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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Von den anderen Kirchen Nürnbergs habe ich, mit Ausnahme der Egydien-
kirche, keine besucht. Sie sind mit den beiden vorhin besprochenen weder als
Bauwerke, noch, wie man mir sagte, in Betreff der darin enthaltenen Knnstschäize
zu vergleichen. Die Frauenkirche, die seit -1816 dem katholischen Cultus über¬
lassen ist, der seit der bayerischen Herrschaft hier wieder zahlreichere Bekenner
zählt, ist eigentlich nnr eine große Capelle, und zeichnet sich dnrch ein schönes,
dem großen Markt zugewandtes Frontespiz in reichem', gothischem Style aus.

Eine interessante Eigenthümlichkeit, die Nürnberg ans der Zeit seiner Blüthe
sich erhalten hat, sind die vielen zierlich und sein gebauten Brunnen, die in seinen
verschiedenen Plätzen und Straßen stehn, und viel dazu beitragen, die Erinnerung
an die Vorzeit zu erwecken. Den Vorrang unter diesen verdient bei weitem der
sogenannte "schöne Brunnen," an einer Ecke des großen Marktes befindlich. Es
ist derselbe eine kunstvoll ausgeführte Steinpyramide von 60 Fuß Höhe, in der
Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut. In der untern Abtheilung befinden sich
sechzehn Figuren, von 5 Fuß Höhe, die außer den sieben Churfürsten eine seltsame
zusammengesetzte Gesellschaft bilden. Nämlich Chlodwig, Gottfried v. Bouillon,
Carl der Große, Judas Maccabäus, David, Josua, I. Cäsar, Hector und
Alexander. Eine buntere Zusammenwürfeluug von Zeitaltern und Völkern, historischen
und halb mythischen Charakteren ist wol kaum denkbar. Die Abtheilung über
ihnen enthält Moses und die Propheten. Ein anderer Brunnen, der hinter der
Frauenkirche am Obstmarkte liegt, ist mit der bekannten kleinen Bronzefigur geschmückt,
auf welche die Nürnberger großen Werth legen. Sie stellt einen Bauer vor,
der zwei Gänse unter dem Arm trägt und das "Gänsemännchen" genannt wird,
ist -hübsch und charakteristisch ausgeführt, und verdient daher wol, daß man einige
Schritte aus dem Wege biegt, um sie zu beschauen. Der Meister, von dem sie
herrührt, ist Pankraz Labenwolf, ein Schüler Vischer's.

Das Nürnberger Rathhaus steht in völligem Contrast mit der überall in
der Stadt vorherrschenden altdeutschen Bauart. Es ist in den Jahren 1616 bis
1619 erbaut und ganz in dem Geschmack jener Zeit, dem finstern und schwer¬
fälligen, sogenannten Jesnitenstyl gehalten. Obwol es durch seine Größe -- die
vordere Fayade ist 275 Fuß lang -- eine gewisse Wirkung hervorbringt, so
macht es anch inmitten seiner Umgebungen einen ungünstigen Eindruck. Ans
einem großen freien Platze müßte es in seiner Art imposant genannt werden; in
einer nicht sehr breiten Straße und der Sebalduskirche gegenüber verliert es
nicht nur selbst sehr, sondern beeinträchtigt anch das Uebrige. Ein altdeutsches
Stadthaus, wie es Leipzig und Breslau besitzen, würde ungleich besser an seiner
Stelle sein. Die Hofgebäude gehören noch dem frühern Rathhaus an, sind aber
ohne architektonische Bedeutung. Ein Ueberrest des letztern jedoch, der große
Rathhaussaal, dessen schmale Seite innerhalb der vordern Front liegt, ist.des
Besuches werth. Er ist auf eine Weise in den neuen Bau hineingefügt,'die


Grenzboten. IV. 18os. 27

Von den anderen Kirchen Nürnbergs habe ich, mit Ausnahme der Egydien-
kirche, keine besucht. Sie sind mit den beiden vorhin besprochenen weder als
Bauwerke, noch, wie man mir sagte, in Betreff der darin enthaltenen Knnstschäize
zu vergleichen. Die Frauenkirche, die seit -1816 dem katholischen Cultus über¬
lassen ist, der seit der bayerischen Herrschaft hier wieder zahlreichere Bekenner
zählt, ist eigentlich nnr eine große Capelle, und zeichnet sich dnrch ein schönes,
dem großen Markt zugewandtes Frontespiz in reichem', gothischem Style aus.

Eine interessante Eigenthümlichkeit, die Nürnberg ans der Zeit seiner Blüthe
sich erhalten hat, sind die vielen zierlich und sein gebauten Brunnen, die in seinen
verschiedenen Plätzen und Straßen stehn, und viel dazu beitragen, die Erinnerung
an die Vorzeit zu erwecken. Den Vorrang unter diesen verdient bei weitem der
sogenannte „schöne Brunnen," an einer Ecke des großen Marktes befindlich. Es
ist derselbe eine kunstvoll ausgeführte Steinpyramide von 60 Fuß Höhe, in der
Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut. In der untern Abtheilung befinden sich
sechzehn Figuren, von 5 Fuß Höhe, die außer den sieben Churfürsten eine seltsame
zusammengesetzte Gesellschaft bilden. Nämlich Chlodwig, Gottfried v. Bouillon,
Carl der Große, Judas Maccabäus, David, Josua, I. Cäsar, Hector und
Alexander. Eine buntere Zusammenwürfeluug von Zeitaltern und Völkern, historischen
und halb mythischen Charakteren ist wol kaum denkbar. Die Abtheilung über
ihnen enthält Moses und die Propheten. Ein anderer Brunnen, der hinter der
Frauenkirche am Obstmarkte liegt, ist mit der bekannten kleinen Bronzefigur geschmückt,
auf welche die Nürnberger großen Werth legen. Sie stellt einen Bauer vor,
der zwei Gänse unter dem Arm trägt und das „Gänsemännchen" genannt wird,
ist -hübsch und charakteristisch ausgeführt, und verdient daher wol, daß man einige
Schritte aus dem Wege biegt, um sie zu beschauen. Der Meister, von dem sie
herrührt, ist Pankraz Labenwolf, ein Schüler Vischer's.

