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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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durch eine Zolllinie getrennt ist, sich an den Mauern umher, und schlössen gar
gern die Augen, wenn ihre um diese Zeit doppelt harte Pflicht ihnen nicht strenge
gehste, dieselben wenigstens halb offen zu halten. Es muß zur Zeit der Siesta
in Genua leicht sein, zu schmuggeln oder zu stehlen. Die einzig Wachenden, die
ich bei einigen Wanderungen um die Mittagsstunde im Hafen sand, waren solche,
die das bekannte italienische Spiel "1a morro" spielten. Wenn Alles ringsumher
schlief, erlahmte ihr Eiser nicht. Im Schatten einer Mauer niedergekauert
gestiknlirten unaufhörlich, gleich den Armen eines Telegraphen, die geöffneten Hände
mit den ausgespreizten Fingern vor den Gesichtern der Spielenden, war un¬
geschwächt der gellende Ausruf der Zahlen der gegenseitigen Gegner. Und mit
welcher Leidenschaftlichkeit wird dieses Morra hier gespielt! Selbst in den glän¬
zenden Spielhöllen von Baden-Baden und Homburg, wo man doch sonst Gelegen¬
heit genug hat, die menschliche Natur in ihrer nackten Erbärmlichkeit zu beobachten,
sah ich solche Gier, solche Habsucht nicht als hier, wo es sich nur um einige Ba-
jochi handelte. Die dunklen Augen der Spieler schienen Feuer zu sprühen, solche
Gluth brannte in ihnen; zur scheußlichen Maske verzerrt waren alle Züge des
Gesichts und weit hervorgestreckt, gleich als wollten sie die schmuzigen Kupfer¬
münzen verschlingen, die geöffneten Kinnbacken mit den gelbweißen Zähnen. Be¬
sonders an einem alten Paar dieser 1a morra-Spieler, das ich häusig im Hafen
sah , habe ich diese Beobachtung gemacht. Auch die Ausdauer, womit dasselbe
dieses Spiel trieb, war um so erstaunenswerther, da sonst Ausdauer gerade nicht
zu den Haupteigenschaften der Italiener gehört. Ich fuhr einmal des Morgens
gegen K Uhr am Bord einiger Schiffe, wo ich etwas zu thun hatte, und wie ich
mich gegen 2 Uhr Mittags wieder zurückruderu ließ, fand ich dieses Spielerpaar
noch ganz an gleichem Platze und in derselben Körperlage, in der sie waren, wie
ich am Morgen an ihnen vorübergegangen war. So hatten dieselben schon an
8 Stunden unausgesetzt dieses einfache Spiel getrieben, und ihr Eiser war noch
nicht im mindesten im Abnehmen begriffen.

Nach 3 Uhr Nachmittags beginnt wieder die Lebendigkeit im Hafen und
dauert bis zum Sonnenuntergang fort. Köstlich waren die Fahrten, die ich häufig
noch in der Kühle des Abends aus dem Meere machte. Fuhr ich des Morgens
um i Uhr fast stets allein aus, um ein Seebad zu nehmen, bevor mich von
6--12 Uhr der Schreibtisch in meinem Zimmer fesselte, wo nach eingenommener
leichter Mahlzeit die Siesta von 1--i Uhr nach gut italienischer Sitte ge¬
halten wurde, so vereinigten wir uns des Abends gewöhnlich zu größerer
Gesellschaft. Ein Sardinischer Generalstabsofficier, ein angenehmer, gebildeter,
viel gereifter Mann, ein Pole, der als Ingenieur in sardinischen Diensten stand,
ein englischer Marine-Capitain auf Halbsold, waren bei diesen Abeudfahrten meine
gewöhnlichen Gefährte". Oft segelten wir weit in das blaue Meer hinaus, so
daß uns bei einbrechender Nacht das Leuchtfeuer der äußersten Lanterna vor dem


