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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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man interessante Beobachtungen machen. Hier liegen die großen Thunfische,
die gleich dem Fleisch in unsren Schlachtbänken mit dem Beile zerhackt und pfund¬
weise verkauft werden, da sie für den Bedarf einer Familie zu viel Gewicht haben
und mehrere Dutzende von hungrigen Mägen zu sättigen vermögen; daneben
Spielarten der Delphine, Seeteufel und weiß Gott noch was für verschiedene
Gattungen, oft von den schönsten Farben, von den seltsamsten Formen. Und nun
gar die Mollusken, die häufig ein nichts weniger als Appetit erweckendes Aeußere
haben, obgleich sie von den unteren Ständen leidenschaftlich gegessen werden.
Ein beständiges Gewühl herrscht besonders in den Morgenstunden von 6--8 Uhr
auf diesem Fischmarkte. Viele Hunderte von Frauen und Männern strömen dann
aus der Stadt herbei, ihre Einkäufe zu machen, und da in Italien nichts ohne
Lärm und Geschrei abgehen kann, so schwirren und summen alle möglichen Töne
betäubend durch einander. Um ein Paar Fische für wenige Kupfermünzen ein¬
zukaufen, macht der Geruche viel mehr Worte, entfaltet einen weit größern Auf¬
wand von Redekünsten, als der englische Kaufmann bedarf, wenn es sich um ein
Geschäft von vielleicht mehreren hundert Tausend Pfunden handelt. In dieser
außer" Lebendigkeit, dieser Volubilität der Zunge, besonders im Handeln und
Feilschen, haben die Italiener viele Aehnlichkeit mit den Jsraeliten. Es kann auf
einem jüdischen Trödelmarkt wahrlich nicht geräuschvoller zugehen, als auf dem
Genueser Fischmarkt. -- Kommt man durch Zufall um die Mittagsstunden von
12 --3 Uhr während der Zeit der Siesta in den Hafen und in die Straßen,
die an demselben liegen, so steht man überall ganz andere Bilder, wie am Mor¬
gen. Die geschäftige Thätigkeit ist verschwunden und hat der tiefsten Ruhe Platz
gemacht. Zu ganzen Schaaren auf dem Boden hingestreckt liegen die Fachiui
schlafend umher, und selbst das Anerbieten doppelten Lohnes wird Keinen dem¬
selben bewegen, sich in dem Genuß der "Siesta" unterbrechen zu lassen. Auch die
Bootsführer, die sonst überall den Fremden mit der Aufforderung bestürmen, sich
ihrer Fahrzeuge zu bedienen, schweigen gänzlich. Aus ihren Segeln haben die¬
selben sich eine Art wie Schattendach über ihre Böte gemacht und liegen auf dem
Boden derselben, entweder im tiefen Schlummer, oder doch im seligen clolee km-
nlenw versunken. Ich glaube, die Bootsführer, Fiacres, Eselstreiber u. s. w.
haben in ganz Genua das Recht, während der Zeit von 12--3 oder i- Uhr er¬
höhte Preise zu verlangen, und obgleich sie dasselbe gewiß benutzen, den Fremden
noch mehr wie gewöhnlich zu prellen, so sind sie während dieser Zeit doch äußerst
schwer zu irgeud einer Thätigkeit zu bewegen. Auch die Schiffe der fremden
Nationen sind gänzlich ausgestorben. Die Matrosen, von dem frühen Aufstehen
ermüdet, liegen größtentheils schlafend umher, und auch die Nordländer fügen
s^h gern der hiesigen vom Klima gebotenen Sitte. Schläfrig und verdrossen
lehnen die Douanieri, welche die Thore , die aus dem Hafen in die Stadt führen,
bewachen, denn Genua hat einen Freihafen, der von dem sardinischen Gebiet


man interessante Beobachtungen machen. Hier liegen die großen Thunfische,
die gleich dem Fleisch in unsren Schlachtbänken mit dem Beile zerhackt und pfund¬
weise verkauft werden, da sie für den Bedarf einer Familie zu viel Gewicht haben
und mehrere Dutzende von hungrigen Mägen zu sättigen vermögen; daneben
Spielarten der Delphine, Seeteufel und weiß Gott noch was für verschiedene
Gattungen, oft von den schönsten Farben, von den seltsamsten Formen. Und nun
gar die Mollusken, die häufig ein nichts weniger als Appetit erweckendes Aeußere
haben, obgleich sie von den unteren Ständen leidenschaftlich gegessen werden.
Ein beständiges Gewühl herrscht besonders in den Morgenstunden von 6—8 Uhr
auf diesem Fischmarkte. Viele Hunderte von Frauen und Männern strömen dann
aus der Stadt herbei, ihre Einkäufe zu machen, und da in Italien nichts ohne
Lärm und Geschrei abgehen kann, so schwirren und summen alle möglichen Töne
betäubend durch einander. Um ein Paar Fische für wenige Kupfermünzen ein¬
zukaufen, macht der Geruche viel mehr Worte, entfaltet einen weit größern Auf¬
wand von Redekünsten, als der englische Kaufmann bedarf, wenn es sich um ein
Geschäft von vielleicht mehreren hundert Tausend Pfunden handelt. In dieser
außer« Lebendigkeit, dieser Volubilität der Zunge, besonders im Handeln und
Feilschen, haben die Italiener viele Aehnlichkeit mit den Jsraeliten. Es kann auf
einem jüdischen Trödelmarkt wahrlich nicht geräuschvoller zugehen, als auf dem
Genueser Fischmarkt. — Kommt man durch Zufall um die Mittagsstunden von
12 —3 Uhr während der Zeit der Siesta in den Hafen und in die Straßen,
die an demselben liegen, so steht man überall ganz andere Bilder, wie am Mor¬
gen. Die geschäftige Thätigkeit ist verschwunden und hat der tiefsten Ruhe Platz
gemacht. Zu ganzen Schaaren auf dem Boden hingestreckt liegen die Fachiui
schlafend umher, und selbst das Anerbieten doppelten Lohnes wird Keinen dem¬
selben bewegen, sich in dem Genuß der „Siesta" unterbrechen zu lassen. Auch die
Bootsführer, die sonst überall den Fremden mit der Aufforderung bestürmen, sich
ihrer Fahrzeuge zu bedienen, schweigen gänzlich. Aus ihren Segeln haben die¬
selben sich eine Art wie Schattendach über ihre Böte gemacht und liegen auf dem
Boden derselben, entweder im tiefen Schlummer, oder doch im seligen clolee km-
nlenw versunken. Ich glaube, die Bootsführer, Fiacres, Eselstreiber u. s. w.
haben in ganz Genua das Recht, während der Zeit von 12—3 oder i- Uhr er¬
höhte Preise zu verlangen, und obgleich sie dasselbe gewiß benutzen, den Fremden
noch mehr wie gewöhnlich zu prellen, so sind sie während dieser Zeit doch äußerst
schwer zu irgeud einer Thätigkeit zu bewegen. Auch die Schiffe der fremden
Nationen sind gänzlich ausgestorben. Die Matrosen, von dem frühen Aufstehen
ermüdet, liegen größtentheils schlafend umher, und auch die Nordländer fügen
s^h gern der hiesigen vom Klima gebotenen Sitte. Schläfrig und verdrossen
lehnen die Douanieri, welche die Thore , die aus dem Hafen in die Stadt führen,
bewachen, denn Genua hat einen Freihafen, der von dem sardinischen Gebiet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/17>, abgerufen am 16.05.2024.