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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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während der übrige Canton sein Werktagskleid behielt. Bern ist von seiner
frühern gebietenden Höhe seit den dreißiger Jahren, noch mehr aber seit der
neuen Bundesverfassung heruntergestiegen; es ist begreiflich, daß man deshalb
namentlich, in der Stadt Bern auf die neue Zeit und die neue Bundesverfassung
nicht gut zu sprechen ist. Daher auch bei den Festlichkeiten, in Reden und in
Inschriften keine Hindeutung auf die neue Bundesverfassung, ein Uebergehen,
das viele der schweizerischen Festbesncher unangenehm berührte. Dafür besuchten
aber die mit Ostentation aufgenommenen Urcantone vollzählig das Bernerfest; in
Zürich, das sie als seine ältesten Bundesgenossen ebenfalls eingeladen hatte, fehlten
sie, wie in Bern Freiburg fehlte, auf das jetzt die alte Zeit mit allen ihren
Waffen im Sturme aureunt.

Sieht man von dieser rückwärts blickenden Tendenz weg, die dem Ganzen
ein aristokratisches und exclusives Gepräge aufdrückte, so gebührt der ganzen An¬
ordnung und Ausführung volles Lob. Der Morgen des ersten Tages gehörte
der officiellen kirchlichen und weltlichen Feier. Minder Fromme, die mit ihrer
profanen Gegenwart die Andacht der Betenden nicht stören mochten, benutzten
diese Zeit, um durch die festlich geschmückten Gassen zu wandeln. Bern gehört
schon in seinem Werktagskleide zu den reinlichsten Städten der Schweiz, heute
hatte es sich aber vom Kopf bis zum Fuße gewaschen und gescheuert und mit grünen
Kränzen und Gewinden behängt vom Dachgiebel bis zum Eingange in die Kellerwirth-
schaften. Kein Fenster der Hauptstraßen war ohne Schmuck, und die Dachlucken
die keine Festons mehr tragen konnten, zeigten ihre feierliche Stimmung wenig¬
stens durch ein Fähnchen mit der eidgenössischen oder mit den Berner Farben,
das sie herausstreckten. Bern war heute ein ernster Herr, der, um die Strenge
seiner Gesichtszüge zu mildern, sich einen grünen Kranz aufgesetzt hatte und sich
alle Mühe gab, darunter hervor ein freundliches Gesicht zu machen, nicht ohne
über diese Anstrengungen selber zu lächeln. Was ausfiel, war der gänzliche
Mangel an Humor bei allen diesen Verzierungen. In der Ostschweiz, in Se. Gallen
oder in Zürich würde es bei einer solchen Gelegenheit nicht an witzigen Inschriften
und Bildern gefehlt haben; solche flüchtige Scherze wiederstreben dem ernsten,
schwerfälligen Wesen des Beruers; will er sein Haus verziere", so hängt er
seinen "Mütz" hinaus, wenns hoch geht, nagelt er noch das eidgenössische Kreuz
dazu, drüber oder-drunter, je nachdem er den Ausspruch des Buudesrctths Druey
theilt: coul'6am'lM0n est auüessus an Nut/.. Sonst blieben politische
Demonstrationen fern, man müßte denn sie in der Wahl von weiß-rothen oder
schwarz-rothen Kranzbändern suchen, womit die FenKerbesitzcr ihre specifisch-eid¬
genössische oder bernerische oder zu gleichen Theilen gemischte Gesinnung ankündeten.
Die kürzeste und treffendste Inschrift hatten über ihrem Zwinger die Bären:
"Mütz, Schutz, Trutz". DaS ist ächt bernerisch!

Die Kirche war zu Ende; Glockentöne und Kanonenschüsse verkündeten den


während der übrige Canton sein Werktagskleid behielt. Bern ist von seiner
frühern gebietenden Höhe seit den dreißiger Jahren, noch mehr aber seit der
neuen Bundesverfassung heruntergestiegen; es ist begreiflich, daß man deshalb
namentlich, in der Stadt Bern auf die neue Zeit und die neue Bundesverfassung
nicht gut zu sprechen ist. Daher auch bei den Festlichkeiten, in Reden und in
Inschriften keine Hindeutung auf die neue Bundesverfassung, ein Uebergehen,
das viele der schweizerischen Festbesncher unangenehm berührte. Dafür besuchten
aber die mit Ostentation aufgenommenen Urcantone vollzählig das Bernerfest; in
Zürich, das sie als seine ältesten Bundesgenossen ebenfalls eingeladen hatte, fehlten
sie, wie in Bern Freiburg fehlte, auf das jetzt die alte Zeit mit allen ihren
Waffen im Sturme aureunt.

