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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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zum zweiten Mal über den Durst zu trinken. Und wenn er sie nur einmal wie¬
der in der Tasche hat, dann verliert er sie wahrscheinlich recht bald wieder.

"Um welche Zeit muß ich vor dem Friedensrichter erscheinen?" fragt
Mr. Syllis.

"Morgen Vormittag um 10 Uhr" -- und Mister Syllis eilt heim zu
Misses Syllis, und der Gentleman wird in der Polizeistnbe zum Schlafen
gebracht.

Für den Inspector dagegen giebt es keine Minute zum Ausruhen. Immer
neue Bilder und Gestalten erscheinen im Rahmen seines kleinen Fensterleins.

Lange schon, als Mr. Syllis noch seine tragische Geschichte vorzutragen be¬
flissen war, hatten.ihm zwei schwarze Augen ungeduldig über die Schulter geschickt.
Es ist ein braunes Mädchen mit einem ausgefaserten Strohhut ans dem Kopf,
die jetzt zum Fenster huscht.

"Haben Sie keine Zigennerfran ans Ihrer Stube in Verwahrung, Sir?"

"Nein, keine Zigeunerin heute."

"Danke, Sir," und eilt davon in Nacht und Nebel zu der nächsten Station,
wahrscheinlich um ihre Mutter vbel Anverwandte zu suchen.

Mittlerweile sind nach einander mehrere Constables, die um neun Uhr abge¬
löst wurden, eingetreten, und statten ihrem Sergeanten Rapporte ab, die in ge¬
druckten Rubriken eingetragen werden, z. B.:,

<ü. Ur. 67 macht die Meldung, daß ein Knabe, Namens Philipp Jsacck, um
öVs Uhr Nachmittags in Bowstret durch ein Pferd, welches dem Zeitungsverkäufer
Mr. Parks gehört, niedergerannt wurde. Jn's Charing-Croß-Hospital gebracht. Von dort
mit einer leichten Quetschung nach Hause transportirt."

Der Inspector hat kaum Zeit, den Bericht durchznfliegen, so erscheint
schon ein anderes, diesmal sehr besorgt und ernst aussehendes Gesicht am
Guckfenster.

"Ich fürchte, Sir," sagt der neue Gast, "ich bin bestohlen. Mein Name
ist Parker, von der Firma Parker und Tide, Tapezierlager. Um drei Uhr heute
Nachmittags gab unser Buchhalter unsrem Einkassirer, einem jungen Menschen
von neunzehn Jahren, sechs und neunzig Pfund, sie in die Bank zu tragen. In
fünfzehn Minuten hätte er zurück sein können. Aber der Junge ist verschwunden,
und in der Ban? haben sie das Geld nicht erhalten."

"Beschreiben Sie gefälligst den jungen Mann und seine Kleidung," sagt
der Inspektor, ein gedrucktes Formular zur Hand nehmend, daß-man eine
,Monte" nennt.

Es geschieht.

"Ha! er Freunde oder Verwandte in London?"

Der Applicaut giebt den Namen von des Beklagten Vater und Oheim, nebst
deren Adressen an. >


zum zweiten Mal über den Durst zu trinken. Und wenn er sie nur einmal wie¬
der in der Tasche hat, dann verliert er sie wahrscheinlich recht bald wieder.

„Um welche Zeit muß ich vor dem Friedensrichter erscheinen?" fragt
Mr. Syllis.

„Morgen Vormittag um 10 Uhr" — und Mister Syllis eilt heim zu
Misses Syllis, und der Gentleman wird in der Polizeistnbe zum Schlafen
gebracht.

Für den Inspector dagegen giebt es keine Minute zum Ausruhen. Immer
neue Bilder und Gestalten erscheinen im Rahmen seines kleinen Fensterleins.

Lange schon, als Mr. Syllis noch seine tragische Geschichte vorzutragen be¬
flissen war, hatten.ihm zwei schwarze Augen ungeduldig über die Schulter geschickt.
Es ist ein braunes Mädchen mit einem ausgefaserten Strohhut ans dem Kopf,
die jetzt zum Fenster huscht.

„Haben Sie keine Zigennerfran ans Ihrer Stube in Verwahrung, Sir?"

„Nein, keine Zigeunerin heute."

„Danke, Sir," und eilt davon in Nacht und Nebel zu der nächsten Station,
wahrscheinlich um ihre Mutter vbel Anverwandte zu suchen.

