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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Zwar ist der Styl fast vollständig frei von dem philosophischen Formalismus,
lebhaft und natürlich; aber doch nicht ganz frei von einer gewissen Manierirtheit,
die sich unter andern in der unerschöpflichen Bildung neuer Worte von zweifel¬
haftem Werth z. B. "Neiglichkeit" p. 49. ausspncht.

Wenn durch alle diese Umstände der Eindruck, den man von einer philoso¬
phischen Deduction eigentlich erwarten sollte, der Eindruck einer strengen,
energischen, concentrirten Folgerichtigkeit, zum Theil abgeschwächt und verwischt
wird, so ist dagegen das leitende metaphysische Princip, welches der Verfasser an
die Spitze seiner Begriffsentwickclnng stellt, wieder viel zu enge und einseitig.
Er findet nämlich in .dem Häßlichen das Uebergangsmoment vom einfach Schönen
zum reflectirt Schönen, und zwar zu einer bestimmten Form desselben, zum
Komischen. Nun ist aber augenscheinlich, daß die Poesie und die Kunst
überhaupt das Häßliche uicht blos anwendet, um es in's Komische aufzulösen,
sondern eben so häufig, um einen tragischen Eindruck hervorzubringen. Auch
würde man bei der Analyse der verschiedenen Momente des Häßlichen ver¬
gebens nach dem Nachweis suchen, inwiefern das Häßliche aus dem Schonen
zum Komischen .überleitet. Dagegen merkt man zuletzt, daß diese ganze Reihe von
Synonymen, die wir vorher aufgeführt, von der "Formlosigkeit" an bis zur
"Karikatur", eigentlich den Zweck habe, diesen Ucbergangsproceß darzustellen.
Es ist das jene sogenannte "Bewegung der Begriffe", jene "Dialektik", die
seit Hegel eine so unerquickliche Rolle in unsrer. Philosophie spielt, denn sie ist
eigentlich ein bloßes Spiel des Witzes, eine gymnastische Verstandesübnng ohne
Inhalt und ohne Zweck.

Nach allem, was wir bisher gesagt haben, wird man wol den Schluß
ziehen, daß Herr Rosenkranz nicht ganz das geleistet hat, was er in dem Titel
verspricht. Er hätte statt dessen mit Jean Paul deu Titel: "Vorschule einer
Aesthetik des Häßlichen" wählen sollen. Als solche hat das Buch sehr große
Verdienste, denn aus eiuer reichen, unabsehbaren Belesenheit werden eine Reihe
von interessanten Beispielen zusammengestellt und mit geistvollen Bemerkungen
begleitet, die ein sehr wichtiges Material zu einer künftigen Aesthetik des Häßlichen
bilden werden. Allein auch dieses Verdienst müssen wir noch einigermaßen
beschränken.

Bei der Auswahl von Beispielen für ein philosophisches Lehrgebäude ist die
Reichhaltigkeit allem uoch nicht genügend, es muß zweierlei hinzukommen:
einmal ein genaues Bewußtsein über den Grad der Wichtigkeit und Bedeutung,
den ein jedes Beispiel in Anspruch nehmen darf, sodann ein richtiges Urtheil.
In beiden Punkten werden wir nicht vollständig befriedigt.

Herr Rosenkranz findet bei Betrachtung seiner Schrift selbst mit einem ge¬
wissen Erschrecken, daß er seine Beispiele meistens ans der neuesten Literatur
gewählt hat, weil ihm diese am geläufigsten ist. Das ist in der That ein Uebel-


Zwar ist der Styl fast vollständig frei von dem philosophischen Formalismus,
lebhaft und natürlich; aber doch nicht ganz frei von einer gewissen Manierirtheit,
die sich unter andern in der unerschöpflichen Bildung neuer Worte von zweifel¬
haftem Werth z. B. „Neiglichkeit" p. 49. ausspncht.

Wenn durch alle diese Umstände der Eindruck, den man von einer philoso¬
phischen Deduction eigentlich erwarten sollte, der Eindruck einer strengen,
energischen, concentrirten Folgerichtigkeit, zum Theil abgeschwächt und verwischt
wird, so ist dagegen das leitende metaphysische Princip, welches der Verfasser an
die Spitze seiner Begriffsentwickclnng stellt, wieder viel zu enge und einseitig.
Er findet nämlich in .dem Häßlichen das Uebergangsmoment vom einfach Schönen
zum reflectirt Schönen, und zwar zu einer bestimmten Form desselben, zum
Komischen. Nun ist aber augenscheinlich, daß die Poesie und die Kunst
überhaupt das Häßliche uicht blos anwendet, um es in's Komische aufzulösen,
sondern eben so häufig, um einen tragischen Eindruck hervorzubringen. Auch
würde man bei der Analyse der verschiedenen Momente des Häßlichen ver¬
gebens nach dem Nachweis suchen, inwiefern das Häßliche aus dem Schonen
zum Komischen .überleitet. Dagegen merkt man zuletzt, daß diese ganze Reihe von
Synonymen, die wir vorher aufgeführt, von der „Formlosigkeit" an bis zur
„Karikatur", eigentlich den Zweck habe, diesen Ucbergangsproceß darzustellen.
Es ist das jene sogenannte „Bewegung der Begriffe", jene „Dialektik", die
seit Hegel eine so unerquickliche Rolle in unsrer. Philosophie spielt, denn sie ist
eigentlich ein bloßes Spiel des Witzes, eine gymnastische Verstandesübnng ohne
Inhalt und ohne Zweck.

