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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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An einer andern Stelle fand sich einmal Gelegenheit, unser deutsches Pu-
blicum und namentlich die Uebersetzer russischer Bücher in's Deutsche darauf hinzu¬
weisen; wie eine Beachtung der national-russischen statistischen und ethnographi¬
schen Literatur dem nichtrussischen Europa viel lehrreichere Einblicke in das innere
Leben, in die Zustände des russischen Reiches, in die Geistesbewegungen und die
socialen Verhältnisse gewähren würde, als die Uebertragungen modischer Novellen
und Romane. Diese sind weder ihrem intellectuellen Ursprünge nach russisch,
noch schildern sie meistens die eigentlich russische Welt, sondern die französisch ge¬
bildete der Salons, oder, wenn sogenannte russische Volks - und Lebenszustände,
doch diese mit den oben berührten Kexaräs für ihre wahrscheinlichen (aristokrati¬
schen) Leser, für die eigene Tschinstellung, für die gegen Allen zugängliche Litera-
turerzeuguifse absonderlich strenge Censur. -- Russisch ist nun bekanntlich für uns
Deutsche eine außerordentlich schwierige Sprache. Vor der Hand ist serner die
Hoffnung auf jenes Nationalparlament einigermaßen in den Hintergrund getreten,
mit dessen Hilfe die Herren von Lassaulx, Sepp, Gfrörer, Reichensperger und
andere rationelle Patrioten, slavische Frömmigkeit, Loyalität, Geisteskraft und sla¬
vischen Biedersinn, also auch slavische Sprachen auf friedlichem Wege zur Ver¬
jüngung des germanischen Christenthums in unser Leben trcmssundiren wollten.
Eben so scheint sich vor der Hand die bekannte napoleonische Weissagung noch nicht
zu verwirklichen, so daß schwerlich in der nächsten Zeit pädagogische Kosaken uns
die russische Sprache mit der Nogaika einschmeicheln. Aus allen diesen Gründen
dürfte für den Augenblick die Lecture russischer Bücher und russische Conversations-
übung noch nicht so verbreitet sein, als z. B. das Studium französischer Romane
und das sogenannte Französtschsprechen. Wenn also russische Autoren über russische
Zustände auch etwelchen Absatz in Deutschland wünschen, möchte ihnen zu rathen
sein, ihre Bücher gleichzeitig deutsch und russisch herauszugeben. Dies hat Herr
Platon Storch mit seinem Werke "Der Bauernstand in Rußland" gethan.

Darin liegt ein sreundnachbarlicher Höflichkeits- und Achtungsbeweis, welcher
schwerlich eine baldige Erwiederung von deutscher Seite finden wird. Trotzdem
müssen wir bekennen^ daß auch jetzt noch einem russisch uicht vorgebildeten Leser
das Verständniß eines solchen russisch-deutscheu Buches ziemlich schwierig werden
mag. Russisch vorgebildet ist nämlich Derjenige, welcher ein unter russischer
Censur erschienenes Buch zu lesen versteht, d. h. mit denselben Voraussetzungen
zur. Hand nimmt, wie er in Rußland die ihm mündlich mit großer Bereitwillig¬
keit entgegengebrachten Belehrungen über Land, Leute, Zustände und Verhältnisse
auffassen lernt, nachdem er Gelegenheit gehabt hat, nngegängelt von dienstfertigen
Tschinowniks und offiziellen Empfehlungen, die selbstgesehenen Dinge mit den
empfangenen Belehrungen zu vergleichen. Herr Platon Storch berührt und ent¬
schuldigt diese Schwierigkeit des Verständnisses seines Buches in der Vorrede gar
nicht übel mit dem Satze: "Der Abfassung dieser Schrift liegen vorzugsweise


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An einer andern Stelle fand sich einmal Gelegenheit, unser deutsches Pu-
blicum und namentlich die Uebersetzer russischer Bücher in's Deutsche darauf hinzu¬
weisen; wie eine Beachtung der national-russischen statistischen und ethnographi¬
schen Literatur dem nichtrussischen Europa viel lehrreichere Einblicke in das innere
Leben, in die Zustände des russischen Reiches, in die Geistesbewegungen und die
socialen Verhältnisse gewähren würde, als die Uebertragungen modischer Novellen
und Romane. Diese sind weder ihrem intellectuellen Ursprünge nach russisch,
noch schildern sie meistens die eigentlich russische Welt, sondern die französisch ge¬
bildete der Salons, oder, wenn sogenannte russische Volks - und Lebenszustände,
doch diese mit den oben berührten Kexaräs für ihre wahrscheinlichen (aristokrati¬
schen) Leser, für die eigene Tschinstellung, für die gegen Allen zugängliche Litera-
turerzeuguifse absonderlich strenge Censur. — Russisch ist nun bekanntlich für uns
Deutsche eine außerordentlich schwierige Sprache. Vor der Hand ist serner die
Hoffnung auf jenes Nationalparlament einigermaßen in den Hintergrund getreten,
mit dessen Hilfe die Herren von Lassaulx, Sepp, Gfrörer, Reichensperger und
andere rationelle Patrioten, slavische Frömmigkeit, Loyalität, Geisteskraft und sla¬
vischen Biedersinn, also auch slavische Sprachen auf friedlichem Wege zur Ver¬
jüngung des germanischen Christenthums in unser Leben trcmssundiren wollten.
Eben so scheint sich vor der Hand die bekannte napoleonische Weissagung noch nicht
zu verwirklichen, so daß schwerlich in der nächsten Zeit pädagogische Kosaken uns
die russische Sprache mit der Nogaika einschmeicheln. Aus allen diesen Gründen
dürfte für den Augenblick die Lecture russischer Bücher und russische Conversations-
übung noch nicht so verbreitet sein, als z. B. das Studium französischer Romane
und das sogenannte Französtschsprechen. Wenn also russische Autoren über russische
Zustände auch etwelchen Absatz in Deutschland wünschen, möchte ihnen zu rathen
sein, ihre Bücher gleichzeitig deutsch und russisch herauszugeben. Dies hat Herr
Platon Storch mit seinem Werke „Der Bauernstand in Rußland" gethan.

