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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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dem oberflächlichen Beschauer verborgen bleibt. Der allgemeine.Eindruck des
Saales ist tres seiner ziemlichen Größe -- er ist 80 Fuß lang, 30 Fuß breit --
nicht bedeutend, da er theils in einem traurigen, höchst vernachlässigten Zustande sich
befindet, theils vou gänzlich reizloser Bauart ist. Die Decke, die aus einer großen,
runden und glatten Wölbung bssteht, ist von Holz. Und doch war er vor Jahr¬
hunderten der Schauplatz fürstlichen Glanzes; in Zeiten, als die Verfassung und
Einheit des deutschen Reiches noch nicht zu einem leeren Schatten herabgesunken
waren, wurden hier öfters die Reichstage abgehalten. In einer Ecke steht noch der
schmucklose Lehnsessel, von dunkelem Eichenholz, dessen sich die Kaiser bedienten.
Was den Saal indeß noch heute in hohem Grade Sehenswürdig macht, sind drei
lebensgroße Wandgemälde von Albrecht Dürer, die man auf einer seiner langen
Seitenwände erblickt. Zunächst dem Fenster ist die Allegorie, der "ungerechte
Richterspruch" befindlich. Einen Totaleindruck kann dieses Gemälde wol kaum
machen; an dem einen Ende ist auf einem Stuhle sitzend der Richter, vor ihm
ein knieender Jüngling, die verfolgte Unschuld darstellend, welche durch die verschie¬
denen Laster, die sie verfolgen, bedroht wird. Die letzteren sind in männlichen und
weiblichen Figuren personificirt, deren eben so geniale, als maßvolle Auffassung von
der Meisterschaft des großen Malers Zeugniß giebt.

Leider hat das Gemälde durch Risse, Flecken und theilweise Verwischung der
Farben sehr gelitten, und man scheint nichts für seine Restauration gethan zu
haben. Zunächst dem ungerechten Richterspruch ist eine Gruppe Musikanten, die
städtische" Musikbande zu Dürer's Zeit darstellend. Die Charakteristik der ein¬
zelnen Gesichter ist von glänzender humoristischer Wirkung. Den größten Theil
der Wand bedeckt ein Triumphwagen Maximilian's deö Ersten, mit, ich weiß nicht
mehr wie viel, Pferden bespannt, deren jedes Paar von einer weiblichen Figur
am Zügel gehalten wird: Der alte, eingeschrumpfte Kaiser -- der dargestellte
Einzug fand, glaube ich, im Jahr 1316 statt -- sitzt auf dem, dem Anschein nach
höchst unbequemen Fuhrwerk. Das gewiß sehr ähnliche Gesicht fällt dnrch seine
außerordentlich große Habsburgische Nase auf; von dem "letzten Ritter", dem
kühnen Jägerhaus der Martinswand, ist in diesem abgelebten, gebeugten Greise
keine Spur mehr übrig. Das Gemälde ist, wie schon aus dem Gegenstand ein¬
leuchtet, den beiden anderen nicht an die Seite zu stellen. Zwischen zweien der
Wandgemälde Dürer's hängt unter Glas in einem modernen Rahmen ein buntes
Kunstblatt; es enthält ein Gedicht König Ludwig's "an die Stadt Nürnberg",
das im Jahr 1839 im Auftrag der Commune von Heideloff mit Nandzeichnungen
illustrirt wurde. Zu jeder der 16 Strophen ist stets ein kleines Bildchen ange¬
fertigt. Sechzehn Strophen! ich habe sie sämmtlich durchgelesen; sie sind sehr
gut gemeint und sehr mühsam gereimt. An der Wand dieses Saals, der Jahr¬
hunderte, lang Zeuge der Macht und Größe der stolzen Reichsstadt war, machte
diese unterthänige Huldigung gegen ihre neuen Beherrscher einen traurigen, Ein-


dem oberflächlichen Beschauer verborgen bleibt. Der allgemeine.Eindruck des
Saales ist tres seiner ziemlichen Größe — er ist 80 Fuß lang, 30 Fuß breit —
nicht bedeutend, da er theils in einem traurigen, höchst vernachlässigten Zustande sich
befindet, theils vou gänzlich reizloser Bauart ist. Die Decke, die aus einer großen,
runden und glatten Wölbung bssteht, ist von Holz. Und doch war er vor Jahr¬
hunderten der Schauplatz fürstlichen Glanzes; in Zeiten, als die Verfassung und
Einheit des deutschen Reiches noch nicht zu einem leeren Schatten herabgesunken
waren, wurden hier öfters die Reichstage abgehalten. In einer Ecke steht noch der
schmucklose Lehnsessel, von dunkelem Eichenholz, dessen sich die Kaiser bedienten.
Was den Saal indeß noch heute in hohem Grade Sehenswürdig macht, sind drei
lebensgroße Wandgemälde von Albrecht Dürer, die man auf einer seiner langen
Seitenwände erblickt. Zunächst dem Fenster ist die Allegorie, der „ungerechte
Richterspruch" befindlich. Einen Totaleindruck kann dieses Gemälde wol kaum
machen; an dem einen Ende ist auf einem Stuhle sitzend der Richter, vor ihm
ein knieender Jüngling, die verfolgte Unschuld darstellend, welche durch die verschie¬
denen Laster, die sie verfolgen, bedroht wird. Die letzteren sind in männlichen und
weiblichen Figuren personificirt, deren eben so geniale, als maßvolle Auffassung von
der Meisterschaft des großen Malers Zeugniß giebt.

Leider hat das Gemälde durch Risse, Flecken und theilweise Verwischung der
Farben sehr gelitten, und man scheint nichts für seine Restauration gethan zu
haben. Zunächst dem ungerechten Richterspruch ist eine Gruppe Musikanten, die
städtische« Musikbande zu Dürer's Zeit darstellend. Die Charakteristik der ein¬
zelnen Gesichter ist von glänzender humoristischer Wirkung. Den größten Theil
der Wand bedeckt ein Triumphwagen Maximilian's deö Ersten, mit, ich weiß nicht
mehr wie viel, Pferden bespannt, deren jedes Paar von einer weiblichen Figur
am Zügel gehalten wird: Der alte, eingeschrumpfte Kaiser — der dargestellte
Einzug fand, glaube ich, im Jahr 1316 statt — sitzt auf dem, dem Anschein nach
höchst unbequemen Fuhrwerk. Das gewiß sehr ähnliche Gesicht fällt dnrch seine
außerordentlich große Habsburgische Nase auf; von dem „letzten Ritter", dem
kühnen Jägerhaus der Martinswand, ist in diesem abgelebten, gebeugten Greise
keine Spur mehr übrig. Das Gemälde ist, wie schon aus dem Gegenstand ein¬
leuchtet, den beiden anderen nicht an die Seite zu stellen. Zwischen zweien der
Wandgemälde Dürer's hängt unter Glas in einem modernen Rahmen ein buntes
Kunstblatt; es enthält ein Gedicht König Ludwig's „an die Stadt Nürnberg",
das im Jahr 1839 im Auftrag der Commune von Heideloff mit Nandzeichnungen
illustrirt wurde. Zu jeder der 16 Strophen ist stets ein kleines Bildchen ange¬
fertigt. Sechzehn Strophen! ich habe sie sämmtlich durchgelesen; sie sind sehr
gut gemeint und sehr mühsam gereimt. An der Wand dieses Saals, der Jahr¬
hunderte, lang Zeuge der Macht und Größe der stolzen Reichsstadt war, machte
diese unterthänige Huldigung gegen ihre neuen Beherrscher einen traurigen, Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/220>, abgerufen am 05.06.2024.