durch eine Zolllinie getrennt ist, sich an den Mauern umher, und schlössen gar
gern die Augen, wenn ihre um diese Zeit doppelt harte Pflicht ihnen nicht strenge
gehste, dieselben wenigstens halb offen zu halten. Es muß zur Zeit der Siesta
in Genua leicht sein, zu schmuggeln oder zu stehlen. Die einzig Wachenden, die
ich bei einigen Wanderungen um die Mittagsstunde im Hafen sand, waren solche,
die das bekannte italienische Spiel „1a morro" spielten. Wenn Alles ringsumher
schlief, erlahmte ihr Eiser nicht. Im Schatten einer Mauer niedergekauert
gestiknlirten unaufhörlich, gleich den Armen eines Telegraphen, die geöffneten Hände
mit den ausgespreizten Fingern vor den Gesichtern der Spielenden, war un¬
geschwächt der gellende Ausruf der Zahlen der gegenseitigen Gegner. Und mit
welcher Leidenschaftlichkeit wird dieses Morra hier gespielt! Selbst in den glän¬
zenden Spielhöllen von Baden-Baden und Homburg, wo man doch sonst Gelegen¬
heit genug hat, die menschliche Natur in ihrer nackten Erbärmlichkeit zu beobachten,
sah ich solche Gier, solche Habsucht nicht als hier, wo es sich nur um einige Ba-
jochi handelte. Die dunklen Augen der Spieler schienen Feuer zu sprühen, solche
Gluth brannte in ihnen; zur scheußlichen Maske verzerrt waren alle Züge des
Gesichts und weit hervorgestreckt, gleich als wollten sie die schmuzigen Kupfer¬
münzen verschlingen, die geöffneten Kinnbacken mit den gelbweißen Zähnen. Be¬
sonders an einem alten Paar dieser 1a morra-Spieler, das ich häusig im Hafen
sah , habe ich diese Beobachtung gemacht. Auch die Ausdauer, womit dasselbe
dieses Spiel trieb, war um so erstaunenswerther, da sonst Ausdauer gerade nicht
zu den Haupteigenschaften der Italiener gehört. Ich fuhr einmal des Morgens
gegen K Uhr am Bord einiger Schiffe, wo ich etwas zu thun hatte, und wie ich
mich gegen 2 Uhr Mittags wieder zurückruderu ließ, fand ich dieses Spielerpaar
noch ganz an gleichem Platze und in derselben Körperlage, in der sie waren, wie
ich am Morgen an ihnen vorübergegangen war. So hatten dieselben schon an
8 Stunden unausgesetzt dieses einfache Spiel getrieben, und ihr Eiser war noch
nicht im mindesten im Abnehmen begriffen.

Nach 3 Uhr Nachmittags beginnt wieder die Lebendigkeit im Hafen und
dauert bis zum Sonnenuntergang fort. Köstlich waren die Fahrten, die ich häufig
noch in der Kühle des Abends aus dem Meere machte. Fuhr ich des Morgens
um i Uhr fast stets allein aus, um ein Seebad zu nehmen, bevor mich von
6—12 Uhr der Schreibtisch in meinem Zimmer fesselte, wo nach eingenommener
leichter Mahlzeit die Siesta von 1—i Uhr nach gut italienischer Sitte ge¬
halten wurde, so vereinigten wir uns des Abends gewöhnlich zu größerer
Gesellschaft. Ein Sardinischer Generalstabsofficier, ein angenehmer, gebildeter,
viel gereifter Mann, ein Pole, der als Ingenieur in sardinischen Diensten stand,
ein englischer Marine-Capitain auf Halbsold, waren bei diesen Abeudfahrten meine
gewöhnlichen Gefährte». Oft segelten wir weit in das blaue Meer hinaus, so
daß uns bei einbrechender Nacht das Leuchtfeuer der äußersten Lanterna vor dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/18>, abgerufen am 16.05.2024.