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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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wie in der kaum davon zu trennenden künstlerischen Behandlung im Ganzen
für ein verfehltes, ohne indeß die mannichfachen trefflichen Seiten desselben, die
fleißige und ernste Durchführung des Einzelnen, das Streben nach tieferer
Auffassung des Gegenstündlichen -- nach individueller Charakteristik u. f. w. zu
verkennen, wenn wir gleich dagegen wiederum nicht umhin können, dem Bilde
den Vorwurf zu macheu, daß es an jener technischen Einseitigkeit leidet, die jede
markige Aeußerungsform entbehrend, an das Geglättete, fast gläsern Durchschei¬
nende anstreift. --

Das dritte, auf der Ausstellung befindliche Bild des Künstlers (Ur. 223.)
macht, ungeachtet seines Umfangs -- denn die Figuren nähern sich auch hier der
Lebensgröße -- bei weitem weniger Ansprüche an den Verstand des Beschauers.
Wie der Katalog besagt, stellt das Bild dar: wie "Harras den Knaben Samuel
zu dem Hohenpriester Ell bringt, um ihn dem Herrn zu weihen." (Vergl. 1. Sa-
muelis Cap. 1, V. 2t--28.) Wir sagen ausdrücklich, wie der Katalog besagt,
denn in der Darstellung selbst spricht sich der Hergang dieser Sache in keiner Weise
aus. Nicht einmal durch Beobachtung des Costumlichen, wie rein Aeußerlichen,
sehen wir uns in eine orientalische Welt versetzt, indem das Ganze in dem hierauf
bezüglichen Arrangement durchaus deu Charakter jener altitalischen Bilder aus
dem sechzehnten Jahrhundert nachahmt, in denen fast sämmtlich ein der Zeit
angepaßtes, mehr oder weniger antikiflrendes Element vorherrscht. Ein solches
erstreckt sich außerdem hier selbst bis auf den Ausdruck der Köpfe, von denen sogar
der des Knaben Samuelis aus eine modern italienische Ursprünglichkeit schließen
läßt. Sehen wir von der im Verzeichniß gegebenen Erläuterung ab, so erblicken
wir einen graubärtigen alten Maun, der, auf einem Stuhle sitzend, einen von
einem Weibe ihm vorgeführten braunlockigen Jungen mit Wohlwollen blickenden
Antlitz empfängt Wahrlich Stoff genug für einen Maler, um daraus ein wahr¬
haft vollendetes, den Beschauer ergreifendes Kunstwerk zu schaffen -- auch ohne weitere
geschichtliche Beziehung. Aber, auch dies ist dem Künstler nicht gelungen. Keines der
dargestellten Charaktere erscheint hier weder aus sich, noch ans der Handlung heraus
entwickelt, vielmehr trägt jeder und so auch jedes Einzelne im Bilde den Stempel eines
für sich bestehenden faktischen Studiums, wodurch dann das Ganze zu einem Complex
von Studien zusammenfällt -- den Geist des Beschauers herüber und hinüber führt,
ohne ihn zu beruhigen und zu fesseln. Betrachten wir hiernach das Einzelne, so
ist zunächst die Färbung durchgängig kalt und unharmonisch. Ueberall sehlt ihr
der so überaus belebende Schmelz. Die Schatten sind braun und schwer, und
stehen hart und scharf zu ihren Lichtpartien. Die Gewänder, obgleich nicht un¬
schön in den Motiven, erhalten dadurch etwas Blecherues, Gewaltsames. Dies
Steife und Unbiegsame fällt besonders störend an einzelnen Gewandtheilen der weib¬
lichen Figur auf, so z. B. an den weißen und weiten Aermeln derselben, die bei
vollständiger Unbelebtheit des übrigen Gewandlichen in eine vom Winde durch-


wie in der kaum davon zu trennenden künstlerischen Behandlung im Ganzen
für ein verfehltes, ohne indeß die mannichfachen trefflichen Seiten desselben, die
fleißige und ernste Durchführung des Einzelnen, das Streben nach tieferer
Auffassung des Gegenstündlichen — nach individueller Charakteristik u. f. w. zu
verkennen, wenn wir gleich dagegen wiederum nicht umhin können, dem Bilde
den Vorwurf zu macheu, daß es an jener technischen Einseitigkeit leidet, die jede
markige Aeußerungsform entbehrend, an das Geglättete, fast gläsern Durchschei¬
nende anstreift. —

Das dritte, auf der Ausstellung befindliche Bild des Künstlers (Ur. 223.)
macht, ungeachtet seines Umfangs — denn die Figuren nähern sich auch hier der
Lebensgröße — bei weitem weniger Ansprüche an den Verstand des Beschauers.
Wie der Katalog besagt, stellt das Bild dar: wie „Harras den Knaben Samuel
zu dem Hohenpriester Ell bringt, um ihn dem Herrn zu weihen." (Vergl. 1. Sa-
muelis Cap. 1, V. 2t—28.) Wir sagen ausdrücklich, wie der Katalog besagt,
denn in der Darstellung selbst spricht sich der Hergang dieser Sache in keiner Weise
aus. Nicht einmal durch Beobachtung des Costumlichen, wie rein Aeußerlichen,
sehen wir uns in eine orientalische Welt versetzt, indem das Ganze in dem hierauf
bezüglichen Arrangement durchaus deu Charakter jener altitalischen Bilder aus
dem sechzehnten Jahrhundert nachahmt, in denen fast sämmtlich ein der Zeit
angepaßtes, mehr oder weniger antikiflrendes Element vorherrscht. Ein solches
erstreckt sich außerdem hier selbst bis auf den Ausdruck der Köpfe, von denen sogar
der des Knaben Samuelis aus eine modern italienische Ursprünglichkeit schließen
läßt. Sehen wir von der im Verzeichniß gegebenen Erläuterung ab, so erblicken
wir einen graubärtigen alten Maun, der, auf einem Stuhle sitzend, einen von
einem Weibe ihm vorgeführten braunlockigen Jungen mit Wohlwollen blickenden
Antlitz empfängt Wahrlich Stoff genug für einen Maler, um daraus ein wahr¬
haft vollendetes, den Beschauer ergreifendes Kunstwerk zu schaffen — auch ohne weitere
geschichtliche Beziehung. Aber, auch dies ist dem Künstler nicht gelungen. Keines der
dargestellten Charaktere erscheint hier weder aus sich, noch ans der Handlung heraus
entwickelt, vielmehr trägt jeder und so auch jedes Einzelne im Bilde den Stempel eines
für sich bestehenden faktischen Studiums, wodurch dann das Ganze zu einem Complex
von Studien zusammenfällt — den Geist des Beschauers herüber und hinüber führt,
ohne ihn zu beruhigen und zu fesseln. Betrachten wir hiernach das Einzelne, so
ist zunächst die Färbung durchgängig kalt und unharmonisch. Ueberall sehlt ihr
der so überaus belebende Schmelz. Die Schatten sind braun und schwer, und
stehen hart und scharf zu ihren Lichtpartien. Die Gewänder, obgleich nicht un¬
schön in den Motiven, erhalten dadurch etwas Blecherues, Gewaltsames. Dies
Steife und Unbiegsame fällt besonders störend an einzelnen Gewandtheilen der weib¬
lichen Figur auf, so z. B. an den weißen und weiten Aermeln derselben, die bei
vollständiger Unbelebtheit des übrigen Gewandlichen in eine vom Winde durch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/33>, abgerufen am 22.05.2024.