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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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der Gefängnißwärter ist vortrefflich in Ausdruck und Bewegung, er berührt mit
dem Finger leise und in rücksichtsvoller Ehrfurcht den schlafenden König, um ihn
saust zu wecken. Er ist offenbar init besonderer Vorliebe behandelt und er¬
scheint eigentlich als Hauptfigur, was freilich ein großer Mißgriff war. Das
Gesicht des Königs liegt in so abgewandter Verkürzung, daß man eS kaum sieht;
die übrigen Figuren sind, wenn sie auch nicht befriedigen, doch gelungener. Zu
loben ist das Streben nach einem einfachen, gemäßigten Kolorit, das nur bis¬
weilen etwas zu grau ist. -- Anselm Feuerbach in Paris "Hafis in
der Schenke", ist der Beachtung werth. Namentlich Hafis ist sehr lebendig
aufgefaßt. Doch zeigt das ganze Bild eine Neigung sür's Charakteristische und
Piquante auf Kosten der Grazie und Schönheit, der, obgleich sie dieser Gegen¬
stand doch vorzugsweise erfordert, durchaus nicht Genüge gethan ist. Wir kön¬
nen mit Hafis nicht mitsingen, seiner schönen, wie seiner ganzen Gesellschaft und
Umgebung fehlt der Reiz; er selbst bekommt dadurch Etwas von einem herunter¬
gekommenen alten Wüstling, den das erste beste Frauenzimmer mit nackten Hüf¬
ten zur Poesie stimmt. --

Das Bild neigt in Auffassung und Technik, die sehr gewandt ist, zu einer
gewissen Richtung der modernsten Franzosen, und hierin zeigt der Maler eine
Unselbständigkeit, die wir seinem Talent nicht wünschen.

Freilich immer besser als I. Niessen's "Singende Geschwister", der
wie die Venetianer malen will, ja "wie sie räuspern und spucken." Das, was
ihnen bei selbstständiger freier Behandlung eigenthümlich wurde und nicht gerade
zu ihren Vorzügen gehört, hat er ängstlich ohne Leben und Reiz nachgemacht.

Mintrov: Maria mit Jesus und Johannes war glücklicher, er hat
sich an die Rafael'sche Schule gelehnt und ein Bild gemalt, das nicht ohne Em¬
pfindung und Ausdruck ist, und in der äußern Form Styl und Natur wohl¬
thuend vereint.

Reichere in Magdeburg. Galilei vor der Römischen Inquisition.
Der Maler hat seinen Gegenstand durchdacht und mit anzuerkennenden Fleiß
ausgeführt, aber er war ihm nicht gewachsen. Galilei hat sein System ab¬
schwören müssen und spricht nun hinterher "und sie bewegt sich doch!"
Die Augen sind weit aufgerissen, die Hände und alle Glieder krampfhaft ge¬
spannt; das sind Alles Künste eines mittelmäßigen Schauspielers, der eine innere
Bewegung durch materielle Mittel darstellen will; nicht der Ausdruck eines
überlegenen Geistes, der von einer einmal erkannten Wahrheit durchdrungen ist
und, wenn er auch durch äußere Umstände gezwungen war, ihr einen Augenblick
untreu zu werden, sie dann um so entschiedener ausspricht. Ein Gegenstand,
bei dem es sich um ein gesprochenes Wort, um das Benehmen einer einzelnen
Person dreht, verlangt die schärfste Charakteristik und den entschiedensten Aus¬
druck eines innern Lebens in allen Figuren/ endlich eine sehr geschickte Anord-


Grenzboten. IV. I8ö2. , 23

der Gefängnißwärter ist vortrefflich in Ausdruck und Bewegung, er berührt mit
dem Finger leise und in rücksichtsvoller Ehrfurcht den schlafenden König, um ihn
saust zu wecken. Er ist offenbar init besonderer Vorliebe behandelt und er¬
scheint eigentlich als Hauptfigur, was freilich ein großer Mißgriff war. Das
Gesicht des Königs liegt in so abgewandter Verkürzung, daß man eS kaum sieht;
die übrigen Figuren sind, wenn sie auch nicht befriedigen, doch gelungener. Zu
loben ist das Streben nach einem einfachen, gemäßigten Kolorit, das nur bis¬
weilen etwas zu grau ist. — Anselm Feuerbach in Paris „Hafis in
der Schenke", ist der Beachtung werth. Namentlich Hafis ist sehr lebendig
aufgefaßt. Doch zeigt das ganze Bild eine Neigung sür's Charakteristische und
Piquante auf Kosten der Grazie und Schönheit, der, obgleich sie dieser Gegen¬
stand doch vorzugsweise erfordert, durchaus nicht Genüge gethan ist. Wir kön¬
nen mit Hafis nicht mitsingen, seiner schönen, wie seiner ganzen Gesellschaft und
Umgebung fehlt der Reiz; er selbst bekommt dadurch Etwas von einem herunter¬
gekommenen alten Wüstling, den das erste beste Frauenzimmer mit nackten Hüf¬
ten zur Poesie stimmt. —

Das Bild neigt in Auffassung und Technik, die sehr gewandt ist, zu einer
gewissen Richtung der modernsten Franzosen, und hierin zeigt der Maler eine
Unselbständigkeit, die wir seinem Talent nicht wünschen.

