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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Nußland, wird von heidnischen Zauberern sein naher Tod ver¬
kündigt. Joao Wasiljewitsch sitzt auf einem thronartigen Sessel, vor ihm die
Zauberer, einer in der Mitte weissagend, zwei andere auf dessen beiden Seiten, einer
aus einem Becher Zanbertränke trinkend, welche die Sinne betäuben und ihn in den
Zustand versetzen sollen, welcher der Ausübung -seines Berufs günstig ist, und
in welchem ein anderer, der am Boden in krampfhaften Zuckungen liegt, sich be¬
reits befindet. Um den Czaren noch ziemlich viel Figuren, seine Familie, ein
Arzt und Andere seiner Umgebung. Die Meisten, die sich fragen, warum das
Bild nnr abstößt, werden schnell mit der Antwort, fertig sein: "Es ist der Gegen¬
stand, der uns zu fremdartig und zum Theil widerwärtig ist." Sie irren; denn
wenn wir auch den Gegenstand nicht zu den günstigsten rechnen, so konnte er
anders aufgefaßt und wiedergegeben, ein viel allgemeineres menschliches Inter¬
esse erregen und gewaltiger wirken. Es mußte von entschiedenem Eindruck
sein, wenn wir einen der entsetzlichsten Tyrannen, welchen die Erde je getragen,
sehen, dem in diesem Augenblick plötzlich und gewaltig Las Gewissen geregt wird.
Diese regende Kraft könnte freilich uicht repräsentirt werden durch abenteuerliche
Leute, aus denen zu sehr die Charlatanerie ihres Handwerks spricht, als daß
wir ihnen glauben konnte"; der Czar sitzt mehr tiefsinuend, als erschüttert und
im erwachten Bewußtsein seiner Verdammnis; da; dazu siud eine Menge von
-Nebenfiguren in dem etwas großen Raume zerstreut, die zum Theil mäßig und
den Eindruck des Ganzen eher schwächen als kräftigen. Man denke sich das
Bild mit wenigen Figuren, den Czaren, den Propheten, denn in dieser wür¬
digern Gestalt mußte der Zauberer auftreten, ein Bote himmlischer Strafe, der
uns in erhabenerer Begeisterung selbst für einen Moment an die Wahrheit seiner
Mission glauben macht; noch wenige der nächsten Umgebung des Czaren, die
mit erschüttert, erschreckt und entsetzt in größerer Prägnanz das ausdrücken,
was jetzt in ziemlich viel Figuren, wenn auch oft fein, (z. B. in dem Arzt und
der Gemahlin des Großfürsten) doch zu unentschieden und abgeschwächt gegeben
ist. Es scheint, der Künstler hat sich dnrch vorhandene historische Notizen ver¬
leiten lassen, manche Figur und Beziehung anzubringen, die eben nur historisches
Interesse, aber keinen poetischen Gehalt hat. Stellen wir uns mit auf den
Standpunkt des Künstlers, so müssen wir freilich gestehen, er HNt uus ein wirk¬
lich interessantes Gemälde jener Zeit gegeben, und so betrachtet sind namentlich
die Zauberer vortrefflich, und Manches in der Umgebung vou höchst charakteristischer
Durchführung. Der Künstler kauu aber uicht verlangen, daß wir sein Kunstwerk
cnlturhistorisch ansehn, wir wollen Menschliches, Poetisches, das uns erhebt
und erbaut.

Die Ausführung des Bildes ist zwar sorgfältig, hat aber in der Farbe zu
wenig Leben, Manches im Costum könnte reicher und prächtiger sein, es würde


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Nußland, wird von heidnischen Zauberern sein naher Tod ver¬
kündigt. Joao Wasiljewitsch sitzt auf einem thronartigen Sessel, vor ihm die
Zauberer, einer in der Mitte weissagend, zwei andere auf dessen beiden Seiten, einer
aus einem Becher Zanbertränke trinkend, welche die Sinne betäuben und ihn in den
Zustand versetzen sollen, welcher der Ausübung -seines Berufs günstig ist, und
in welchem ein anderer, der am Boden in krampfhaften Zuckungen liegt, sich be¬
reits befindet. Um den Czaren noch ziemlich viel Figuren, seine Familie, ein
Arzt und Andere seiner Umgebung. Die Meisten, die sich fragen, warum das
Bild nnr abstößt, werden schnell mit der Antwort, fertig sein: „Es ist der Gegen¬
stand, der uns zu fremdartig und zum Theil widerwärtig ist." Sie irren; denn
wenn wir auch den Gegenstand nicht zu den günstigsten rechnen, so konnte er
anders aufgefaßt und wiedergegeben, ein viel allgemeineres menschliches Inter¬
esse erregen und gewaltiger wirken. Es mußte von entschiedenem Eindruck
sein, wenn wir einen der entsetzlichsten Tyrannen, welchen die Erde je getragen,
sehen, dem in diesem Augenblick plötzlich und gewaltig Las Gewissen geregt wird.
Diese regende Kraft könnte freilich uicht repräsentirt werden durch abenteuerliche
Leute, aus denen zu sehr die Charlatanerie ihres Handwerks spricht, als daß
wir ihnen glauben konnte»; der Czar sitzt mehr tiefsinuend, als erschüttert und
im erwachten Bewußtsein seiner Verdammnis; da; dazu siud eine Menge von
-Nebenfiguren in dem etwas großen Raume zerstreut, die zum Theil mäßig und
den Eindruck des Ganzen eher schwächen als kräftigen. Man denke sich das
Bild mit wenigen Figuren, den Czaren, den Propheten, denn in dieser wür¬
digern Gestalt mußte der Zauberer auftreten, ein Bote himmlischer Strafe, der
uns in erhabenerer Begeisterung selbst für einen Moment an die Wahrheit seiner
Mission glauben macht; noch wenige der nächsten Umgebung des Czaren, die
mit erschüttert, erschreckt und entsetzt in größerer Prägnanz das ausdrücken,
was jetzt in ziemlich viel Figuren, wenn auch oft fein, (z. B. in dem Arzt und
der Gemahlin des Großfürsten) doch zu unentschieden und abgeschwächt gegeben
ist. Es scheint, der Künstler hat sich dnrch vorhandene historische Notizen ver¬
leiten lassen, manche Figur und Beziehung anzubringen, die eben nur historisches
Interesse, aber keinen poetischen Gehalt hat. Stellen wir uns mit auf den
Standpunkt des Künstlers, so müssen wir freilich gestehen, er HNt uus ein wirk¬
lich interessantes Gemälde jener Zeit gegeben, und so betrachtet sind namentlich
die Zauberer vortrefflich, und Manches in der Umgebung vou höchst charakteristischer
Durchführung. Der Künstler kauu aber uicht verlangen, daß wir sein Kunstwerk
cnlturhistorisch ansehn, wir wollen Menschliches, Poetisches, das uns erhebt
und erbaut.

