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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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phänvmenologischen Styl gehalten ist/ werden die verschiedenen Stufen der Vergött¬
lichung des Weibes durchgenommen; zuerst Venus Anadyomene, dann Madonna
und Magdalene, endlich die Göttin der Vernunft. In diesem letzten? wird gesagt,
die erste Göttin der Vernunft sei zwar dem muthigen Beginnen erlegen, weil sie
zu schwach gewesen, aber: "Folgt ihr nach, ihr Jüngerinnen! Dringt kräftiger
zum Siege hin! .... Laßt euch durch Erd und Himmel tragen, und wird anch
zu des Abgrunds Thor die Seele ruhelos gestoßen, so zieht des Denkers Hölle
vor dem Himmel der Gedankenlosen. Des Weibes Ziel und Glück auf Erden wird
nur durch deu Gedanken klar.... Von keiner fremden Gnadcusvuue, durch eignen
Zauber nur verklärt, so sei als Venus, als Madonne, das Weib, das irdische,
verehrt!" Und wenn das geschehen sein wird: "So denkt der stillen Götterlciche,
die an der Zukunft Pforten lag .... dann flechtet in die Dornenkronen der
Rose Pracht, des Lorbeers Ruhm, die Göttin der Vernunft soll thronen in freier
Frauen Heiligthum!"

Wir wollen einmal vorläufig von dem Inhalt selbst absehen, aber wie in
aller Welt steht dieser Inhalt mit dem Gedicht in Verbindung? Marie hat sich
ja nicht freiwillig als freies Weib, als Prophetin, als Göttin aufgestellt, sie ist
eine treue Gattin gewesen, und nur durch den spitzbübischen Chaumette, um ihren
Gatten zu retten, zu jener unpassenden und unheiligen Rolle verführt worden.
Was hat sie also eigentlich gethan, worin ihr die Jüngerinnen nachfolgen sollen?
Sie ist dupirt worden und hat darüber deu Verstand verloren; das ist doch
gewiß kein sehr einladendes Vorbild.

Um nun aus die Sache selbst zu kommen, so wäre es wol endlich Zeit, dem
nachgerade sehr langweiligen Geschwätz von der Weiberemancipatiou ein Ende zu
machen. Man sollte glauben, wir lebten noch bei den Türken, oder wenigstens,
die katholische Weltanschauung, die den Sinnengenuß als Frevel bezeichnet, und
ihn durch das Verbot gerade um so verführerischer macht, habe noch Gewalt über
uns. Wir sind aber Protestante", wir haben das Fleisch bereits emancipirt, und
keinem Liebenden fällt es ein, in seiner Geliebten blos die Madonna spiritualistisch
verehren zu wollen. Der Dichter sagt: "Es wird ein glücklicher Geschlecht
zu einem Kranz die Blumen winden: Der Sinne Reiz und schönes Recht, der
Seele Schmelz und tief Empfinden!" und er unterstreicht diesen Gedanken, um
ihn noch besonders hervorzuheben. Aber wo in aller Welt lebt denn Herr Gott-
schall? Wir haben von einem gewissen Goethe gehört, der in seinen zahllosen
Gedichten nichts Anderes gethan hat, als diesen Reiz der Sinne und diesen
Schmelz der Seele mit einander zu versöhnen, und vor und nach diesem Goethe
haben die Dichter zu Hunderten dieselbe Melodie angestimmt, und was die Dichter
gesungen haben, das haben die anderen Leute gethan. Welchem Menschen auf
der Welt fällt es denn noch ein, zu läugnen, daß in der Liebe sich Geistiges und
Sinnliches ebenbürtig paare? Worin soll also die Emancipation der Sinne eigentlich


phänvmenologischen Styl gehalten ist/ werden die verschiedenen Stufen der Vergött¬
lichung des Weibes durchgenommen; zuerst Venus Anadyomene, dann Madonna
und Magdalene, endlich die Göttin der Vernunft. In diesem letzten? wird gesagt,
die erste Göttin der Vernunft sei zwar dem muthigen Beginnen erlegen, weil sie
zu schwach gewesen, aber: „Folgt ihr nach, ihr Jüngerinnen! Dringt kräftiger
zum Siege hin! .... Laßt euch durch Erd und Himmel tragen, und wird anch
zu des Abgrunds Thor die Seele ruhelos gestoßen, so zieht des Denkers Hölle
vor dem Himmel der Gedankenlosen. Des Weibes Ziel und Glück auf Erden wird
nur durch deu Gedanken klar.... Von keiner fremden Gnadcusvuue, durch eignen
Zauber nur verklärt, so sei als Venus, als Madonne, das Weib, das irdische,
verehrt!" Und wenn das geschehen sein wird: „So denkt der stillen Götterlciche,
die an der Zukunft Pforten lag .... dann flechtet in die Dornenkronen der
Rose Pracht, des Lorbeers Ruhm, die Göttin der Vernunft soll thronen in freier
Frauen Heiligthum!"

Wir wollen einmal vorläufig von dem Inhalt selbst absehen, aber wie in
aller Welt steht dieser Inhalt mit dem Gedicht in Verbindung? Marie hat sich
ja nicht freiwillig als freies Weib, als Prophetin, als Göttin aufgestellt, sie ist
eine treue Gattin gewesen, und nur durch den spitzbübischen Chaumette, um ihren
Gatten zu retten, zu jener unpassenden und unheiligen Rolle verführt worden.
Was hat sie also eigentlich gethan, worin ihr die Jüngerinnen nachfolgen sollen?
Sie ist dupirt worden und hat darüber deu Verstand verloren; das ist doch
gewiß kein sehr einladendes Vorbild.