Mittlerweile sind nach einander mehrere Constables, die um neun Uhr abge¬
löst wurden, eingetreten, und statten ihrem Sergeanten Rapporte ab, die in ge¬
druckten Rubriken eingetragen werden, z. B.:,

<ü. Ur. 67 macht die Meldung, daß ein Knabe, Namens Philipp Jsacck, um
öVs Uhr Nachmittags in Bowstret durch ein Pferd, welches dem Zeitungsverkäufer
Mr. Parks gehört, niedergerannt wurde. Jn's Charing-Croß-Hospital gebracht. Von dort
mit einer leichten Quetschung nach Hause transportirt."

Der Inspector hat kaum Zeit, den Bericht durchznfliegen, so erscheint
schon ein anderes, diesmal sehr besorgt und ernst aussehendes Gesicht am
Guckfenster.

„Ich fürchte, Sir," sagt der neue Gast, „ich bin bestohlen. Mein Name
ist Parker, von der Firma Parker und Tide, Tapezierlager. Um drei Uhr heute
Nachmittags gab unser Buchhalter unsrem Einkassirer, einem jungen Menschen
von neunzehn Jahren, sechs und neunzig Pfund, sie in die Bank zu tragen. In
fünfzehn Minuten hätte er zurück sein können. Aber der Junge ist verschwunden,
und in der Ban? haben sie das Geld nicht erhalten."

„Beschreiben Sie gefälligst den jungen Mann und seine Kleidung," sagt
der Inspektor, ein gedrucktes Formular zur Hand nehmend, daß-man eine
,Monte" nennt.

Es geschieht.

„Ha! er Freunde oder Verwandte in London?"

Der Applicaut giebt den Namen von des Beklagten Vater und Oheim, nebst
deren Adressen an. >


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[0055] zum zweiten Mal über den Durst zu trinken. Und wenn er sie nur einmal wie¬ der in der Tasche hat, dann verliert er sie wahrscheinlich recht bald wieder. „Um welche Zeit muß ich vor dem Friedensrichter erscheinen?" fragt Mr. Syllis. „Morgen Vormittag um 10 Uhr" — und Mister Syllis eilt heim zu Misses Syllis, und der Gentleman wird in der Polizeistnbe zum Schlafen gebracht. Für den Inspector dagegen giebt es keine Minute zum Ausruhen. Immer neue Bilder und Gestalten erscheinen im Rahmen seines kleinen Fensterleins. Lange schon, als Mr. Syllis noch seine tragische Geschichte vorzutragen be¬ flissen war, hatten.ihm zwei schwarze Augen ungeduldig über die Schulter geschickt. Es ist ein braunes Mädchen mit einem ausgefaserten Strohhut ans dem Kopf, die jetzt zum Fenster huscht. „Haben Sie keine Zigennerfran ans Ihrer Stube in Verwahrung, Sir?" „Nein, keine Zigeunerin heute." „Danke, Sir," und eilt davon in Nacht und Nebel zu der nächsten Station, wahrscheinlich um ihre Mutter vbel Anverwandte zu suchen. Mittlerweile sind nach einander mehrere Constables, die um neun Uhr abge¬ löst wurden, eingetreten, und statten ihrem Sergeanten Rapporte ab, die in ge¬ druckten Rubriken eingetragen werden, z. B.:, <ü. Ur. 67 macht die Meldung, daß ein Knabe, Namens Philipp Jsacck, um öVs Uhr Nachmittags in Bowstret durch ein Pferd, welches dem Zeitungsverkäufer Mr. Parks gehört, niedergerannt wurde. Jn's Charing-Croß-Hospital gebracht. Von dort mit einer leichten Quetschung nach Hause transportirt." Der Inspector hat kaum Zeit, den Bericht durchznfliegen, so erscheint schon ein anderes, diesmal sehr besorgt und ernst aussehendes Gesicht am Guckfenster. „Ich fürchte, Sir," sagt der neue Gast, „ich bin bestohlen. Mein Name ist Parker, von der Firma Parker und Tide, Tapezierlager. Um drei Uhr heute Nachmittags gab unser Buchhalter unsrem Einkassirer, einem jungen Menschen von neunzehn Jahren, sechs und neunzig Pfund, sie in die Bank zu tragen. In fünfzehn Minuten hätte er zurück sein können. Aber der Junge ist verschwunden, und in der Ban? haben sie das Geld nicht erhalten." „Beschreiben Sie gefälligst den jungen Mann und seine Kleidung," sagt der Inspektor, ein gedrucktes Formular zur Hand nehmend, daß-man eine ,Monte" nennt. Es geschieht. „Ha! er Freunde oder Verwandte in London?" Der Applicaut giebt den Namen von des Beklagten Vater und Oheim, nebst deren Adressen an. >

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/55>, abgerufen am 04.06.2024.