Das Nürnberger Rathhaus steht in völligem Contrast mit der überall in
der Stadt vorherrschenden altdeutschen Bauart. Es ist in den Jahren 1616 bis
1619 erbaut und ganz in dem Geschmack jener Zeit, dem finstern und schwer¬
fälligen, sogenannten Jesnitenstyl gehalten. Obwol es durch seine Größe — die
vordere Fayade ist 275 Fuß lang — eine gewisse Wirkung hervorbringt, so
macht es anch inmitten seiner Umgebungen einen ungünstigen Eindruck. Ans
einem großen freien Platze müßte es in seiner Art imposant genannt werden; in
einer nicht sehr breiten Straße und der Sebalduskirche gegenüber verliert es
nicht nur selbst sehr, sondern beeinträchtigt anch das Uebrige. Ein altdeutsches
Stadthaus, wie es Leipzig und Breslau besitzen, würde ungleich besser an seiner
Stelle sein. Die Hofgebäude gehören noch dem frühern Rathhaus an, sind aber
ohne architektonische Bedeutung. Ein Ueberrest des letztern jedoch, der große
Rathhaussaal, dessen schmale Seite innerhalb der vordern Front liegt, ist.des
Besuches werth. Er ist auf eine Weise in den neuen Bau hineingefügt,'die


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[0219] Von den anderen Kirchen Nürnbergs habe ich, mit Ausnahme der Egydien- kirche, keine besucht. Sie sind mit den beiden vorhin besprochenen weder als Bauwerke, noch, wie man mir sagte, in Betreff der darin enthaltenen Knnstschäize zu vergleichen. Die Frauenkirche, die seit -1816 dem katholischen Cultus über¬ lassen ist, der seit der bayerischen Herrschaft hier wieder zahlreichere Bekenner zählt, ist eigentlich nnr eine große Capelle, und zeichnet sich dnrch ein schönes, dem großen Markt zugewandtes Frontespiz in reichem', gothischem Style aus. Eine interessante Eigenthümlichkeit, die Nürnberg ans der Zeit seiner Blüthe sich erhalten hat, sind die vielen zierlich und sein gebauten Brunnen, die in seinen verschiedenen Plätzen und Straßen stehn, und viel dazu beitragen, die Erinnerung an die Vorzeit zu erwecken. Den Vorrang unter diesen verdient bei weitem der sogenannte „schöne Brunnen," an einer Ecke des großen Marktes befindlich. Es ist derselbe eine kunstvoll ausgeführte Steinpyramide von 60 Fuß Höhe, in der Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut. In der untern Abtheilung befinden sich sechzehn Figuren, von 5 Fuß Höhe, die außer den sieben Churfürsten eine seltsame zusammengesetzte Gesellschaft bilden. Nämlich Chlodwig, Gottfried v. Bouillon, Carl der Große, Judas Maccabäus, David, Josua, I. Cäsar, Hector und Alexander. Eine buntere Zusammenwürfeluug von Zeitaltern und Völkern, historischen und halb mythischen Charakteren ist wol kaum denkbar. Die Abtheilung über ihnen enthält Moses und die Propheten. Ein anderer Brunnen, der hinter der Frauenkirche am Obstmarkte liegt, ist mit der bekannten kleinen Bronzefigur geschmückt, auf welche die Nürnberger großen Werth legen. Sie stellt einen Bauer vor, der zwei Gänse unter dem Arm trägt und das „Gänsemännchen" genannt wird, ist -hübsch und charakteristisch ausgeführt, und verdient daher wol, daß man einige Schritte aus dem Wege biegt, um sie zu beschauen. Der Meister, von dem sie herrührt, ist Pankraz Labenwolf, ein Schüler Vischer's. Das Nürnberger Rathhaus steht in völligem Contrast mit der überall in der Stadt vorherrschenden altdeutschen Bauart. Es ist in den Jahren 1616 bis 1619 erbaut und ganz in dem Geschmack jener Zeit, dem finstern und schwer¬ fälligen, sogenannten Jesnitenstyl gehalten. Obwol es durch seine Größe — die vordere Fayade ist 275 Fuß lang — eine gewisse Wirkung hervorbringt, so macht es anch inmitten seiner Umgebungen einen ungünstigen Eindruck. Ans einem großen freien Platze müßte es in seiner Art imposant genannt werden; in einer nicht sehr breiten Straße und der Sebalduskirche gegenüber verliert es nicht nur selbst sehr, sondern beeinträchtigt anch das Uebrige. Ein altdeutsches Stadthaus, wie es Leipzig und Breslau besitzen, würde ungleich besser an seiner Stelle sein. Die Hofgebäude gehören noch dem frühern Rathhaus an, sind aber ohne architektonische Bedeutung. Ein Ueberrest des letztern jedoch, der große Rathhaussaal, dessen schmale Seite innerhalb der vordern Front liegt, ist.des Besuches werth. Er ist auf eine Weise in den neuen Bau hineingefügt,'die Grenzboten. IV. 18os. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/219>, abgerufen am 05.06.2024.