Die Ausführung des Bildes ist zwar sorgfältig, hat aber in der Farbe zu
wenig Leben, Manches im Costum könnte reicher und prächtiger sein, es würde


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[0181] Nußland, wird von heidnischen Zauberern sein naher Tod ver¬ kündigt. Joao Wasiljewitsch sitzt auf einem thronartigen Sessel, vor ihm die Zauberer, einer in der Mitte weissagend, zwei andere auf dessen beiden Seiten, einer aus einem Becher Zanbertränke trinkend, welche die Sinne betäuben und ihn in den Zustand versetzen sollen, welcher der Ausübung -seines Berufs günstig ist, und in welchem ein anderer, der am Boden in krampfhaften Zuckungen liegt, sich be¬ reits befindet. Um den Czaren noch ziemlich viel Figuren, seine Familie, ein Arzt und Andere seiner Umgebung. Die Meisten, die sich fragen, warum das Bild nnr abstößt, werden schnell mit der Antwort, fertig sein: „Es ist der Gegen¬ stand, der uns zu fremdartig und zum Theil widerwärtig ist." Sie irren; denn wenn wir auch den Gegenstand nicht zu den günstigsten rechnen, so konnte er anders aufgefaßt und wiedergegeben, ein viel allgemeineres menschliches Inter¬ esse erregen und gewaltiger wirken. Es mußte von entschiedenem Eindruck sein, wenn wir einen der entsetzlichsten Tyrannen, welchen die Erde je getragen, sehen, dem in diesem Augenblick plötzlich und gewaltig Las Gewissen geregt wird. Diese regende Kraft könnte freilich uicht repräsentirt werden durch abenteuerliche Leute, aus denen zu sehr die Charlatanerie ihres Handwerks spricht, als daß wir ihnen glauben konnte»; der Czar sitzt mehr tiefsinuend, als erschüttert und im erwachten Bewußtsein seiner Verdammnis; da; dazu siud eine Menge von -Nebenfiguren in dem etwas großen Raume zerstreut, die zum Theil mäßig und den Eindruck des Ganzen eher schwächen als kräftigen. Man denke sich das Bild mit wenigen Figuren, den Czaren, den Propheten, denn in dieser wür¬ digern Gestalt mußte der Zauberer auftreten, ein Bote himmlischer Strafe, der uns in erhabenerer Begeisterung selbst für einen Moment an die Wahrheit seiner Mission glauben macht; noch wenige der nächsten Umgebung des Czaren, die mit erschüttert, erschreckt und entsetzt in größerer Prägnanz das ausdrücken, was jetzt in ziemlich viel Figuren, wenn auch oft fein, (z. B. in dem Arzt und der Gemahlin des Großfürsten) doch zu unentschieden und abgeschwächt gegeben ist. Es scheint, der Künstler hat sich dnrch vorhandene historische Notizen ver¬ leiten lassen, manche Figur und Beziehung anzubringen, die eben nur historisches Interesse, aber keinen poetischen Gehalt hat. Stellen wir uns mit auf den Standpunkt des Künstlers, so müssen wir freilich gestehen, er HNt uus ein wirk¬ lich interessantes Gemälde jener Zeit gegeben, und so betrachtet sind namentlich die Zauberer vortrefflich, und Manches in der Umgebung vou höchst charakteristischer Durchführung. Der Künstler kauu aber uicht verlangen, daß wir sein Kunstwerk cnlturhistorisch ansehn, wir wollen Menschliches, Poetisches, das uns erhebt und erbaut. Die Ausführung des Bildes ist zwar sorgfältig, hat aber in der Farbe zu wenig Leben, Manches im Costum könnte reicher und prächtiger sein, es würde 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/181>, abgerufen am 15.06.2024.