Freilich immer besser als I. Niessen's „Singende Geschwister", der
wie die Venetianer malen will, ja „wie sie räuspern und spucken." Das, was
ihnen bei selbstständiger freier Behandlung eigenthümlich wurde und nicht gerade
zu ihren Vorzügen gehört, hat er ängstlich ohne Leben und Reiz nachgemacht.

Mintrov: Maria mit Jesus und Johannes war glücklicher, er hat
sich an die Rafael'sche Schule gelehnt und ein Bild gemalt, das nicht ohne Em¬
pfindung und Ausdruck ist, und in der äußern Form Styl und Natur wohl¬
thuend vereint.

Reichere in Magdeburg. Galilei vor der Römischen Inquisition.
Der Maler hat seinen Gegenstand durchdacht und mit anzuerkennenden Fleiß
ausgeführt, aber er war ihm nicht gewachsen. Galilei hat sein System ab¬
schwören müssen und spricht nun hinterher „und sie bewegt sich doch!"
Die Augen sind weit aufgerissen, die Hände und alle Glieder krampfhaft ge¬
spannt; das sind Alles Künste eines mittelmäßigen Schauspielers, der eine innere
Bewegung durch materielle Mittel darstellen will; nicht der Ausdruck eines
überlegenen Geistes, der von einer einmal erkannten Wahrheit durchdrungen ist
und, wenn er auch durch äußere Umstände gezwungen war, ihr einen Augenblick
untreu zu werden, sie dann um so entschiedener ausspricht. Ein Gegenstand,
bei dem es sich um ein gesprochenes Wort, um das Benehmen einer einzelnen
Person dreht, verlangt die schärfste Charakteristik und den entschiedensten Aus¬
druck eines innern Lebens in allen Figuren/ endlich eine sehr geschickte Anord-


Grenzboten. IV. I8ö2. , 23
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[0187] der Gefängnißwärter ist vortrefflich in Ausdruck und Bewegung, er berührt mit dem Finger leise und in rücksichtsvoller Ehrfurcht den schlafenden König, um ihn saust zu wecken. Er ist offenbar init besonderer Vorliebe behandelt und er¬ scheint eigentlich als Hauptfigur, was freilich ein großer Mißgriff war. Das Gesicht des Königs liegt in so abgewandter Verkürzung, daß man eS kaum sieht; die übrigen Figuren sind, wenn sie auch nicht befriedigen, doch gelungener. Zu loben ist das Streben nach einem einfachen, gemäßigten Kolorit, das nur bis¬ weilen etwas zu grau ist. — Anselm Feuerbach in Paris „Hafis in der Schenke", ist der Beachtung werth. Namentlich Hafis ist sehr lebendig aufgefaßt. Doch zeigt das ganze Bild eine Neigung sür's Charakteristische und Piquante auf Kosten der Grazie und Schönheit, der, obgleich sie dieser Gegen¬ stand doch vorzugsweise erfordert, durchaus nicht Genüge gethan ist. Wir kön¬ nen mit Hafis nicht mitsingen, seiner schönen, wie seiner ganzen Gesellschaft und Umgebung fehlt der Reiz; er selbst bekommt dadurch Etwas von einem herunter¬ gekommenen alten Wüstling, den das erste beste Frauenzimmer mit nackten Hüf¬ ten zur Poesie stimmt. — Das Bild neigt in Auffassung und Technik, die sehr gewandt ist, zu einer gewissen Richtung der modernsten Franzosen, und hierin zeigt der Maler eine Unselbständigkeit, die wir seinem Talent nicht wünschen. Freilich immer besser als I. Niessen's „Singende Geschwister", der wie die Venetianer malen will, ja „wie sie räuspern und spucken." Das, was ihnen bei selbstständiger freier Behandlung eigenthümlich wurde und nicht gerade zu ihren Vorzügen gehört, hat er ängstlich ohne Leben und Reiz nachgemacht. Mintrov: Maria mit Jesus und Johannes war glücklicher, er hat sich an die Rafael'sche Schule gelehnt und ein Bild gemalt, das nicht ohne Em¬ pfindung und Ausdruck ist, und in der äußern Form Styl und Natur wohl¬ thuend vereint. Reichere in Magdeburg. Galilei vor der Römischen Inquisition. Der Maler hat seinen Gegenstand durchdacht und mit anzuerkennenden Fleiß ausgeführt, aber er war ihm nicht gewachsen. Galilei hat sein System ab¬ schwören müssen und spricht nun hinterher „und sie bewegt sich doch!" Die Augen sind weit aufgerissen, die Hände und alle Glieder krampfhaft ge¬ spannt; das sind Alles Künste eines mittelmäßigen Schauspielers, der eine innere Bewegung durch materielle Mittel darstellen will; nicht der Ausdruck eines überlegenen Geistes, der von einer einmal erkannten Wahrheit durchdrungen ist und, wenn er auch durch äußere Umstände gezwungen war, ihr einen Augenblick untreu zu werden, sie dann um so entschiedener ausspricht. Ein Gegenstand, bei dem es sich um ein gesprochenes Wort, um das Benehmen einer einzelnen Person dreht, verlangt die schärfste Charakteristik und den entschiedensten Aus¬ druck eines innern Lebens in allen Figuren/ endlich eine sehr geschickte Anord- Grenzboten. IV. I8ö2. , 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/187>, abgerufen am 15.06.2024.