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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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heilen des Ballets, repräsentiren uns eine Reihe der anmuthigsten Erscheinungen;
aber sie spielen alle das nämliche Rollenfach und scheinen kaum über diesen Kreis
hinaus verwandt werden zu können. Eine junge Heldeuspielerin ist nach dem
Tode der Frau Thomas nicht vorhanden. Außerdem scheint es Styl zu sein,
daß nicht gern eine von diesen Damen in einer untergeordneten Rolle auftritt;
diese muß dann durch zweite oder dritte Kräfte besetzt werden, nud so kommt
selbst bei unbedeutenden Stücken kein gutes Ensemble heraus. Daraus geht nebenbei
der Uebelstand hervor, daß diese Damen,.wenn nicht ganz besondere Zeitumstände
eintreten, nnr, sehr selten beschäftigt werden. Nun muß ich freilich hinzusetzen,
daß der gegenwärtige Zustand nur ein provisorischer genannt werden kann, weil
auch die kleinsten Jntriguenstücke während des Ausbaues" des Schauspielhauses
in dem unendlich großen Opernhaus gespielt werden, wo an ein feines Spiel
nicht zu denken ist. -- In der Oper ist das weibliche Personal so musterhaft,
wie man es bei einem großen deutschen Theater nur verlangen kann. Fräulein
Wagner, Fran Köster, Frau Herrenbnrg - Tuczeck neben einander, und dazu noch
eine gute Zahl zweiter Kräfte, die zum Theil in ihrer Art ganz vvnrefflich sind,
das läßt kaum etwas zu, wünschen übrig. Unter den Sängern dagegen begegnen
wir außer Herr" Krause eigentlich "ur Mittelmäßigkeiten; denn die G>ößen der
alten Zeit, Herr Martius und Herr Ziesehe, sind kaum mehr zu rechnen. Die
Krone der Berliner Darstellung bleibt noch immer das Ballet, trotz der Ein¬
schränkungen, die man seit 18i0 darin hat einreden lassen. Man mag gegen
dieses zweifelhafte Genre der Kunst noch so sehr eingenommen sein, und auch ich
rechne mich in dieser Beziehung zu den Ungläul'igen, so wird man eine mit so
fal'elhafter Pracht ausgestattete und mit so viel Anmuth ausgeführte Darstellung,
wie die der Satanella, doch immer mit einigem Interesse ansehen. Fräulein
Marie Taglioni rivalisirt auch in diesem Augenblick um die Begeisterung des
Berliner Publicums, welches immer einen neue" Gegenstand verlangt, und seine
Treue nicht lange bewahrt, ganz.entschieden mit Fräulein Johanna Wagner.

Ich fing meine Skizzen mit der Behauptung an, daß Berlin Alles in Allem
betrachtet eine schöne Stadt sei, und ich schließe mit der Ansicht, daß die Berliner
anch ein sehr liebenswürdiges Völkchen sind. Ganz gewiß erfreut sich Berlin
eines größern Fonds an Narrheit, als irgend eine andere Stadt des Continents,
Paris nicht ausgenommen, und die Fremdlinge, die es nach Leipzig ans die Messe
schickt, sind wol "meer Allen am wenigsten dazu geeignet, den Sachsen eine vor¬
theilhafte Borstellnng beizubringen, aber man braucht nnr die Physiognomien zu
beobachten, die sich ans der Straße herumtreiben, so findet man so viel Be¬
weglichkeit, Durchtriebenheit, Anmnrh und gute Lanne, daß man das Geschäft deö
Flanircns mit einem gewissen Interesse treibt. Wer wäre wol im Stande, in
Dresden oder Leipzig zu flaniren! In einem frühern Aufsatz,' Ihres Blattes
war der Mangel an Solidität bei den Berlinern hervorgehoben, und ich will anch


heilen des Ballets, repräsentiren uns eine Reihe der anmuthigsten Erscheinungen;
aber sie spielen alle das nämliche Rollenfach und scheinen kaum über diesen Kreis
hinaus verwandt werden zu können. Eine junge Heldeuspielerin ist nach dem
Tode der Frau Thomas nicht vorhanden. Außerdem scheint es Styl zu sein,
daß nicht gern eine von diesen Damen in einer untergeordneten Rolle auftritt;
diese muß dann durch zweite oder dritte Kräfte besetzt werden, nud so kommt
selbst bei unbedeutenden Stücken kein gutes Ensemble heraus. Daraus geht nebenbei
der Uebelstand hervor, daß diese Damen,.wenn nicht ganz besondere Zeitumstände
eintreten, nnr, sehr selten beschäftigt werden. Nun muß ich freilich hinzusetzen,
daß der gegenwärtige Zustand nur ein provisorischer genannt werden kann, weil
auch die kleinsten Jntriguenstücke während des Ausbaues» des Schauspielhauses
in dem unendlich großen Opernhaus gespielt werden, wo an ein feines Spiel
nicht zu denken ist. — In der Oper ist das weibliche Personal so musterhaft,
wie man es bei einem großen deutschen Theater nur verlangen kann. Fräulein
Wagner, Fran Köster, Frau Herrenbnrg - Tuczeck neben einander, und dazu noch
eine gute Zahl zweiter Kräfte, die zum Theil in ihrer Art ganz vvnrefflich sind,
das läßt kaum etwas zu, wünschen übrig. Unter den Sängern dagegen begegnen
wir außer Herr» Krause eigentlich »ur Mittelmäßigkeiten; denn die G>ößen der
alten Zeit, Herr Martius und Herr Ziesehe, sind kaum mehr zu rechnen. Die
Krone der Berliner Darstellung bleibt noch immer das Ballet, trotz der Ein¬
schränkungen, die man seit 18i0 darin hat einreden lassen. Man mag gegen
dieses zweifelhafte Genre der Kunst noch so sehr eingenommen sein, und auch ich
rechne mich in dieser Beziehung zu den Ungläul'igen, so wird man eine mit so
fal'elhafter Pracht ausgestattete und mit so viel Anmuth ausgeführte Darstellung,
wie die der Satanella, doch immer mit einigem Interesse ansehen. Fräulein
Marie Taglioni rivalisirt auch in diesem Augenblick um die Begeisterung des
Berliner Publicums, welches immer einen neue» Gegenstand verlangt, und seine
Treue nicht lange bewahrt, ganz.entschieden mit Fräulein Johanna Wagner.

Ich fing meine Skizzen mit der Behauptung an, daß Berlin Alles in Allem
betrachtet eine schöne Stadt sei, und ich schließe mit der Ansicht, daß die Berliner
anch ein sehr liebenswürdiges Völkchen sind. Ganz gewiß erfreut sich Berlin
eines größern Fonds an Narrheit, als irgend eine andere Stadt des Continents,
Paris nicht ausgenommen, und die Fremdlinge, die es nach Leipzig ans die Messe
schickt, sind wol »meer Allen am wenigsten dazu geeignet, den Sachsen eine vor¬
theilhafte Borstellnng beizubringen, aber man braucht nnr die Physiognomien zu
beobachten, die sich ans der Straße herumtreiben, so findet man so viel Be¬
weglichkeit, Durchtriebenheit, Anmnrh und gute Lanne, daß man das Geschäft deö
Flanircns mit einem gewissen Interesse treibt. Wer wäre wol im Stande, in
Dresden oder Leipzig zu flaniren! In einem frühern Aufsatz,' Ihres Blattes
war der Mangel an Solidität bei den Berlinern hervorgehoben, und ich will anch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/111>, abgerufen am 15.06.2024.