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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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liebes Erkranken führte die Katastrophe herbei. So wie seine NichtWiederher¬
stellung außer Zweifel war, ermächtigte der König Canning als den einzigen mög¬
lichen Mann zur Bildung eines Ministeriums. Canning war aber ein Liberaler
aus Princip und hatte sich zum Nachgeben in der Emancipationssrage verpflichtet;
außerdem war er nur eine Minorität in dem bisherigen Cabinet. Der Herzog
aber war mißtrauisch gegen liberale Principien, wollte nichts mit "politischen
Abenteurern", wie mau Canning und Huskisson nannte, zu thun haben, nud hatte
eine persönliche Abneigung gegen Canning. Kaum war daher derselbe zum Pre¬
mier ernannt, so reichte der Herzog mit der Mehrzahl seine Entlassung ein, legte
auch seine übrigen Stellen als Feldzeugmeister und Oberbefehlshaber des Heeres
nieder, und brachte wenige Monate später einen die Kornbill des neuen Ministe¬
riums verdammenden Beschluß durch das Oberhaus. Dieses Verfahren wurde
als factios bezeichnet und als eingegeben von dem Verlangen, selbst Premier¬
minister zu sein, welcher letztern Beschuldigung der Herzog mit der Erklärung
begegnete, daß er seine Untauglichkeit zu einer solchen Stellung vollkommen ein¬
sehe, und daß er verrückt hätte sein müssen, hätte er nur daran denken wollen.
Von dem Vorwurf der Factiofität muß man den Herzog freisprechen: mau konnte
nicht von ihm verlangen, eine Politik mit in Ausführung zu bringen, deren Prin¬
cipien er abhold war und deren Nothwendigkeit er noch nicht erkannte. Nie aus
Princip, sondern erst wenn sich die UnHaltbarkeit von bestehenden Verhältnissen
praktisch bewährte, konnte sich sein wesentlich conservativer Charakter zu Neue¬
rungen entschließen. Die Erklärung seiner Unfähigkeit zum Premierminister wurde
ihm aber nicht vergessen, als er noch 8 Monate später nach Canning's zu frühem
Tode und Lord Goderich's kurzem Ministerium doch als Premier vor das Parlament
trat. Der Herzog mit Peel und Goulbourn bildete den-Kern des Cabinets,
aber Huskisson und vier andere Canningiten saßen mit darin, und ihre Ansichten
gewannen bald Einfluß auf die allgemeine Politik des Ministeriums.

Drei wichtige Fragen forderten gebieterisch eine gesetzliche Lösung: die poli¬
tische Gleichstellung der Nichtprotestantcn, die Aufhebung der Kornzölle und die
Parlamentsreform. Die letztere Frage war damals am wenigsten weit vorgeschrit¬
ten, und es war im Unterhause keine Majorität dafür zu erlangen; daß der
Herzog über die beiden anderen Fragen, wie seine alten Freunde, die Tories, dachte,
wußte man. Der Conflict ließ nicht lange auf sich warten; gleich nach Beginn
der Session stellte Lord Rüssel einen Antrag auf Abschaffung der Testacte und
erlangte dafür eine Majorität von Stimmen. Das Cabinet, über diese Frage
getheilt, konnte gegen diese Opposition nicht Stand halten, die alten Partei¬
traditionen erwiesen sich als unpraktisch, und der Herzog fand für gerathen, trotz
des verzweifelten Widerstandes seines alten Freundes, Lord Eldon, nachzugeben,
und die Bill als ministerielle Maßregel durch das Oberhaus zu bringen. Aehnliches
geschah mit, einer Kornbill Huskisson's. Später kam auch die Nesormsrage an das


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liebes Erkranken führte die Katastrophe herbei. So wie seine NichtWiederher¬
stellung außer Zweifel war, ermächtigte der König Canning als den einzigen mög¬
lichen Mann zur Bildung eines Ministeriums. Canning war aber ein Liberaler
aus Princip und hatte sich zum Nachgeben in der Emancipationssrage verpflichtet;
außerdem war er nur eine Minorität in dem bisherigen Cabinet. Der Herzog
aber war mißtrauisch gegen liberale Principien, wollte nichts mit „politischen
Abenteurern", wie mau Canning und Huskisson nannte, zu thun haben, nud hatte
eine persönliche Abneigung gegen Canning. Kaum war daher derselbe zum Pre¬
mier ernannt, so reichte der Herzog mit der Mehrzahl seine Entlassung ein, legte
auch seine übrigen Stellen als Feldzeugmeister und Oberbefehlshaber des Heeres
nieder, und brachte wenige Monate später einen die Kornbill des neuen Ministe¬
riums verdammenden Beschluß durch das Oberhaus. Dieses Verfahren wurde
als factios bezeichnet und als eingegeben von dem Verlangen, selbst Premier¬
minister zu sein, welcher letztern Beschuldigung der Herzog mit der Erklärung
begegnete, daß er seine Untauglichkeit zu einer solchen Stellung vollkommen ein¬
sehe, und daß er verrückt hätte sein müssen, hätte er nur daran denken wollen.
Von dem Vorwurf der Factiofität muß man den Herzog freisprechen: mau konnte
nicht von ihm verlangen, eine Politik mit in Ausführung zu bringen, deren Prin¬
cipien er abhold war und deren Nothwendigkeit er noch nicht erkannte. Nie aus
Princip, sondern erst wenn sich die UnHaltbarkeit von bestehenden Verhältnissen
praktisch bewährte, konnte sich sein wesentlich conservativer Charakter zu Neue¬
rungen entschließen. Die Erklärung seiner Unfähigkeit zum Premierminister wurde
ihm aber nicht vergessen, als er noch 8 Monate später nach Canning's zu frühem
Tode und Lord Goderich's kurzem Ministerium doch als Premier vor das Parlament
trat. Der Herzog mit Peel und Goulbourn bildete den-Kern des Cabinets,
aber Huskisson und vier andere Canningiten saßen mit darin, und ihre Ansichten
gewannen bald Einfluß auf die allgemeine Politik des Ministeriums.

