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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Hierfür sprechen eine große Anzahl deutscher Bilder, in denen sie, freilich oft
mit Aufopferung des innerlich deutscheu Wesens, erstrebt ist. Was der
Deutsche mit Mühe erstreben muß, lernen die belgischen Künstler spielend, indem
sie, mit sehr wenigen Ausnahmen, schon sehr frühzeitig, ja oft als Kinder, sich
der Kunstausübung widmen und so mit dem Handwerk in einer Weise vertraut
werden, wie Derjenige, dessen Geist bereits gereist ist, wenn er den Pinsel oder
Griffel zum ersten Male zur Hand nimmt, nur noch mit großer Mühe und
mannichfach geistigen Opfern zu erreichen im Stande ist. -- Wir schicken diese
Bemerkungen dem Bilde des van Eycken voran, damit wir dies, wie überhaupt
die übrigen noch zu beurtheilenden belgischen Bilder, nach ihrem wahren künst¬
lerischen Gehalte zu würdigen im Stande sind. Bleiben wir also bei dem
,,Jeremias" stehen, so müssen wir dieser Arbeit unbedingt jene oben berührten
Vorzüge lassen. Diese gestalten indeß noch kein Kunstwerk. Sie sind höchstens
ein zwar nothwendiger, aber doch nur immer mehr äußerlich wirkender Theil
desselben. Zu der wahrhaft wirkenden Macht fehlt dem Bilde doch noch unendlich
viel und zwar zunächst das Wesentlichste -- der in der Natur bedingte organische
Verband des Einzelnen zu einem Ganzen. Ungeachtet der Künstler hier das in
dem Bilde als Vision Gedachte dnrch eine von der Materie -- dein Jeremias
selbst -- sich sondernde Färbung getrennt und so den ganzen Vorgang einigermaßen
verständliche hat, fehlt dennoch der, vermuthlich das hereinbrechende Strafgericht
Gottes andeutenden Geisteserscheinung das innerlich ergreifende, das Sinnliche
überwältigende, geistige Leben. Und doch ist dieser Theil bei weitem der
gelungenste im Bilde, indem es uns, wenn auch nur momentan, über die Sphäre
des Gegenständlichen erhebt. Ganz schlecht ist dagegen, trotz orientalischer
Kleidung und langem, im Winde wüstflatterndem Barte, die vorn sitzende Gestalt
des Jeremias. Die nach der Stirn gerichtete, die Erscheinung abwehrende
Hand hat eben so wenig innerlichen Ausdruck und Leben, wie der Kops, dem es
sogar an einem -- zur Existenz nothwendigen -- rein naturgemäßen Knochenbau
gebricht. Dieser Jeremias könnte nicht, wie einst die Galathea des Pygmalion,
durch eingehauchtes Leben sich zu einem naturfähigen Wesen verkörpern -- er
würde höchstens als ein unheilbarer, lahmer, athemloser Krüppel dem Bilde ent¬
steige". -- Es hilft also dem Werke weder das brillante, effectvolle Colorit, noch
die ihm nicht abzusprechende technische Meisterschaft über die Grenze des gewöhn¬
lichen Machwerks -- denn es fehlt ihm das wahre Erfassen der der Schöpfung
innewohnenden Macht -- 'Naturwahrheit, Innerlichkeit, Seele.




Hierfür sprechen eine große Anzahl deutscher Bilder, in denen sie, freilich oft
mit Aufopferung des innerlich deutscheu Wesens, erstrebt ist. Was der
Deutsche mit Mühe erstreben muß, lernen die belgischen Künstler spielend, indem
sie, mit sehr wenigen Ausnahmen, schon sehr frühzeitig, ja oft als Kinder, sich
der Kunstausübung widmen und so mit dem Handwerk in einer Weise vertraut
werden, wie Derjenige, dessen Geist bereits gereist ist, wenn er den Pinsel oder
Griffel zum ersten Male zur Hand nimmt, nur noch mit großer Mühe und
mannichfach geistigen Opfern zu erreichen im Stande ist. — Wir schicken diese
Bemerkungen dem Bilde des van Eycken voran, damit wir dies, wie überhaupt
die übrigen noch zu beurtheilenden belgischen Bilder, nach ihrem wahren künst¬
lerischen Gehalte zu würdigen im Stande sind. Bleiben wir also bei dem
,,Jeremias" stehen, so müssen wir dieser Arbeit unbedingt jene oben berührten
Vorzüge lassen. Diese gestalten indeß noch kein Kunstwerk. Sie sind höchstens
ein zwar nothwendiger, aber doch nur immer mehr äußerlich wirkender Theil
desselben. Zu der wahrhaft wirkenden Macht fehlt dem Bilde doch noch unendlich
viel und zwar zunächst das Wesentlichste — der in der Natur bedingte organische
Verband des Einzelnen zu einem Ganzen. Ungeachtet der Künstler hier das in
dem Bilde als Vision Gedachte dnrch eine von der Materie — dein Jeremias
selbst — sich sondernde Färbung getrennt und so den ganzen Vorgang einigermaßen
verständliche hat, fehlt dennoch der, vermuthlich das hereinbrechende Strafgericht
Gottes andeutenden Geisteserscheinung das innerlich ergreifende, das Sinnliche
überwältigende, geistige Leben. Und doch ist dieser Theil bei weitem der
gelungenste im Bilde, indem es uns, wenn auch nur momentan, über die Sphäre
des Gegenständlichen erhebt. Ganz schlecht ist dagegen, trotz orientalischer
Kleidung und langem, im Winde wüstflatterndem Barte, die vorn sitzende Gestalt
des Jeremias. Die nach der Stirn gerichtete, die Erscheinung abwehrende
Hand hat eben so wenig innerlichen Ausdruck und Leben, wie der Kops, dem es
sogar an einem — zur Existenz nothwendigen — rein naturgemäßen Knochenbau
gebricht. Dieser Jeremias könnte nicht, wie einst die Galathea des Pygmalion,
durch eingehauchtes Leben sich zu einem naturfähigen Wesen verkörpern — er
würde höchstens als ein unheilbarer, lahmer, athemloser Krüppel dem Bilde ent¬
steige». — Es hilft also dem Werke weder das brillante, effectvolle Colorit, noch
die ihm nicht abzusprechende technische Meisterschaft über die Grenze des gewöhn¬
lichen Machwerks — denn es fehlt ihm das wahre Erfassen der der Schöpfung
innewohnenden Macht — 'Naturwahrheit, Innerlichkeit, Seele.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/34>, abgerufen am 15.05.2024.