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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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währen. -- Solche Fälle giebt eS in Bosnien eine Unzahl, ohne daß die Reli¬
giosität dadurch Schaden erlitten hätte.

Hier zeigt sich wieder einer der principiellen Unterschiede zwischen orienta¬
lischem und occidentalischen Kirchenwesen. Die Differenzlehren in der Dogmatik
beider Kirchen sind jetzt Nebensache; ob der heilige Geist vom Vater allein oder
vom Vater und Sohne zugleich ausgehe, ob es ein Fegefeuer gebe oder nicht,
interessirt Niemanden im Volke, ,,da man es doch nicht wissen könne." Man
rege aber die Frage vom Papstthum, vom Cölibate, von der Liturgie an, und
man wird sehen, daß auch der gemeine Mann das Wesen seiner Kirche begreift.
In Allem praktisch, verläugnet er diesen Sinn auch auf kirchlichem Gebiete
uicht: es giebt aber keine Macht auf Erden, welche ihm'gegen seinen Willen et¬
was aufnöthigen könnte.

Bekanntlich ist es den durch das ,, Collegium <Z,<z propÄgQnüa Küe" unter¬
stützten Bestrebungen des Jesuitismus gelungen, einige Tausende der böhmischen
Serben zum Katholicismus hinüberzuziehen. Da es hier galt, jeden Zoll Terrain
der Nationalkirche abzukämpseu, ließ man es weder an Geld noch guten Worten,
uoch an mancherlei Liebeswerken fehlen, und suchte vor Allem den Haß des
Osmanenthums gegen die slavische Kirche auszubeuten. Dadurch also, daß der
Katholicismus dem Islam gegenüber die demüthigste Stellung einnahm, entstand
zwischen den Türken und dem katholischen Klerus eine ganz eigenthümliche
entento col'note. Sei es nun, daß die türkischen Machthaber die intensive
Kraft der Nativnalkirche begriffen und im Katholicismus ein gefügiges Werkzeug
zur Bekämpfung jeuer gefunden zu haben glaubten, oder daß sie durch den hier¬
durch entstehenden religiösen Zwiespalt beide Theile durch sich selbst aufzureiben
hofften: kurz, es geschah, daß'sich der Katholicismus einer außerordentlichen Be¬
günstigung Seitens der Osmanlis zu erfreuen hatte. Der Erfolg dieser Be¬
strebungen war aber uicht dauerhaft, denn der Katholicismus macht jetzt nicht
nur keine Fortschritte, sondern wird langsam, aber sicher, von der gräcoslawischen
Kirche absorbirt. Wenn man den Charakter des Osmanen kennt, wird man
dessen Urtheil über den Katholicismus leicht begreife", und was Fallermayer
über dessen Stellung im Orient überhaupt sagt, gilt in erhöhtem Grade für die
slavischen Provinzen der Türkei.

Auf der andern Seite ist die Nationalkirche Schritt vor Schritt mit der
Weltanschauung des Volkes fortgegangen; sie ist dem Volke Poesie, wie seine
Heldenlieder. Auch diese, der beste Ausdruck der christlich-nationalen Weltan¬
schauung des serbischen Volkes, find von dem Zauber des frischen Geisteslebens
der Gegenwart durchdrungen; Kraljewitsch Marko, Milosch Obilitsch, Zar Lasar
sind Gestalten, in welchen sich nicht sowol die Vergangenheit, als die Gegenwart
des serbischen Volkes verkörpert. Die Vergangenheit geht im Liede nicht über
das Gestern zurück, und lebt im Volksbewußtsein von Heute als Begeisterung,


währen. — Solche Fälle giebt eS in Bosnien eine Unzahl, ohne daß die Reli¬
giosität dadurch Schaden erlitten hätte.

Hier zeigt sich wieder einer der principiellen Unterschiede zwischen orienta¬
lischem und occidentalischen Kirchenwesen. Die Differenzlehren in der Dogmatik
beider Kirchen sind jetzt Nebensache; ob der heilige Geist vom Vater allein oder
vom Vater und Sohne zugleich ausgehe, ob es ein Fegefeuer gebe oder nicht,
interessirt Niemanden im Volke, ,,da man es doch nicht wissen könne." Man
rege aber die Frage vom Papstthum, vom Cölibate, von der Liturgie an, und
man wird sehen, daß auch der gemeine Mann das Wesen seiner Kirche begreift.
In Allem praktisch, verläugnet er diesen Sinn auch auf kirchlichem Gebiete
uicht: es giebt aber keine Macht auf Erden, welche ihm'gegen seinen Willen et¬
was aufnöthigen könnte.

Bekanntlich ist es den durch das ,, Collegium <Z,<z propÄgQnüa Küe" unter¬
stützten Bestrebungen des Jesuitismus gelungen, einige Tausende der böhmischen
Serben zum Katholicismus hinüberzuziehen. Da es hier galt, jeden Zoll Terrain
der Nationalkirche abzukämpseu, ließ man es weder an Geld noch guten Worten,
uoch an mancherlei Liebeswerken fehlen, und suchte vor Allem den Haß des
Osmanenthums gegen die slavische Kirche auszubeuten. Dadurch also, daß der
Katholicismus dem Islam gegenüber die demüthigste Stellung einnahm, entstand
zwischen den Türken und dem katholischen Klerus eine ganz eigenthümliche
entento col'note. Sei es nun, daß die türkischen Machthaber die intensive
Kraft der Nativnalkirche begriffen und im Katholicismus ein gefügiges Werkzeug
zur Bekämpfung jeuer gefunden zu haben glaubten, oder daß sie durch den hier¬
durch entstehenden religiösen Zwiespalt beide Theile durch sich selbst aufzureiben
hofften: kurz, es geschah, daß'sich der Katholicismus einer außerordentlichen Be¬
günstigung Seitens der Osmanlis zu erfreuen hatte. Der Erfolg dieser Be¬
strebungen war aber uicht dauerhaft, denn der Katholicismus macht jetzt nicht
nur keine Fortschritte, sondern wird langsam, aber sicher, von der gräcoslawischen
Kirche absorbirt. Wenn man den Charakter des Osmanen kennt, wird man
dessen Urtheil über den Katholicismus leicht begreife», und was Fallermayer
über dessen Stellung im Orient überhaupt sagt, gilt in erhöhtem Grade für die
slavischen Provinzen der Türkei.

Auf der andern Seite ist die Nationalkirche Schritt vor Schritt mit der
Weltanschauung des Volkes fortgegangen; sie ist dem Volke Poesie, wie seine
Heldenlieder. Auch diese, der beste Ausdruck der christlich-nationalen Weltan¬
schauung des serbischen Volkes, find von dem Zauber des frischen Geisteslebens
der Gegenwart durchdrungen; Kraljewitsch Marko, Milosch Obilitsch, Zar Lasar
sind Gestalten, in welchen sich nicht sowol die Vergangenheit, als die Gegenwart
des serbischen Volkes verkörpert. Die Vergangenheit geht im Liede nicht über
das Gestern zurück, und lebt im Volksbewußtsein von Heute als Begeisterung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/500>, abgerufen am 27.05.2024.