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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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streute Styl des alten Museums und der katholischen Kirche entspricht einer
bestimmten Phase des modernen Bewußtseins. In neuester Zeit aber sieht es
fast so aus, als wollte man mit einer gewissen Absicht alle möglichen Kunstformen
durch einander wirren und daraus eine neue Kunstform erzeugen, wie die roman¬
tische Schule durch Durcheiuaudermischuug sämmtlicher Religionen des Weltalls
ihr neues Evangelium chemisch zu destilliren beabsichtigte. Das alte Schloß hatte
in seiner Einfachheit eine so würdige, imponirende Form; nnn bat man eine
Kuppel darauf gesetzt, uoch dazu auf einer Seite, die gar keine Front darbietet,
die zwar vom Innern aus betrachtet, und wenn man vom Uebermaß der ein sich
ziemlich indifferenten Bilder absieht, einen sehr guten Eindruck macht, die aber
den Charakter des ganzen Gebäudes vollständig aufhebt. Zum Ueberfluß hat
mau einen großen Laternenpfahl davor aufgestellt, auf dem ein goldnes vogel¬
artiges Wesen schwebt. Das soll eine Säule sein mit dem Adler der Hohen-
zollern daraus. Diese dünnen Säulen, die nichts tragen, sondern blos für sich,
selbst da sind, scheinen von dem leitenden Geschmack der neuen Unternehmungen
mit besonderer Vorliebe betrachtet zu werden. Man hat sogar die schone Treppe
des alten Museums mit zwei solchen Wegweisern entstellt.

Das Uebermaß der neuen Geschmacksoerwirrung zeigt sich im neuen Museum.
Wir, die wir noch Gelegenheit haben, das Werk in seinem Entstehen zu ver¬
folge", können uns an den einzelnen herrlichen Kunstwerken erfreue". Einer
spätern Generation wird das nicht möglich sein, denn sie wird die einzelnen
Gegenstände theils gar nicht mehr sehen können, theils durch die Ueberfülle des
zu Sehenden so betäubt werden, daß sie jeden Versuch aufgiebt, etwas Bestimm¬
tes zu unterscheiden. Der Zweck eines Museums ist doch offenbar die Auf¬
bewahrung von allen Kunstschätzen, die durch eine angemessen deconrte Localität
zugänglich gemacht und gehoben werden sollen. Dieser Zweck ist im alten Museum
vollständig erreicht, wenn auch ihm leider in neuerer Zeit durch die in der Säulen¬
halle angebrachten Fresken zuwidergehandelt worden ist. Im neuen Museum
scheint man dagegen den vollkommen entgegengesetzten Zweck zu verfolgen. Die
bleichen Gypsabgüsse der Antike stehen in Sälen, die durch die glänzendsten
und schreiendsten Farben verziert send. Es sind daraus Landschaften aus der
antiken Welt angebracht, nicht in einfacher ruhiger Skizze, sondern mit den
glänzendsten Lichtessecten der modernen Kunst. Diese Wandgemälde machen die
Statuen vollständig todt. Man steht sich zuletzt veranlaßt, in ihnen nichts
weiter zu finden, als unbequeme Hindernisse, die der Anschauung der Wand¬
gemälde im Wege stehen. Und was sind in diesen Gypsabgüssen für . Schätze
enthalten! Im alten Museum standen sie in einer abgelegenen Kanuner bunt
durcheinander, das gewöhnliche Publicum ging gar nicht hinein; wer aber eintrat,
konnte sich mit jener Andacht und Ruhe, die das Studium der plastischen Kunst
erfordert, der Anschauung hingeben. Davon ist im neuen Museum nicht die


streute Styl des alten Museums und der katholischen Kirche entspricht einer
bestimmten Phase des modernen Bewußtseins. In neuester Zeit aber sieht es
fast so aus, als wollte man mit einer gewissen Absicht alle möglichen Kunstformen
durch einander wirren und daraus eine neue Kunstform erzeugen, wie die roman¬
tische Schule durch Durcheiuaudermischuug sämmtlicher Religionen des Weltalls
ihr neues Evangelium chemisch zu destilliren beabsichtigte. Das alte Schloß hatte
in seiner Einfachheit eine so würdige, imponirende Form; nnn bat man eine
Kuppel darauf gesetzt, uoch dazu auf einer Seite, die gar keine Front darbietet,
die zwar vom Innern aus betrachtet, und wenn man vom Uebermaß der ein sich
ziemlich indifferenten Bilder absieht, einen sehr guten Eindruck macht, die aber
den Charakter des ganzen Gebäudes vollständig aufhebt. Zum Ueberfluß hat
mau einen großen Laternenpfahl davor aufgestellt, auf dem ein goldnes vogel¬
artiges Wesen schwebt. Das soll eine Säule sein mit dem Adler der Hohen-
zollern daraus. Diese dünnen Säulen, die nichts tragen, sondern blos für sich,
selbst da sind, scheinen von dem leitenden Geschmack der neuen Unternehmungen
mit besonderer Vorliebe betrachtet zu werden. Man hat sogar die schone Treppe
des alten Museums mit zwei solchen Wegweisern entstellt.

