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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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t'eit die unsichere Zukunft der Handelsgesetzgebung und die Verminderung pro-
ductiver Capitalien durch eine massenhafte Auswanderung Mißbehagen hervor¬
brachten und fröhlichen Aufschwung hinderte", so giebt es doch eine Richtung des
deutscheu Lebens, in welcher wir sehr gesund und stark geblieben sind, wo kräftige
Sicherheit, patriotischer Sinn und ehrliche Selbsterkenntniß gerade jetzt in aus¬
gezeichneter Weise sichtbar geworden sind, das ist unsre Wissenschaft. Nie viel¬
leicht hat die deutsche Wissenschaft ihren Beruf so hoch gefaßt und so sicher und
edel, so bewußt und geistvoll darauf hingearbeitet, als gerade in den letzten
Jahren. Unsre wissenschaftliche Kritik hat die glücklichsten Versuche gemacht,
popnlair zu werden und durch ihre Analysen der Verbildung und Rohheit ent¬
gegenzuarbeiten. Die Naturwissenschaften kämpfen mit jugendlichem Feuer gegen
jede Art von Mysticismus und pfäffischer Despotie. Die ernste Muse der Ge¬
schichte ist rastlos bemüht, dem ermüdeten und gedrückten Volke seinen hohen
Wcltenberuf vorzuhalten, ihm einzelne patriotische Charaktere als Musterbilder
aufzustellen, und die ewigen Gesetze, uach denen die Volkskraft im Staate fluthend
und ebbend vorwärts strömt, zu ergründen und darzulegen, zur Lehre, zur Züch¬
tigung, zur Besserung.

Und deshalb können wir unser Blatt zum neuen Jahr nicht würdiger ein¬
weihen, als dadurch, baß wir das Buch eines bedeutenden und patriotischen
Mannes anzeigen, in welchem die Wissenschaft edel und hülfreich zum Volke
redet, einer liebevollen Freundin gleich, welche den tranken und niedergeschlagenen
Helden tröstet. In der Vorrede spricht Gervinus aus, daß er unternommen
habe, eine Geschichte der ersten Hälfte unsres Jahrhunderts zu schreiben, und die
Einleitung dazu als besonderes Werk vorausschicke, weil seine Freunde geglaubt,
ihr Inhalt könne dazu dienen, gesunkenes Vertrauen wieder zu beleben, gebeugte
Kraft aufzurichten. Auch wir wünschen und hoffen, daß die Schrift diesem patrio¬
tischen Zweck dienen wird. Der Verfasser ist bemüht, der bangen Furcht ent¬
gegenzutreten, welche sich in dieser Zeit der Verwirrung und Niedergeschlagenheit
nur zu oft in den Seelen der Edlere" regt, daß die Volker Europa'S, zunächst das
deutsche Volk, tu einer Periode des greisenhafte" Ablebens begriffen seien. Er
versucht aus dem Lauf der Geschichte allgemeine Gesetze der Staatenentwickeluug
zu construiren, weist einen constanten innern Proceß bei allen Culturvölkern
nach, der vom patriarchalischen Königthum durch den Aristviratismns und die
concentrirte Tyrannis Einzelner zu volkstümlicher Freiheit nothwendig hinführt.
Er weist nach, wie dieses große Gesetz für Mittelalter und neue Zeit modificirt
und genauer bestimmt wird durch den Gegensatz zwischen romanischer und ger-
manischer Individualität in der Völkerfamilie Europa's; wie über aller Verwirrung
und allem Unglück, welches Böller und Staaten seit dem Untergange des
Alterthums betroffen, doch im Großen ein stetiger Fortschritt zu immer höheren
Bildungen der Staaten unverkennbar sei; wie über den Schwankunge" der Par-


t'eit die unsichere Zukunft der Handelsgesetzgebung und die Verminderung pro-
ductiver Capitalien durch eine massenhafte Auswanderung Mißbehagen hervor¬
brachten und fröhlichen Aufschwung hinderte», so giebt es doch eine Richtung des
deutscheu Lebens, in welcher wir sehr gesund und stark geblieben sind, wo kräftige
Sicherheit, patriotischer Sinn und ehrliche Selbsterkenntniß gerade jetzt in aus¬
gezeichneter Weise sichtbar geworden sind, das ist unsre Wissenschaft. Nie viel¬
leicht hat die deutsche Wissenschaft ihren Beruf so hoch gefaßt und so sicher und
edel, so bewußt und geistvoll darauf hingearbeitet, als gerade in den letzten
Jahren. Unsre wissenschaftliche Kritik hat die glücklichsten Versuche gemacht,
popnlair zu werden und durch ihre Analysen der Verbildung und Rohheit ent¬
gegenzuarbeiten. Die Naturwissenschaften kämpfen mit jugendlichem Feuer gegen
jede Art von Mysticismus und pfäffischer Despotie. Die ernste Muse der Ge¬
schichte ist rastlos bemüht, dem ermüdeten und gedrückten Volke seinen hohen
Wcltenberuf vorzuhalten, ihm einzelne patriotische Charaktere als Musterbilder
aufzustellen, und die ewigen Gesetze, uach denen die Volkskraft im Staate fluthend
und ebbend vorwärts strömt, zu ergründen und darzulegen, zur Lehre, zur Züch¬
tigung, zur Besserung.

Und deshalb können wir unser Blatt zum neuen Jahr nicht würdiger ein¬
weihen, als dadurch, baß wir das Buch eines bedeutenden und patriotischen
Mannes anzeigen, in welchem die Wissenschaft edel und hülfreich zum Volke
redet, einer liebevollen Freundin gleich, welche den tranken und niedergeschlagenen
Helden tröstet. In der Vorrede spricht Gervinus aus, daß er unternommen
habe, eine Geschichte der ersten Hälfte unsres Jahrhunderts zu schreiben, und die
Einleitung dazu als besonderes Werk vorausschicke, weil seine Freunde geglaubt,
ihr Inhalt könne dazu dienen, gesunkenes Vertrauen wieder zu beleben, gebeugte
Kraft aufzurichten. Auch wir wünschen und hoffen, daß die Schrift diesem patrio¬
tischen Zweck dienen wird. Der Verfasser ist bemüht, der bangen Furcht ent¬
gegenzutreten, welche sich in dieser Zeit der Verwirrung und Niedergeschlagenheit
nur zu oft in den Seelen der Edlere» regt, daß die Volker Europa'S, zunächst das
deutsche Volk, tu einer Periode des greisenhafte» Ablebens begriffen seien. Er
versucht aus dem Lauf der Geschichte allgemeine Gesetze der Staatenentwickeluug
zu construiren, weist einen constanten innern Proceß bei allen Culturvölkern
nach, der vom patriarchalischen Königthum durch den Aristviratismns und die
concentrirte Tyrannis Einzelner zu volkstümlicher Freiheit nothwendig hinführt.
Er weist nach, wie dieses große Gesetz für Mittelalter und neue Zeit modificirt
und genauer bestimmt wird durch den Gegensatz zwischen romanischer und ger-
manischer Individualität in der Völkerfamilie Europa's; wie über aller Verwirrung
und allem Unglück, welches Böller und Staaten seit dem Untergange des
Alterthums betroffen, doch im Großen ein stetiger Fortschritt zu immer höheren
Bildungen der Staaten unverkennbar sei; wie über den Schwankunge» der Par-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/10>, abgerufen am 16.06.2024.