Um nun aus die Sache selbst zu kommen, so wäre es wol endlich Zeit, dem
nachgerade sehr langweiligen Geschwätz von der Weiberemancipatiou ein Ende zu
machen. Man sollte glauben, wir lebten noch bei den Türken, oder wenigstens,
die katholische Weltanschauung, die den Sinnengenuß als Frevel bezeichnet, und
ihn durch das Verbot gerade um so verführerischer macht, habe noch Gewalt über
uns. Wir sind aber Protestante», wir haben das Fleisch bereits emancipirt, und
keinem Liebenden fällt es ein, in seiner Geliebten blos die Madonna spiritualistisch
verehren zu wollen. Der Dichter sagt: „Es wird ein glücklicher Geschlecht
zu einem Kranz die Blumen winden: Der Sinne Reiz und schönes Recht, der
Seele Schmelz und tief Empfinden!" und er unterstreicht diesen Gedanken, um
ihn noch besonders hervorzuheben. Aber wo in aller Welt lebt denn Herr Gott-
schall? Wir haben von einem gewissen Goethe gehört, der in seinen zahllosen
Gedichten nichts Anderes gethan hat, als diesen Reiz der Sinne und diesen
Schmelz der Seele mit einander zu versöhnen, und vor und nach diesem Goethe
haben die Dichter zu Hunderten dieselbe Melodie angestimmt, und was die Dichter
gesungen haben, das haben die anderen Leute gethan. Welchem Menschen auf
der Welt fällt es denn noch ein, zu läugnen, daß in der Liebe sich Geistiges und
Sinnliches ebenbürtig paare? Worin soll also die Emancipation der Sinne eigentlich


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[0136] phänvmenologischen Styl gehalten ist/ werden die verschiedenen Stufen der Vergött¬ lichung des Weibes durchgenommen; zuerst Venus Anadyomene, dann Madonna und Magdalene, endlich die Göttin der Vernunft. In diesem letzten? wird gesagt, die erste Göttin der Vernunft sei zwar dem muthigen Beginnen erlegen, weil sie zu schwach gewesen, aber: „Folgt ihr nach, ihr Jüngerinnen! Dringt kräftiger zum Siege hin! .... Laßt euch durch Erd und Himmel tragen, und wird anch zu des Abgrunds Thor die Seele ruhelos gestoßen, so zieht des Denkers Hölle vor dem Himmel der Gedankenlosen. Des Weibes Ziel und Glück auf Erden wird nur durch deu Gedanken klar.... Von keiner fremden Gnadcusvuue, durch eignen Zauber nur verklärt, so sei als Venus, als Madonne, das Weib, das irdische, verehrt!" Und wenn das geschehen sein wird: „So denkt der stillen Götterlciche, die an der Zukunft Pforten lag .... dann flechtet in die Dornenkronen der Rose Pracht, des Lorbeers Ruhm, die Göttin der Vernunft soll thronen in freier Frauen Heiligthum!" Wir wollen einmal vorläufig von dem Inhalt selbst absehen, aber wie in aller Welt steht dieser Inhalt mit dem Gedicht in Verbindung? Marie hat sich ja nicht freiwillig als freies Weib, als Prophetin, als Göttin aufgestellt, sie ist eine treue Gattin gewesen, und nur durch den spitzbübischen Chaumette, um ihren Gatten zu retten, zu jener unpassenden und unheiligen Rolle verführt worden. Was hat sie also eigentlich gethan, worin ihr die Jüngerinnen nachfolgen sollen? Sie ist dupirt worden und hat darüber deu Verstand verloren; das ist doch gewiß kein sehr einladendes Vorbild. Um nun aus die Sache selbst zu kommen, so wäre es wol endlich Zeit, dem nachgerade sehr langweiligen Geschwätz von der Weiberemancipatiou ein Ende zu machen. Man sollte glauben, wir lebten noch bei den Türken, oder wenigstens, die katholische Weltanschauung, die den Sinnengenuß als Frevel bezeichnet, und ihn durch das Verbot gerade um so verführerischer macht, habe noch Gewalt über uns. Wir sind aber Protestante», wir haben das Fleisch bereits emancipirt, und keinem Liebenden fällt es ein, in seiner Geliebten blos die Madonna spiritualistisch verehren zu wollen. Der Dichter sagt: „Es wird ein glücklicher Geschlecht zu einem Kranz die Blumen winden: Der Sinne Reiz und schönes Recht, der Seele Schmelz und tief Empfinden!" und er unterstreicht diesen Gedanken, um ihn noch besonders hervorzuheben. Aber wo in aller Welt lebt denn Herr Gott- schall? Wir haben von einem gewissen Goethe gehört, der in seinen zahllosen Gedichten nichts Anderes gethan hat, als diesen Reiz der Sinne und diesen Schmelz der Seele mit einander zu versöhnen, und vor und nach diesem Goethe haben die Dichter zu Hunderten dieselbe Melodie angestimmt, und was die Dichter gesungen haben, das haben die anderen Leute gethan. Welchem Menschen auf der Welt fällt es denn noch ein, zu läugnen, daß in der Liebe sich Geistiges und Sinnliches ebenbürtig paare? Worin soll also die Emancipation der Sinne eigentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/136>, abgerufen am 16.06.2024.