Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Verwerfliches im Einzelnen der Proselytenmacherei unwidersprechlich geschehen läßt:
seine eigene Grundgcsimmng dabei kauu allem von denen mißschätzt werden, welche
Pflichten überhaupt nicht mehr, sondern nur noch natürliche Regungen anerkennen
wollen. Ich meines Theils habe in aufrichtiger Achtung vor dem ehrenwerthen
Charakter seines Irrthums fortgearbeitet.

Doch können ehrenwerthe Irrthümer nichts desto weniger verderbliche sein: und
dieser ist es. Denn so sehr die katholische Kirche, seit der deutsche Mann Gottes
Luther gegen sie gekämpft hat, eben durch die Rückwirkung der Reformation sich
gereinigt haben mag: so verlangt sie von uns Protestanten doch noch ganz wie
sonst, daß wir Gottes Wort Lügen strafen und es vertauschen sollen gegen
Meuschensatzung. Wider derlei Ansinnen aber, einerlei ob sie in guter Meinung
geschehen, haben wir deu uus anvertrauten Schatz nach wie vor zu vertheidigen
und sollen darüber einst Rechenschaft legen.

Gerade im gegenwärtigen Augenblicke ist es besonders nöthig, daß wir uns
wehren; scheint aber so klar nicht erkannt zu werden, wie es sollte. Auch durch¬
kreuzen sich allerdings die Verhältnisse. Nach langen Jahren des Druckes, der
auf Christenthum und Kirche überhaupt gelastet hat, beginnt znerst die katholische
wieder sich zu erheben: uugebeugteu Muthes, geläutert, bereits im Besitze einer
Macht und deren Steigen mit steigender Kühnheit empfindend; eine imposante
historische Erscheinung. Diese Zeichen erwachenden kirchlichen Lebens mag auch
die evangelische.Kirche, die nicht minder gelitten hat, mit Freuden begrüßen.
Diejenigen aber, denen es wesentlich auf das Interessante, auf das Schauspiel
energischer Kraftentwickelung ankommt, blendet der Vorgang; und denen, die vom
Christenthum noch unberührt waren, und von der Geschichte nichts wissen, giebt er
die Idee, solche christliche Macht sei allein dem Katholicismus eigen. Andere
blicken entmuthigt und hoffnungslos auf den betrübten Zustand der meisten evan¬
gelischen Landeskirchen, welche uicht allem untereinander ohne vereinigendes Band,
sondern auch jede in sich selbst zerfahren und darin unbedingt ungünstiger, als die
katholische Kirche gestellt siud, daß halbgebildete, anspruchsvolle Rohheit sich in
ihnen ungehindert geltend macht, während beiden Katholiken diese wenigstens in
die gebührende Unterordnung verwiesen wird. Weil endlich die Solidarität der
radicalen Bestrebungen zu Tage liegt, so glaube" noch Andere politisch wenigstens
mit dem Katholicismus sympathisiren zu müssen, der, wie erwähnt, wirksamer als
die evangelische Kirche dazu thun könne, die zersetzenden Elemente im Staat nicht
auskommen zu lassen. Dabei vergessen sie, daß er in seinen eigensten Gebieten
der Revolution am wenigsten zu begegnen gewußt hat und daß ihm die Staats¬
form überhaupt als secundair und zufällig erscheint, wenn sie sich nur dem allein
göttlichen Rechte der Kirche fügt; daß ihm daher eine demokratische Republik, in
der die Kirche herrscht, ohne alle Frage lieber ist, als eine legitime Monarchie,
in welcher sie nicht herrscht. Das Beispiel des französischen Clerus ist sehr lehr-


Verwerfliches im Einzelnen der Proselytenmacherei unwidersprechlich geschehen läßt:
seine eigene Grundgcsimmng dabei kauu allem von denen mißschätzt werden, welche
Pflichten überhaupt nicht mehr, sondern nur noch natürliche Regungen anerkennen
wollen. Ich meines Theils habe in aufrichtiger Achtung vor dem ehrenwerthen
Charakter seines Irrthums fortgearbeitet.

Doch können ehrenwerthe Irrthümer nichts desto weniger verderbliche sein: und
dieser ist es. Denn so sehr die katholische Kirche, seit der deutsche Mann Gottes
Luther gegen sie gekämpft hat, eben durch die Rückwirkung der Reformation sich
gereinigt haben mag: so verlangt sie von uns Protestanten doch noch ganz wie
sonst, daß wir Gottes Wort Lügen strafen und es vertauschen sollen gegen
Meuschensatzung. Wider derlei Ansinnen aber, einerlei ob sie in guter Meinung
geschehen, haben wir deu uus anvertrauten Schatz nach wie vor zu vertheidigen
und sollen darüber einst Rechenschaft legen.