Darin liegt ein sreundnachbarlicher Höflichkeits- und Achtungsbeweis, welcher
schwerlich eine baldige Erwiederung von deutscher Seite finden wird. Trotzdem
müssen wir bekennen^ daß auch jetzt noch einem russisch uicht vorgebildeten Leser
das Verständniß eines solchen russisch-deutscheu Buches ziemlich schwierig werden
mag. Russisch vorgebildet ist nämlich Derjenige, welcher ein unter russischer
Censur erschienenes Buch zu lesen versteht, d. h. mit denselben Voraussetzungen
zur. Hand nimmt, wie er in Rußland die ihm mündlich mit großer Bereitwillig¬
keit entgegengebrachten Belehrungen über Land, Leute, Zustände und Verhältnisse
auffassen lernt, nachdem er Gelegenheit gehabt hat, nngegängelt von dienstfertigen
Tschinowniks und offiziellen Empfehlungen, die selbstgesehenen Dinge mit den
empfangenen Belehrungen zu vergleichen. Herr Platon Storch berührt und ent¬
schuldigt diese Schwierigkeit des Verständnisses seines Buches in der Vorrede gar
nicht übel mit dem Satze: „Der Abfassung dieser Schrift liegen vorzugsweise


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[0037] An einer andern Stelle fand sich einmal Gelegenheit, unser deutsches Pu- blicum und namentlich die Uebersetzer russischer Bücher in's Deutsche darauf hinzu¬ weisen; wie eine Beachtung der national-russischen statistischen und ethnographi¬ schen Literatur dem nichtrussischen Europa viel lehrreichere Einblicke in das innere Leben, in die Zustände des russischen Reiches, in die Geistesbewegungen und die socialen Verhältnisse gewähren würde, als die Uebertragungen modischer Novellen und Romane. Diese sind weder ihrem intellectuellen Ursprünge nach russisch, noch schildern sie meistens die eigentlich russische Welt, sondern die französisch ge¬ bildete der Salons, oder, wenn sogenannte russische Volks - und Lebenszustände, doch diese mit den oben berührten Kexaräs für ihre wahrscheinlichen (aristokrati¬ schen) Leser, für die eigene Tschinstellung, für die gegen Allen zugängliche Litera- turerzeuguifse absonderlich strenge Censur. — Russisch ist nun bekanntlich für uns Deutsche eine außerordentlich schwierige Sprache. Vor der Hand ist serner die Hoffnung auf jenes Nationalparlament einigermaßen in den Hintergrund getreten, mit dessen Hilfe die Herren von Lassaulx, Sepp, Gfrörer, Reichensperger und andere rationelle Patrioten, slavische Frömmigkeit, Loyalität, Geisteskraft und sla¬ vischen Biedersinn, also auch slavische Sprachen auf friedlichem Wege zur Ver¬ jüngung des germanischen Christenthums in unser Leben trcmssundiren wollten. Eben so scheint sich vor der Hand die bekannte napoleonische Weissagung noch nicht zu verwirklichen, so daß schwerlich in der nächsten Zeit pädagogische Kosaken uns die russische Sprache mit der Nogaika einschmeicheln. Aus allen diesen Gründen dürfte für den Augenblick die Lecture russischer Bücher und russische Conversations- übung noch nicht so verbreitet sein, als z. B. das Studium französischer Romane und das sogenannte Französtschsprechen. Wenn also russische Autoren über russische Zustände auch etwelchen Absatz in Deutschland wünschen, möchte ihnen zu rathen sein, ihre Bücher gleichzeitig deutsch und russisch herauszugeben. Dies hat Herr Platon Storch mit seinem Werke „Der Bauernstand in Rußland" gethan. Darin liegt ein sreundnachbarlicher Höflichkeits- und Achtungsbeweis, welcher schwerlich eine baldige Erwiederung von deutscher Seite finden wird. Trotzdem müssen wir bekennen^ daß auch jetzt noch einem russisch uicht vorgebildeten Leser das Verständniß eines solchen russisch-deutscheu Buches ziemlich schwierig werden mag. Russisch vorgebildet ist nämlich Derjenige, welcher ein unter russischer Censur erschienenes Buch zu lesen versteht, d. h. mit denselben Voraussetzungen zur. Hand nimmt, wie er in Rußland die ihm mündlich mit großer Bereitwillig¬ keit entgegengebrachten Belehrungen über Land, Leute, Zustände und Verhältnisse auffassen lernt, nachdem er Gelegenheit gehabt hat, nngegängelt von dienstfertigen Tschinowniks und offiziellen Empfehlungen, die selbstgesehenen Dinge mit den empfangenen Belehrungen zu vergleichen. Herr Platon Storch berührt und ent¬ schuldigt diese Schwierigkeit des Verständnisses seines Buches in der Vorrede gar nicht übel mit dem Satze: „Der Abfassung dieser Schrift liegen vorzugsweise i*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/37>, abgerufen am 16.05.2024.