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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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durch gewaltige Thürme geschützt, welche die Form einer aufgerichteten Kanone
besitzen; sie sind in der Mitte des 16. Jahrhunderts von Georg Unger erbaut.
Die Zahl der kleineren Thürme, die in geringen Zwischenräumen sich auf den
Mauern erheben, ist ausnehmend groß. Der obere Kranz der letzteren ist zum
großen Theil abgebröckelt oder manchmal auch gebrochen; an vielen Stellen be¬
finden sich jetzt öffentliche Etablissements darauf mit kleinen Gärten, in denen
die Nürnberger an heiteren Abenden sich des Biers und der hübschen Aussicht
erfreue". Es bedarf nicht der Erwähnung, daß gegen Belagerungsgeschütz die
Stadt nicht zwei Tage zu halten wäre, obwol sie noch immer Festigkeit genug
besitzt, einen Handstreich abwehren zu können. Vor 200 Jahren> ehe Vaubau
die Fortificationskuust reformirt hatte, war sie eine bedeutende Festung. Ich
glaube allerdings, daß Saragossa nicht ol?l fester war, als es unter Palafox
seinen heroischen Widerstand unsterblichen Andenkens leistete. Seitdem ich aber
die Nürnberger Bürgerwehr sah, fürchte ich nicht, daß es jemals zur Concurrentiu
dieses Ruhmes werden wird. Nürnberg hat nämlich noch eine Bürgerwehr; ob
sie eine unmittelbare Hinterlassenschaft seiner reichsfreien Zeit, oder eine Er¬
rungenschaft des Jahres 18i8 ist, welches letztere ich mit Hinblick auf Herrn von
der Pfordten bezweifeln möchte, weiß ich nicht. So viel ist gewiß, sie trägt eine
gutgesinnt-bayerische, blaue Uniform; ich sah an einem schönen Abend einen Trupp
davon durch die Straßen ziehen, und hinter einigen beleibten Wehrmännern
gingen kleine Straßenjungen, die ihre Gewehre trugen, wofür sie wahrscheinlich
einen halben Kreuzer erhielten.

Die Negnitz theilt die Stadt, ungefähr in der Richtung von Osten nach
Westen, in zwei fast gleiche Hälften und scheint stets ein gelber, trüber und
schmuziger Strom zu sein, da sie diese angenehmen Eigenschaften während meines
fünftägigen Aufenthaltes nicht ablegte, obwol das Wetter trocken und schön war.
In ältester Zeit beschränkte sich Nürnbergs Ausdehnung auf das nördliche Ufer
des Flusses. Nach dem Jahr 1130 wurde es erweitert und auf das südliche Ufer
ausgedehnt, und in einer zweiten Erweiterung, die 13S0 begann und 1i27 voll¬
endet wurde, erhielt es seine jetzige Gestalt.

Die größeren Hauptstädte Deutschlands, Berlin, Wien, München und Dres¬
den ausgenommen, bietet keine deutsche Stadt dem Besucher so viel Kunstschätze
dar, als Nürnberg. Wenn es den genannten Städten, was die Größe derartiger
Sammlungen betrifft, nachsteht, so behaupten die seinigen dadurch einen ganz
eigenthümlichen Charakter, daß sie in Bezug auf altdeutsche Kunst und Malerei
den ersten Rang einnehmen. Und Nürnberg hat das Recht, auf diese Besitz--
thümer stolz zu sei", mehr als irgend eine andere Stadt. In großen Residenzen
sind entweder ans Kosten des Staates, oder durch die Freigebigkeit der Fürsten
große Bauwerke aufgeführt oder Sammlungen und Galerien angehäuft. In
beiden Fällen sind es mehr oder weniger die Kräfte eines ganzen Landes, deren
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durch gewaltige Thürme geschützt, welche die Form einer aufgerichteten Kanone
besitzen; sie sind in der Mitte des 16. Jahrhunderts von Georg Unger erbaut.
Die Zahl der kleineren Thürme, die in geringen Zwischenräumen sich auf den
Mauern erheben, ist ausnehmend groß. Der obere Kranz der letzteren ist zum
großen Theil abgebröckelt oder manchmal auch gebrochen; an vielen Stellen be¬
finden sich jetzt öffentliche Etablissements darauf mit kleinen Gärten, in denen
die Nürnberger an heiteren Abenden sich des Biers und der hübschen Aussicht
erfreue». Es bedarf nicht der Erwähnung, daß gegen Belagerungsgeschütz die
Stadt nicht zwei Tage zu halten wäre, obwol sie noch immer Festigkeit genug
besitzt, einen Handstreich abwehren zu können. Vor 200 Jahren> ehe Vaubau
die Fortificationskuust reformirt hatte, war sie eine bedeutende Festung. Ich
glaube allerdings, daß Saragossa nicht ol?l fester war, als es unter Palafox
seinen heroischen Widerstand unsterblichen Andenkens leistete. Seitdem ich aber
die Nürnberger Bürgerwehr sah, fürchte ich nicht, daß es jemals zur Concurrentiu
dieses Ruhmes werden wird. Nürnberg hat nämlich noch eine Bürgerwehr; ob
sie eine unmittelbare Hinterlassenschaft seiner reichsfreien Zeit, oder eine Er¬
rungenschaft des Jahres 18i8 ist, welches letztere ich mit Hinblick auf Herrn von
der Pfordten bezweifeln möchte, weiß ich nicht. So viel ist gewiß, sie trägt eine
gutgesinnt-bayerische, blaue Uniform; ich sah an einem schönen Abend einen Trupp
davon durch die Straßen ziehen, und hinter einigen beleibten Wehrmännern
gingen kleine Straßenjungen, die ihre Gewehre trugen, wofür sie wahrscheinlich
einen halben Kreuzer erhielten.

Die Negnitz theilt die Stadt, ungefähr in der Richtung von Osten nach
Westen, in zwei fast gleiche Hälften und scheint stets ein gelber, trüber und
schmuziger Strom zu sein, da sie diese angenehmen Eigenschaften während meines
fünftägigen Aufenthaltes nicht ablegte, obwol das Wetter trocken und schön war.
In ältester Zeit beschränkte sich Nürnbergs Ausdehnung auf das nördliche Ufer
des Flusses. Nach dem Jahr 1130 wurde es erweitert und auf das südliche Ufer
ausgedehnt, und in einer zweiten Erweiterung, die 13S0 begann und 1i27 voll¬
endet wurde, erhielt es seine jetzige Gestalt.

Die größeren Hauptstädte Deutschlands, Berlin, Wien, München und Dres¬
den ausgenommen, bietet keine deutsche Stadt dem Besucher so viel Kunstschätze
dar, als Nürnberg. Wenn es den genannten Städten, was die Größe derartiger
Sammlungen betrifft, nachsteht, so behaupten die seinigen dadurch einen ganz
eigenthümlichen Charakter, daß sie in Bezug auf altdeutsche Kunst und Malerei
den ersten Rang einnehmen. Und Nürnberg hat das Recht, auf diese Besitz--
thümer stolz zu sei», mehr als irgend eine andere Stadt. In großen Residenzen
sind entweder ans Kosten des Staates, oder durch die Freigebigkeit der Fürsten
große Bauwerke aufgeführt oder Sammlungen und Galerien angehäuft. In
beiden Fällen sind es mehr oder weniger die Kräfte eines ganzen Landes, deren
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/214>, abgerufen am 05.06.2024.