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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Verwendung hier einer einzelnen Stadt zu Gute gekommen ist. Was Nürnberg
besitzt, ist eine rühmliche Erbschaft seiner großen Vergangenheit, und ist die kleine
reichsfreie Republik auch untergegangen im Lauf der Jahrhunderte, deren Ent¬
wickelung diese beschränkten Staatskörper zur Ohnmacht herabdrückte und endlich
vernichtete, so sind doch die Denkmäler jener Zeiten, welche die Schultheißen und
Staatsmänner Nürnbergs in den Nathversammlnugen der Kaiser eine gewichtige
Stimme führen sahen, den Enkeln als ein werthvolles Vermächtniß geblieben.

Ich muß, bevor ich in die Besprechung dessen eingehe, was meine Erinnerung
von der Besichtigung der Denkmäler und Kunstschätze Nürnbergs aufbewahrt hat,
ausdrücklich bemerken, daß ich mich nicht zu den "Kennern" rechne. Es ist dies
ein demüthigendes Eingeständniß, in einer Zeit, wo es eigentlich der gute Ton
mit sich bringt, über Musik, Sculptur, Malerei, Architectur-- von der Literatur
versteht es sich von selbst -- als Kenner sprechen zu können. Doppelt noth¬
wendig scheint es, wenn man seine Eindrücke hierüber dem Drucke übergiebt.
Ich habe indeß gefunden, daß Viele, die sich hierin die Miene von Kennern bei¬
legen und auch mit einer Anzahl Schlagwörter um sich werfen, die sie sich zu
diesem Behufe angeeignet haben, thatsächlich sehr wenig davon verstanden. Ich
ziehe es vor, freimüthig zu bekennen, daß ich Gemälde, Bauwerke, Statuen mit
den Augen und den geringen Kenntnissen eines Laien betrachte. Es scheint mir
indeß, daß auch die Ansicht eines solchen Platz finden darf. Die größten Meister
in allen Gebieten der Kunst haben stets mit dem Streben nach der Schönheit
der vollendetsten Ideale die Gabe der Popularität zu verbinden gewußt, d. h.
jener edlen Popularität, die nicht auf die groben Sinne der Massen wirken will,
sondern ihren Beifall und ihre Anerkennung in den weiten Kreisen der Gebildeten
sucht. Ein weiteres Anrecht beanspruche ich nicht, als was ich mit Allen theile,
die sich in diesen Kreisen bewegen. Ich habe diese Bemerkung vorausgeschickt;
denn es kann mir in der Folge begegnen, daß ich meine Ansichten in einer Form
wiedergebe, die mit der eines competenten Urtheils zusammenfällt. Ich entlehne
jenem Philosophen -- ich glaube, es war ein Hegelianer --, der verzweifelnd,
seinen Schülern klar zu machen, daß Alles eigentlich Nichts, und Jeder somit'
eigentlich Keiner sei, ausrief: "die Sprache ist das größte Hinderniß der Philo¬
sophie", seinen Ausspruch, ihn dahin modistcirend, "die Sprache ist das größte
Hinderniß der Bescheidenheit." Er hat offenbar Viel für sich; denn woher wäre
man sonst geneigt, schweigsame Menschen für vorzugsweise bescheiden zu halten?

Ich kehre zu meinem Gegenstand zurück. Mein erster Besuch galt der
Lorenzkirche; sie ist unstreitig unter den Kirchen Nürnbergs die bedeutendste und
darf einen hervorragenden Platz nnter denen von ganz Deutschland be¬
anspruchen. Sie ist durchaus im germanischen Style gehalten. Dies ist ein be¬
deutender Vorzug, den nur Wenige der größeren Gotteshäuser, die wir ans dem
Mittelalter besitzen, mit ihr theilen. Der Ursprung der meisten fällt in eine


Verwendung hier einer einzelnen Stadt zu Gute gekommen ist. Was Nürnberg
besitzt, ist eine rühmliche Erbschaft seiner großen Vergangenheit, und ist die kleine
reichsfreie Republik auch untergegangen im Lauf der Jahrhunderte, deren Ent¬
wickelung diese beschränkten Staatskörper zur Ohnmacht herabdrückte und endlich
vernichtete, so sind doch die Denkmäler jener Zeiten, welche die Schultheißen und
Staatsmänner Nürnbergs in den Nathversammlnugen der Kaiser eine gewichtige
Stimme führen sahen, den Enkeln als ein werthvolles Vermächtniß geblieben.