Nach allem, was wir bisher gesagt haben, wird man wol den Schluß
ziehen, daß Herr Rosenkranz nicht ganz das geleistet hat, was er in dem Titel
verspricht. Er hätte statt dessen mit Jean Paul deu Titel: „Vorschule einer
Aesthetik des Häßlichen" wählen sollen. Als solche hat das Buch sehr große
Verdienste, denn aus eiuer reichen, unabsehbaren Belesenheit werden eine Reihe
von interessanten Beispielen zusammengestellt und mit geistvollen Bemerkungen
begleitet, die ein sehr wichtiges Material zu einer künftigen Aesthetik des Häßlichen
bilden werden. Allein auch dieses Verdienst müssen wir noch einigermaßen
beschränken.

Bei der Auswahl von Beispielen für ein philosophisches Lehrgebäude ist die
Reichhaltigkeit allem uoch nicht genügend, es muß zweierlei hinzukommen:
einmal ein genaues Bewußtsein über den Grad der Wichtigkeit und Bedeutung,
den ein jedes Beispiel in Anspruch nehmen darf, sodann ein richtiges Urtheil.
In beiden Punkten werden wir nicht vollständig befriedigt.

Herr Rosenkranz findet bei Betrachtung seiner Schrift selbst mit einem ge¬
wissen Erschrecken, daß er seine Beispiele meistens ans der neuesten Literatur
gewählt hat, weil ihm diese am geläufigsten ist. Das ist in der That ein Uebel-


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[0015] Zwar ist der Styl fast vollständig frei von dem philosophischen Formalismus, lebhaft und natürlich; aber doch nicht ganz frei von einer gewissen Manierirtheit, die sich unter andern in der unerschöpflichen Bildung neuer Worte von zweifel¬ haftem Werth z. B. „Neiglichkeit" p. 49. ausspncht. Wenn durch alle diese Umstände der Eindruck, den man von einer philoso¬ phischen Deduction eigentlich erwarten sollte, der Eindruck einer strengen, energischen, concentrirten Folgerichtigkeit, zum Theil abgeschwächt und verwischt wird, so ist dagegen das leitende metaphysische Princip, welches der Verfasser an die Spitze seiner Begriffsentwickclnng stellt, wieder viel zu enge und einseitig. Er findet nämlich in .dem Häßlichen das Uebergangsmoment vom einfach Schönen zum reflectirt Schönen, und zwar zu einer bestimmten Form desselben, zum Komischen. Nun ist aber augenscheinlich, daß die Poesie und die Kunst überhaupt das Häßliche uicht blos anwendet, um es in's Komische aufzulösen, sondern eben so häufig, um einen tragischen Eindruck hervorzubringen. Auch würde man bei der Analyse der verschiedenen Momente des Häßlichen ver¬ gebens nach dem Nachweis suchen, inwiefern das Häßliche aus dem Schonen zum Komischen .überleitet. Dagegen merkt man zuletzt, daß diese ganze Reihe von Synonymen, die wir vorher aufgeführt, von der „Formlosigkeit" an bis zur „Karikatur", eigentlich den Zweck habe, diesen Ucbergangsproceß darzustellen. Es ist das jene sogenannte „Bewegung der Begriffe", jene „Dialektik", die seit Hegel eine so unerquickliche Rolle in unsrer. Philosophie spielt, denn sie ist eigentlich ein bloßes Spiel des Witzes, eine gymnastische Verstandesübnng ohne Inhalt und ohne Zweck. Nach allem, was wir bisher gesagt haben, wird man wol den Schluß ziehen, daß Herr Rosenkranz nicht ganz das geleistet hat, was er in dem Titel verspricht. Er hätte statt dessen mit Jean Paul deu Titel: „Vorschule einer Aesthetik des Häßlichen" wählen sollen. Als solche hat das Buch sehr große Verdienste, denn aus eiuer reichen, unabsehbaren Belesenheit werden eine Reihe von interessanten Beispielen zusammengestellt und mit geistvollen Bemerkungen begleitet, die ein sehr wichtiges Material zu einer künftigen Aesthetik des Häßlichen bilden werden. Allein auch dieses Verdienst müssen wir noch einigermaßen beschränken. Bei der Auswahl von Beispielen für ein philosophisches Lehrgebäude ist die Reichhaltigkeit allem uoch nicht genügend, es muß zweierlei hinzukommen: einmal ein genaues Bewußtsein über den Grad der Wichtigkeit und Bedeutung, den ein jedes Beispiel in Anspruch nehmen darf, sodann ein richtiges Urtheil. In beiden Punkten werden wir nicht vollständig befriedigt. Herr Rosenkranz findet bei Betrachtung seiner Schrift selbst mit einem ge¬ wissen Erschrecken, daß er seine Beispiele meistens ans der neuesten Literatur gewählt hat, weil ihm diese am geläufigsten ist. Das ist in der That ein Uebel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/15>, abgerufen am 27.05.2024.