Das Uebermaß der neuen Geschmacksoerwirrung zeigt sich im neuen Museum.
Wir, die wir noch Gelegenheit haben, das Werk in seinem Entstehen zu ver¬
folge», können uns an den einzelnen herrlichen Kunstwerken erfreue». Einer
spätern Generation wird das nicht möglich sein, denn sie wird die einzelnen
Gegenstände theils gar nicht mehr sehen können, theils durch die Ueberfülle des
zu Sehenden so betäubt werden, daß sie jeden Versuch aufgiebt, etwas Bestimm¬
tes zu unterscheiden. Der Zweck eines Museums ist doch offenbar die Auf¬
bewahrung von allen Kunstschätzen, die durch eine angemessen deconrte Localität
zugänglich gemacht und gehoben werden sollen. Dieser Zweck ist im alten Museum
vollständig erreicht, wenn auch ihm leider in neuerer Zeit durch die in der Säulen¬
halle angebrachten Fresken zuwidergehandelt worden ist. Im neuen Museum
scheint man dagegen den vollkommen entgegengesetzten Zweck zu verfolgen. Die
bleichen Gypsabgüsse der Antike stehen in Sälen, die durch die glänzendsten
und schreiendsten Farben verziert send. Es sind daraus Landschaften aus der
antiken Welt angebracht, nicht in einfacher ruhiger Skizze, sondern mit den
glänzendsten Lichtessecten der modernen Kunst. Diese Wandgemälde machen die
Statuen vollständig todt. Man steht sich zuletzt veranlaßt, in ihnen nichts
weiter zu finden, als unbequeme Hindernisse, die der Anschauung der Wand¬
gemälde im Wege stehen. Und was sind in diesen Gypsabgüssen für . Schätze
enthalten! Im alten Museum standen sie in einer abgelegenen Kanuner bunt
durcheinander, das gewöhnliche Publicum ging gar nicht hinein; wer aber eintrat,
konnte sich mit jener Andacht und Ruhe, die das Studium der plastischen Kunst
erfordert, der Anschauung hingeben. Davon ist im neuen Museum nicht die


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[0105] streute Styl des alten Museums und der katholischen Kirche entspricht einer bestimmten Phase des modernen Bewußtseins. In neuester Zeit aber sieht es fast so aus, als wollte man mit einer gewissen Absicht alle möglichen Kunstformen durch einander wirren und daraus eine neue Kunstform erzeugen, wie die roman¬ tische Schule durch Durcheiuaudermischuug sämmtlicher Religionen des Weltalls ihr neues Evangelium chemisch zu destilliren beabsichtigte. Das alte Schloß hatte in seiner Einfachheit eine so würdige, imponirende Form; nnn bat man eine Kuppel darauf gesetzt, uoch dazu auf einer Seite, die gar keine Front darbietet, die zwar vom Innern aus betrachtet, und wenn man vom Uebermaß der ein sich ziemlich indifferenten Bilder absieht, einen sehr guten Eindruck macht, die aber den Charakter des ganzen Gebäudes vollständig aufhebt. Zum Ueberfluß hat mau einen großen Laternenpfahl davor aufgestellt, auf dem ein goldnes vogel¬ artiges Wesen schwebt. Das soll eine Säule sein mit dem Adler der Hohen- zollern daraus. Diese dünnen Säulen, die nichts tragen, sondern blos für sich, selbst da sind, scheinen von dem leitenden Geschmack der neuen Unternehmungen mit besonderer Vorliebe betrachtet zu werden. Man hat sogar die schone Treppe des alten Museums mit zwei solchen Wegweisern entstellt. Das Uebermaß der neuen Geschmacksoerwirrung zeigt sich im neuen Museum. Wir, die wir noch Gelegenheit haben, das Werk in seinem Entstehen zu ver¬ folge», können uns an den einzelnen herrlichen Kunstwerken erfreue». Einer spätern Generation wird das nicht möglich sein, denn sie wird die einzelnen Gegenstände theils gar nicht mehr sehen können, theils durch die Ueberfülle des zu Sehenden so betäubt werden, daß sie jeden Versuch aufgiebt, etwas Bestimm¬ tes zu unterscheiden. Der Zweck eines Museums ist doch offenbar die Auf¬ bewahrung von allen Kunstschätzen, die durch eine angemessen deconrte Localität zugänglich gemacht und gehoben werden sollen. Dieser Zweck ist im alten Museum vollständig erreicht, wenn auch ihm leider in neuerer Zeit durch die in der Säulen¬ halle angebrachten Fresken zuwidergehandelt worden ist. Im neuen Museum scheint man dagegen den vollkommen entgegengesetzten Zweck zu verfolgen. Die bleichen Gypsabgüsse der Antike stehen in Sälen, die durch die glänzendsten und schreiendsten Farben verziert send. Es sind daraus Landschaften aus der antiken Welt angebracht, nicht in einfacher ruhiger Skizze, sondern mit den glänzendsten Lichtessecten der modernen Kunst. Diese Wandgemälde machen die Statuen vollständig todt. Man steht sich zuletzt veranlaßt, in ihnen nichts weiter zu finden, als unbequeme Hindernisse, die der Anschauung der Wand¬ gemälde im Wege stehen. Und was sind in diesen Gypsabgüssen für . Schätze enthalten! Im alten Museum standen sie in einer abgelegenen Kanuner bunt durcheinander, das gewöhnliche Publicum ging gar nicht hinein; wer aber eintrat, konnte sich mit jener Andacht und Ruhe, die das Studium der plastischen Kunst erfordert, der Anschauung hingeben. Davon ist im neuen Museum nicht die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/105>, abgerufen am 15.06.2024.