Gerade im gegenwärtigen Augenblicke ist es besonders nöthig, daß wir uns
wehren; scheint aber so klar nicht erkannt zu werden, wie es sollte. Auch durch¬
kreuzen sich allerdings die Verhältnisse. Nach langen Jahren des Druckes, der
auf Christenthum und Kirche überhaupt gelastet hat, beginnt znerst die katholische
wieder sich zu erheben: uugebeugteu Muthes, geläutert, bereits im Besitze einer
Macht und deren Steigen mit steigender Kühnheit empfindend; eine imposante
historische Erscheinung. Diese Zeichen erwachenden kirchlichen Lebens mag auch
die evangelische.Kirche, die nicht minder gelitten hat, mit Freuden begrüßen.
Diejenigen aber, denen es wesentlich auf das Interessante, auf das Schauspiel
energischer Kraftentwickelung ankommt, blendet der Vorgang; und denen, die vom
Christenthum noch unberührt waren, und von der Geschichte nichts wissen, giebt er
die Idee, solche christliche Macht sei allein dem Katholicismus eigen. Andere
blicken entmuthigt und hoffnungslos auf den betrübten Zustand der meisten evan¬
gelischen Landeskirchen, welche uicht allem untereinander ohne vereinigendes Band,
sondern auch jede in sich selbst zerfahren und darin unbedingt ungünstiger, als die
katholische Kirche gestellt siud, daß halbgebildete, anspruchsvolle Rohheit sich in
ihnen ungehindert geltend macht, während beiden Katholiken diese wenigstens in
die gebührende Unterordnung verwiesen wird. Weil endlich die Solidarität der
radicalen Bestrebungen zu Tage liegt, so glaube» noch Andere politisch wenigstens
mit dem Katholicismus sympathisiren zu müssen, der, wie erwähnt, wirksamer als
die evangelische Kirche dazu thun könne, die zersetzenden Elemente im Staat nicht
auskommen zu lassen. Dabei vergessen sie, daß er in seinen eigensten Gebieten
der Revolution am wenigsten zu begegnen gewußt hat und daß ihm die Staats¬
form überhaupt als secundair und zufällig erscheint, wenn sie sich nur dem allein
göttlichen Rechte der Kirche fügt; daß ihm daher eine demokratische Republik, in
der die Kirche herrscht, ohne alle Frage lieber ist, als eine legitime Monarchie,
in welcher sie nicht herrscht. Das Beispiel des französischen Clerus ist sehr lehr-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95124"/>
          <p xml:id="ID_372" prev="#ID_371"> Verwerfliches im Einzelnen der Proselytenmacherei unwidersprechlich geschehen läßt:<lb/>
seine eigene Grundgcsimmng dabei kauu allem von denen mißschätzt werden, welche<lb/>
Pflichten überhaupt nicht mehr, sondern nur noch natürliche Regungen anerkennen<lb/>
wollen. Ich meines Theils habe in aufrichtiger Achtung vor dem ehrenwerthen<lb/>
Charakter seines Irrthums fortgearbeitet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_373"> Doch können ehrenwerthe Irrthümer nichts desto weniger verderbliche sein: und<lb/>
dieser ist es. Denn so sehr die katholische Kirche, seit der deutsche Mann Gottes<lb/>
Luther gegen sie gekämpft hat, eben durch die Rückwirkung der Reformation sich<lb/>
gereinigt haben mag: so verlangt sie von uns Protestanten doch noch ganz wie<lb/>
sonst, daß wir Gottes Wort Lügen strafen und es vertauschen sollen gegen<lb/>
Meuschensatzung. Wider derlei Ansinnen aber, einerlei ob sie in guter Meinung<lb/>
geschehen, haben wir deu uus anvertrauten Schatz nach wie vor zu vertheidigen<lb/>
und sollen darüber einst Rechenschaft legen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_374" next="#ID_375"> Gerade im gegenwärtigen Augenblicke ist es besonders nöthig, daß wir uns<lb/>
wehren; scheint aber so klar nicht erkannt zu werden, wie es sollte. Auch durch¬<lb/>
kreuzen sich allerdings die Verhältnisse. Nach langen Jahren des Druckes, der<lb/>
auf Christenthum und Kirche überhaupt gelastet hat, beginnt znerst die katholische<lb/>
wieder sich zu erheben: uugebeugteu Muthes, geläutert, bereits im Besitze einer<lb/>
Macht und deren Steigen mit steigender Kühnheit empfindend; eine imposante<lb/>
historische Erscheinung. Diese Zeichen erwachenden kirchlichen Lebens mag auch<lb/>
die evangelische.Kirche, die nicht minder gelitten hat, mit Freuden begrüßen.<lb/>
Diejenigen aber, denen es wesentlich auf das Interessante, auf das Schauspiel<lb/>
energischer Kraftentwickelung ankommt, blendet der Vorgang; und denen, die vom<lb/>
Christenthum noch unberührt waren, und von der Geschichte nichts wissen, giebt er<lb/>
die Idee, solche christliche Macht sei allein dem Katholicismus eigen. Andere<lb/>
blicken entmuthigt und hoffnungslos auf den betrübten Zustand der meisten evan¬<lb/>