Ich muß, bevor ich in die Besprechung dessen eingehe, was meine Erinnerung
von der Besichtigung der Denkmäler und Kunstschätze Nürnbergs aufbewahrt hat,
ausdrücklich bemerken, daß ich mich nicht zu den „Kennern" rechne. Es ist dies
ein demüthigendes Eingeständniß, in einer Zeit, wo es eigentlich der gute Ton
mit sich bringt, über Musik, Sculptur, Malerei, Architectur— von der Literatur
versteht es sich von selbst — als Kenner sprechen zu können. Doppelt noth¬
wendig scheint es, wenn man seine Eindrücke hierüber dem Drucke übergiebt.
Ich habe indeß gefunden, daß Viele, die sich hierin die Miene von Kennern bei¬
legen und auch mit einer Anzahl Schlagwörter um sich werfen, die sie sich zu
diesem Behufe angeeignet haben, thatsächlich sehr wenig davon verstanden. Ich
ziehe es vor, freimüthig zu bekennen, daß ich Gemälde, Bauwerke, Statuen mit
den Augen und den geringen Kenntnissen eines Laien betrachte. Es scheint mir
indeß, daß auch die Ansicht eines solchen Platz finden darf. Die größten Meister
in allen Gebieten der Kunst haben stets mit dem Streben nach der Schönheit
der vollendetsten Ideale die Gabe der Popularität zu verbinden gewußt, d. h.
jener edlen Popularität, die nicht auf die groben Sinne der Massen wirken will,
sondern ihren Beifall und ihre Anerkennung in den weiten Kreisen der Gebildeten
sucht. Ein weiteres Anrecht beanspruche ich nicht, als was ich mit Allen theile,
die sich in diesen Kreisen bewegen. Ich habe diese Bemerkung vorausgeschickt;
denn es kann mir in der Folge begegnen, daß ich meine Ansichten in einer Form
wiedergebe, die mit der eines competenten Urtheils zusammenfällt. Ich entlehne
jenem Philosophen — ich glaube, es war ein Hegelianer —, der verzweifelnd,
seinen Schülern klar zu machen, daß Alles eigentlich Nichts, und Jeder somit'
eigentlich Keiner sei, ausrief: „die Sprache ist das größte Hinderniß der Philo¬
sophie", seinen Ausspruch, ihn dahin modistcirend, „die Sprache ist das größte
Hinderniß der Bescheidenheit." Er hat offenbar Viel für sich; denn woher wäre
man sonst geneigt, schweigsame Menschen für vorzugsweise bescheiden zu halten?

Ich kehre zu meinem Gegenstand zurück. Mein erster Besuch galt der
Lorenzkirche; sie ist unstreitig unter den Kirchen Nürnbergs die bedeutendste und
darf einen hervorragenden Platz nnter denen von ganz Deutschland be¬
anspruchen. Sie ist durchaus im germanischen Style gehalten. Dies ist ein be¬
deutender Vorzug, den nur Wenige der größeren Gotteshäuser, die wir ans dem
Mittelalter besitzen, mit ihr theilen. Der Ursprung der meisten fällt in eine


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[0215] Verwendung hier einer einzelnen Stadt zu Gute gekommen ist. Was Nürnberg besitzt, ist eine rühmliche Erbschaft seiner großen Vergangenheit, und ist die kleine reichsfreie Republik auch untergegangen im Lauf der Jahrhunderte, deren Ent¬ wickelung diese beschränkten Staatskörper zur Ohnmacht herabdrückte und endlich vernichtete, so sind doch die Denkmäler jener Zeiten, welche die Schultheißen und Staatsmänner Nürnbergs in den Nathversammlnugen der Kaiser eine gewichtige Stimme führen sahen, den Enkeln als ein werthvolles Vermächtniß geblieben. Ich muß, bevor ich in die Besprechung dessen eingehe, was meine Erinnerung von der Besichtigung der Denkmäler und Kunstschätze Nürnbergs aufbewahrt hat, ausdrücklich bemerken, daß ich mich nicht zu den „Kennern" rechne. Es ist dies ein demüthigendes Eingeständniß, in einer Zeit, wo es eigentlich der gute Ton mit sich bringt, über Musik, Sculptur, Malerei, Architectur— von der Literatur versteht es sich von selbst — als Kenner sprechen zu können. Doppelt noth¬ wendig scheint es, wenn man seine Eindrücke hierüber dem Drucke übergiebt. Ich habe indeß gefunden, daß Viele, die sich hierin die Miene von Kennern bei¬ legen und auch mit einer Anzahl Schlagwörter um sich werfen, die sie sich zu diesem Behufe angeeignet haben, thatsächlich sehr wenig davon verstanden. Ich ziehe es vor, freimüthig zu bekennen, daß ich Gemälde, Bauwerke, Statuen mit den Augen und den geringen Kenntnissen eines Laien betrachte. Es scheint mir indeß, daß auch die Ansicht eines solchen Platz finden darf. Die größten Meister in allen Gebieten der Kunst haben stets mit dem Streben nach der Schönheit der vollendetsten Ideale die Gabe der Popularität zu verbinden gewußt, d. h. jener edlen Popularität, die nicht auf die groben Sinne der Massen wirken will, sondern ihren Beifall und ihre Anerkennung in den weiten Kreisen der Gebildeten sucht. Ein weiteres Anrecht beanspruche ich nicht, als was ich mit Allen theile, die sich in diesen Kreisen bewegen. Ich habe diese Bemerkung vorausgeschickt; denn es kann mir in der Folge begegnen, daß ich meine Ansichten in einer Form wiedergebe, die mit der eines competenten Urtheils zusammenfällt. Ich entlehne jenem Philosophen — ich glaube, es war ein Hegelianer —, der verzweifelnd, seinen Schülern klar zu machen, daß Alles eigentlich Nichts, und Jeder somit' eigentlich Keiner sei, ausrief: „die Sprache ist das größte Hinderniß der Philo¬ sophie", seinen Ausspruch, ihn dahin modistcirend, „die Sprache ist das größte Hinderniß der Bescheidenheit." Er hat offenbar Viel für sich; denn woher wäre man sonst geneigt, schweigsame Menschen für vorzugsweise bescheiden zu halten? Ich kehre zu meinem Gegenstand zurück. Mein erster Besuch galt der Lorenzkirche; sie ist unstreitig unter den Kirchen Nürnbergs die bedeutendste und darf einen hervorragenden Platz nnter denen von ganz Deutschland be¬ anspruchen. Sie ist durchaus im germanischen Style gehalten. Dies ist ein be¬ deutender Vorzug, den nur Wenige der größeren Gotteshäuser, die wir ans dem Mittelalter besitzen, mit ihr theilen. Der Ursprung der meisten fällt in eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/215>, abgerufen am 01.11.2024.