gleichgewicht streben und die Har¬ monie suchen, in welcher einzig ihre Existenz denkbar und wirklich ist", schrieb der entschlafene Wladyka von Montenegro, selbst ein Kirchenfürst, an einen Freund, der ihm die Vortheile der alten Askese vorzustellen gesucht halte. In diesem Satze ist einer der charakteristischesten Punkte der Kirchenlehre im Sinne des Volksglaubens gelöst. Das Christenthum ist in allen Lebenssphären des serbischen Volkes popn- larisirt. Deshalb ist hier kein Raum für occidentalische Doctrinen, mögen.sie nun kirchliche oder philosophische sein. Was hier ans religiösem Gebiete ent¬ steht, muß dem Volksthum entsprießen, wenn es bestehen soll; andererseits ist aber keine Wirkung auf das Volk nachhaltig, wenn sie uicht durch das religiöse Element vermittelt wird. Nur durch die gleichzeitige Wirkung beider können die schlummernden Kräfte des serbischen Volkes geweckt, entfaltet und zu histori¬ scher Activität geführt werden. Ich nannte die griechisch-slavische Kirche das Elements der Vermittelung und Einigung'zwischen den zukunftgewissesten slavischen Stämmen; ich wiederhole dies mit dem Beisatze, daß sie der Idee des Slaventhums Fleisch und Blut verliehen hat, und daß dieser kühne Gedanke nur durch sie verwirklicht wer¬ den könnte. Es ist nur die einfache Consequenz dieser Ansicht, wenn die slavische Parte bei den Russen und Serben in allen ihren Bestrebungen zuvörderst auf ti Kirche steht, und diese für sich zu interessiren sucht. Im Jahre 1848 geschah es noch, daß ein greiser slavischer Kirchenfürst, der Patriarch Rajatschitsch, das Schlachtenbanner ergriff, und die Krieger seines Volkes zum Siege führte; es wäre wol auch ohne ihn geschehen, was geschehen ist, aber das Bedeutnngs- 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/501>, abgerufen am 17.06.2024.