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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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in der Natur, aber ihr Bild als Totalität ist nur in dem Reflex des menschlichen
Auges, und ihre Idealität als eines ästhetischen Gegenstandes ist nnr in dem
künstlerisch-gebildeten Auge. Um uns ganz einfach und deutlich auszudrücken, die
Auffassung von Rosenkranz, der das Schöne und Erhabene in der gegenständ¬
lichen Welt sucht, verhält sich zur Auffassung von Kant, der es in die Seele ver¬
legt, ganz ebenso, wie der Cultus eines Götzendieners, der Naturgegenstände
anbetet, zum Cultus des Christen, der nur vor dem Geist sich beugt.

Mit dieser falschen Auffassung hängt auch ein Mangel in der äußeren Form
des Werks zusammen, an den wir freilich bei den neueren Lehrbüchern der
Aesthetik bereits gewöhnt sind, gegen den wir aber doch Protestiren müssen. Wenn
man eine Theorie der Kunst schreibt, so ist zwar eine metaphysische allgemeine
Einleitung zweckmäßig und unumgänglich, aber dann muß man sofort auf die
wirklichen Künste übergehen, d. h. man muß die Musik, die plastische Kunst und
die Poesie gesondert betrachten. Hätte der Verfasser diese Eintheilung beibehalten,
so wäre er nie verleitet wordeu, von seinem eigentlichen Gegenstand abzuweichen.
Statt dessen hat er seine Eintheilung von dem Häßlichen als einem Naturgegen-
staud hergenommen. Seine Untersuchung zerfällt in 3 Abschnitte: "die Form¬
losigkeit, die'Jncorrectheit, und die Defiguratiou." Der letzte Abschnitt zerfällt
wieder in drei Unterabtheilungen: "das Gemeine, das Widrige und die Karikatur/'
Das Gemeine zerfällt in "das Kleinliche, das Schwächliche und das Niedrige."
Das Niedrige zerfällt in "das Gewöhnliche, das Anfällige und das Rohe." Das
Widrige zerfällt in "das Plumpe, das Todte und das scheußliche." Das
scheußliche zerfällt in das "Abgeschmackte, das Ekelhafte und das Böse." Das
Böse zerfällt in "das Verbrecherische, das Gespenstische und das Diabolische."
Das Diabolische endlich zerfällt in das "Dämonische, das Hexenhafte und das
Satanische." -- Das sind nun alles Beiträge zur Synouymik, die ohne große
Mühe noch um das zehnfache hätten vermehrt werden können, mit denen aber eigent-
lich nicht viel gewonnen ist, denn wenn auch über jede einzelne dieser Begriffsbestim¬
mungen viel verständiges und geistreiches gesagt wird, so verliert man doch an
diesem Interesse am Häßlichen überhaupt den eigentlichen Gegenstand, das Hä߬
liche als Object der K^use, zu sehr aus den Augen, um so mehr, da der
Verfasser es liebt, in einer halbpoetischen Weise, zuweilen fast spielend und
tändelnd, sich auszudrücken; eine Methode des Ausdrucks, die nur zu häufig
zu Unbestimmtheiten und Ungenauigkeiten führt. So liebt er z. B. die Antithese,
die doch für eine Begriffsbestimmung nicht sehr förderlich ist; er sagt u. a. p.61.
"der wahrhafte Gegensatz des Erhabenen ist nicht das Häßliche, wie Rüge, nicht
das Komische, wie Bischer meint, sondern das Gefällige." -- Aber jeder con-
crete Begriff liegt in der Mitte eines Kreises von anderen Begriffen, und es
kommt nur darauf an, nach welcher Seite man sich hinwendet, um diesen oder
jenen Begriff zum vis-ir-vis zu haben.


in der Natur, aber ihr Bild als Totalität ist nur in dem Reflex des menschlichen
Auges, und ihre Idealität als eines ästhetischen Gegenstandes ist nnr in dem
künstlerisch-gebildeten Auge. Um uns ganz einfach und deutlich auszudrücken, die
Auffassung von Rosenkranz, der das Schöne und Erhabene in der gegenständ¬
lichen Welt sucht, verhält sich zur Auffassung von Kant, der es in die Seele ver¬
legt, ganz ebenso, wie der Cultus eines Götzendieners, der Naturgegenstände
anbetet, zum Cultus des Christen, der nur vor dem Geist sich beugt.

Mit dieser falschen Auffassung hängt auch ein Mangel in der äußeren Form
des Werks zusammen, an den wir freilich bei den neueren Lehrbüchern der
Aesthetik bereits gewöhnt sind, gegen den wir aber doch Protestiren müssen. Wenn
man eine Theorie der Kunst schreibt, so ist zwar eine metaphysische allgemeine
Einleitung zweckmäßig und unumgänglich, aber dann muß man sofort auf die
wirklichen Künste übergehen, d. h. man muß die Musik, die plastische Kunst und
die Poesie gesondert betrachten. Hätte der Verfasser diese Eintheilung beibehalten,
so wäre er nie verleitet wordeu, von seinem eigentlichen Gegenstand abzuweichen.
Statt dessen hat er seine Eintheilung von dem Häßlichen als einem Naturgegen-
staud hergenommen. Seine Untersuchung zerfällt in 3 Abschnitte: „die Form¬
losigkeit, die'Jncorrectheit, und die Defiguratiou." Der letzte Abschnitt zerfällt
wieder in drei Unterabtheilungen: „das Gemeine, das Widrige und die Karikatur/'
Das Gemeine zerfällt in „das Kleinliche, das Schwächliche und das Niedrige."
Das Niedrige zerfällt in „das Gewöhnliche, das Anfällige und das Rohe." Das
Widrige zerfällt in „das Plumpe, das Todte und das scheußliche." Das
scheußliche zerfällt in das „Abgeschmackte, das Ekelhafte und das Böse." Das
Böse zerfällt in „das Verbrecherische, das Gespenstische und das Diabolische."
Das Diabolische endlich zerfällt in das „Dämonische, das Hexenhafte und das
Satanische." — Das sind nun alles Beiträge zur Synouymik, die ohne große
Mühe noch um das zehnfache hätten vermehrt werden können, mit denen aber eigent-
lich nicht viel gewonnen ist, denn wenn auch über jede einzelne dieser Begriffsbestim¬
mungen viel verständiges und geistreiches gesagt wird, so verliert man doch an
diesem Interesse am Häßlichen überhaupt den eigentlichen Gegenstand, das Hä߬
liche als Object der K^use, zu sehr aus den Augen, um so mehr, da der
Verfasser es liebt, in einer halbpoetischen Weise, zuweilen fast spielend und
tändelnd, sich auszudrücken; eine Methode des Ausdrucks, die nur zu häufig
zu Unbestimmtheiten und Ungenauigkeiten führt. So liebt er z. B. die Antithese,
die doch für eine Begriffsbestimmung nicht sehr förderlich ist; er sagt u. a. p.61.
„der wahrhafte Gegensatz des Erhabenen ist nicht das Häßliche, wie Rüge, nicht
das Komische, wie Bischer meint, sondern das Gefällige." — Aber jeder con-
crete Begriff liegt in der Mitte eines Kreises von anderen Begriffen, und es
kommt nur darauf an, nach welcher Seite man sich hinwendet, um diesen oder
jenen Begriff zum vis-ir-vis zu haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/14>, abgerufen am 27.05.2024.