gelischen Landeskirchen, welche uicht allem untereinander ohne vereinigendes Band,<lb/>
sondern auch jede in sich selbst zerfahren und darin unbedingt ungünstiger, als die<lb/>
katholische Kirche gestellt siud, daß halbgebildete, anspruchsvolle Rohheit sich in<lb/>
ihnen ungehindert geltend macht, während beiden Katholiken diese wenigstens in<lb/>
die gebührende Unterordnung verwiesen wird. Weil endlich die Solidarität der<lb/>
radicalen Bestrebungen zu Tage liegt, so glaube» noch Andere politisch wenigstens<lb/>
mit dem Katholicismus sympathisiren zu müssen, der, wie erwähnt, wirksamer als<lb/>
die evangelische Kirche dazu thun könne, die zersetzenden Elemente im Staat nicht<lb/>
auskommen zu lassen. Dabei vergessen sie, daß er in seinen eigensten Gebieten<lb/>
der Revolution am wenigsten zu begegnen gewußt hat und daß ihm die Staats¬<lb/>
form überhaupt als secundair und zufällig erscheint, wenn sie sich nur dem allein<lb/>
göttlichen Rechte der Kirche fügt; daß ihm daher eine demokratische Republik, in<lb/>
der die Kirche herrscht, ohne alle Frage lieber ist, als eine legitime Monarchie,<lb/>
in welcher sie nicht herrscht. Das Beispiel des französischen Clerus ist sehr lehr-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0143] Verwerfliches im Einzelnen der Proselytenmacherei unwidersprechlich geschehen läßt: seine eigene Grundgcsimmng dabei kauu allem von denen mißschätzt werden, welche Pflichten überhaupt nicht mehr, sondern nur noch natürliche Regungen anerkennen wollen. Ich meines Theils habe in aufrichtiger Achtung vor dem ehrenwerthen Charakter seines Irrthums fortgearbeitet. Doch können ehrenwerthe Irrthümer nichts desto weniger verderbliche sein: und dieser ist es. Denn so sehr die katholische Kirche, seit der deutsche Mann Gottes Luther gegen sie gekämpft hat, eben durch die Rückwirkung der Reformation sich gereinigt haben mag: so verlangt sie von uns Protestanten doch noch ganz wie sonst, daß wir Gottes Wort Lügen strafen und es vertauschen sollen gegen Meuschensatzung. Wider derlei Ansinnen aber, einerlei ob sie in guter Meinung geschehen, haben wir deu uus anvertrauten Schatz nach wie vor zu vertheidigen und sollen darüber einst Rechenschaft legen. Gerade im gegenwärtigen Augenblicke ist es besonders nöthig, daß wir uns wehren; scheint aber so klar nicht erkannt zu werden, wie es sollte. Auch durch¬ kreuzen sich allerdings die Verhältnisse. Nach langen Jahren des Druckes, der auf Christenthum und Kirche überhaupt gelastet hat, beginnt znerst die katholische wieder sich zu erheben: uugebeugteu Muthes, geläutert, bereits im Besitze einer Macht und deren Steigen mit steigender Kühnheit empfindend; eine imposante historische Erscheinung. Diese Zeichen erwachenden kirchlichen Lebens mag auch die evangelische.Kirche, die nicht minder gelitten hat, mit Freuden begrüßen. Diejenigen aber, denen es wesentlich auf das Interessante, auf das Schauspiel energischer Kraftentwickelung ankommt, blendet der Vorgang; und denen, die vom Christenthum noch unberührt waren, und von der Geschichte nichts wissen, giebt er die Idee, solche christliche Macht sei allein dem Katholicismus eigen. Andere blicken entmuthigt und hoffnungslos auf den betrübten Zustand der meisten evan¬ gelischen Landeskirchen, welche uicht allem untereinander ohne vereinigendes Band, sondern auch jede in sich selbst zerfahren und darin unbedingt ungünstiger, als die katholische Kirche gestellt siud, daß halbgebildete, anspruchsvolle Rohheit sich in ihnen ungehindert geltend macht, während beiden Katholiken diese wenigstens in die gebührende Unterordnung verwiesen wird. Weil endlich die Solidarität der radicalen Bestrebungen zu Tage liegt, so glaube» noch Andere politisch wenigstens mit dem Katholicismus sympathisiren zu müssen, der, wie erwähnt, wirksamer als die evangelische Kirche dazu thun könne, die zersetzenden Elemente im Staat nicht auskommen zu lassen. Dabei vergessen sie, daß er in seinen eigensten Gebieten der Revolution am wenigsten zu begegnen gewußt hat und daß ihm die Staats¬ form überhaupt als secundair und zufällig erscheint, wenn sie sich nur dem allein göttlichen Rechte der Kirche fügt; daß ihm daher eine demokratische Republik, in der die Kirche herrscht, ohne alle Frage lieber ist, als eine legitime Monarchie, in welcher sie nicht herrscht. Das Beispiel des französischen Clerus ist sehr lehr-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/143
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/143>, abgerufen am 15.06.2024.