Drei wichtige Fragen forderten gebieterisch eine gesetzliche Lösung: die poli¬
tische Gleichstellung der Nichtprotestantcn, die Aufhebung der Kornzölle und die
Parlamentsreform. Die letztere Frage war damals am wenigsten weit vorgeschrit¬
ten, und es war im Unterhause keine Majorität dafür zu erlangen; daß der
Herzog über die beiden anderen Fragen, wie seine alten Freunde, die Tories, dachte,
wußte man. Der Conflict ließ nicht lange auf sich warten; gleich nach Beginn
der Session stellte Lord Rüssel einen Antrag auf Abschaffung der Testacte und
erlangte dafür eine Majorität von Stimmen. Das Cabinet, über diese Frage
getheilt, konnte gegen diese Opposition nicht Stand halten, die alten Partei¬
traditionen erwiesen sich als unpraktisch, und der Herzog fand für gerathen, trotz
des verzweifelten Widerstandes seines alten Freundes, Lord Eldon, nachzugeben,
und die Bill als ministerielle Maßregel durch das Oberhaus zu bringen. Aehnliches
geschah mit, einer Kornbill Huskisson's. Später kam auch die Nesormsrage an das


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[0227] liebes Erkranken führte die Katastrophe herbei. So wie seine NichtWiederher¬ stellung außer Zweifel war, ermächtigte der König Canning als den einzigen mög¬ lichen Mann zur Bildung eines Ministeriums. Canning war aber ein Liberaler aus Princip und hatte sich zum Nachgeben in der Emancipationssrage verpflichtet; außerdem war er nur eine Minorität in dem bisherigen Cabinet. Der Herzog aber war mißtrauisch gegen liberale Principien, wollte nichts mit „politischen Abenteurern", wie mau Canning und Huskisson nannte, zu thun haben, nud hatte eine persönliche Abneigung gegen Canning. Kaum war daher derselbe zum Pre¬ mier ernannt, so reichte der Herzog mit der Mehrzahl seine Entlassung ein, legte auch seine übrigen Stellen als Feldzeugmeister und Oberbefehlshaber des Heeres nieder, und brachte wenige Monate später einen die Kornbill des neuen Ministe¬ riums verdammenden Beschluß durch das Oberhaus. Dieses Verfahren wurde als factios bezeichnet und als eingegeben von dem Verlangen, selbst Premier¬ minister zu sein, welcher letztern Beschuldigung der Herzog mit der Erklärung begegnete, daß er seine Untauglichkeit zu einer solchen Stellung vollkommen ein¬ sehe, und daß er verrückt hätte sein müssen, hätte er nur daran denken wollen. Von dem Vorwurf der Factiofität muß man den Herzog freisprechen: mau konnte nicht von ihm verlangen, eine Politik mit in Ausführung zu bringen, deren Prin¬ cipien er abhold war und deren Nothwendigkeit er noch nicht erkannte. Nie aus Princip, sondern erst wenn sich die UnHaltbarkeit von bestehenden Verhältnissen praktisch bewährte, konnte sich sein wesentlich conservativer Charakter zu Neue¬ rungen entschließen. Die Erklärung seiner Unfähigkeit zum Premierminister wurde ihm aber nicht vergessen, als er noch 8 Monate später nach Canning's zu frühem Tode und Lord Goderich's kurzem Ministerium doch als Premier vor das Parlament trat. Der Herzog mit Peel und Goulbourn bildete den-Kern des Cabinets, aber Huskisson und vier andere Canningiten saßen mit darin, und ihre Ansichten gewannen bald Einfluß auf die allgemeine Politik des Ministeriums. Drei wichtige Fragen forderten gebieterisch eine gesetzliche Lösung: die poli¬ tische Gleichstellung der Nichtprotestantcn, die Aufhebung der Kornzölle und die Parlamentsreform. Die letztere Frage war damals am wenigsten weit vorgeschrit¬ ten, und es war im Unterhause keine Majorität dafür zu erlangen; daß der Herzog über die beiden anderen Fragen, wie seine alten Freunde, die Tories, dachte, wußte man. Der Conflict ließ nicht lange auf sich warten; gleich nach Beginn der Session stellte Lord Rüssel einen Antrag auf Abschaffung der Testacte und erlangte dafür eine Majorität von Stimmen. Das Cabinet, über diese Frage getheilt, konnte gegen diese Opposition nicht Stand halten, die alten Partei¬ traditionen erwiesen sich als unpraktisch, und der Herzog fand für gerathen, trotz des verzweifelten Widerstandes seines alten Freundes, Lord Eldon, nachzugeben, und die Bill als ministerielle Maßregel durch das Oberhaus zu bringen. Aehnliches geschah mit, einer Kornbill Huskisson's. Später kam auch die Nesormsrage an das Grenzboten. IV. <8S2. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/227>, abgerufen am 05.06.2024.