Sieht man von dieser rückwärts blickenden Tendenz weg, die dem Ganzen
ein aristokratisches und exclusives Gepräge aufdrückte, so gebührt der ganzen An¬
ordnung und Ausführung volles Lob. Der Morgen des ersten Tages gehörte
der officiellen kirchlichen und weltlichen Feier. Minder Fromme, die mit ihrer
profanen Gegenwart die Andacht der Betenden nicht stören mochten, benutzten
diese Zeit, um durch die festlich geschmückten Gassen zu wandeln. Bern gehört
schon in seinem Werktagskleide zu den reinlichsten Städten der Schweiz, heute
hatte es sich aber vom Kopf bis zum Fuße gewaschen und gescheuert und mit grünen
Kränzen und Gewinden behängt vom Dachgiebel bis zum Eingange in die Kellerwirth-
schaften. Kein Fenster der Hauptstraßen war ohne Schmuck, und die Dachlucken
die keine Festons mehr tragen konnten, zeigten ihre feierliche Stimmung wenig¬
stens durch ein Fähnchen mit der eidgenössischen oder mit den Berner Farben,
das sie herausstreckten. Bern war heute ein ernster Herr, der, um die Strenge
seiner Gesichtszüge zu mildern, sich einen grünen Kranz aufgesetzt hatte und sich
alle Mühe gab, darunter hervor ein freundliches Gesicht zu machen, nicht ohne
über diese Anstrengungen selber zu lächeln. Was ausfiel, war der gänzliche
Mangel an Humor bei allen diesen Verzierungen. In der Ostschweiz, in Se. Gallen
oder in Zürich würde es bei einer solchen Gelegenheit nicht an witzigen Inschriften
und Bildern gefehlt haben; solche flüchtige Scherze wiederstreben dem ernsten,
schwerfälligen Wesen des Beruers; will er sein Haus verziere», so hängt er
seinen „Mütz" hinaus, wenns hoch geht, nagelt er noch das eidgenössische Kreuz
dazu, drüber oder-drunter, je nachdem er den Ausspruch des Buudesrctths Druey
theilt: coul'6am'lM0n est auüessus an Nut/.. Sonst blieben politische
Demonstrationen fern, man müßte denn sie in der Wahl von weiß-rothen oder
schwarz-rothen Kranzbändern suchen, womit die FenKerbesitzcr ihre specifisch-eid¬
genössische oder bernerische oder zu gleichen Theilen gemischte Gesinnung ankündeten.
Die kürzeste und treffendste Inschrift hatten über ihrem Zwinger die Bären:
„Mütz, Schutz, Trutz". DaS ist ächt bernerisch!

Die Kirche war zu Ende; Glockentöne und Kanonenschüsse verkündeten den


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[0170] während der übrige Canton sein Werktagskleid behielt. Bern ist von seiner frühern gebietenden Höhe seit den dreißiger Jahren, noch mehr aber seit der neuen Bundesverfassung heruntergestiegen; es ist begreiflich, daß man deshalb namentlich, in der Stadt Bern auf die neue Zeit und die neue Bundesverfassung nicht gut zu sprechen ist. Daher auch bei den Festlichkeiten, in Reden und in Inschriften keine Hindeutung auf die neue Bundesverfassung, ein Uebergehen, das viele der schweizerischen Festbesncher unangenehm berührte. Dafür besuchten aber die mit Ostentation aufgenommenen Urcantone vollzählig das Bernerfest; in Zürich, das sie als seine ältesten Bundesgenossen ebenfalls eingeladen hatte, fehlten sie, wie in Bern Freiburg fehlte, auf das jetzt die alte Zeit mit allen ihren Waffen im Sturme aureunt. Sieht man von dieser rückwärts blickenden Tendenz weg, die dem Ganzen ein aristokratisches und exclusives Gepräge aufdrückte, so gebührt der ganzen An¬ ordnung und Ausführung volles Lob. Der Morgen des ersten Tages gehörte der officiellen kirchlichen und weltlichen Feier. Minder Fromme, die mit ihrer profanen Gegenwart die Andacht der Betenden nicht stören mochten, benutzten diese Zeit, um durch die festlich geschmückten Gassen zu wandeln. Bern gehört schon in seinem Werktagskleide zu den reinlichsten Städten der Schweiz, heute hatte es sich aber vom Kopf bis zum Fuße gewaschen und gescheuert und mit grünen Kränzen und Gewinden behängt vom Dachgiebel bis zum Eingange in die Kellerwirth- schaften. Kein Fenster der Hauptstraßen war ohne Schmuck, und die Dachlucken die keine Festons mehr tragen konnten, zeigten ihre feierliche Stimmung wenig¬ stens durch ein Fähnchen mit der eidgenössischen oder mit den Berner Farben, das sie herausstreckten. Bern war heute ein ernster Herr, der, um die Strenge seiner Gesichtszüge zu mildern, sich einen grünen Kranz aufgesetzt hatte und sich alle Mühe gab, darunter hervor ein freundliches Gesicht zu machen, nicht ohne über diese Anstrengungen selber zu lächeln. Was ausfiel, war der gänzliche Mangel an Humor bei allen diesen Verzierungen. In der Ostschweiz, in Se. Gallen oder in Zürich würde es bei einer solchen Gelegenheit nicht an witzigen Inschriften und Bildern gefehlt haben; solche flüchtige Scherze wiederstreben dem ernsten, schwerfälligen Wesen des Beruers; will er sein Haus verziere», so hängt er seinen „Mütz" hinaus, wenns hoch geht, nagelt er noch das eidgenössische Kreuz dazu, drüber oder-drunter, je nachdem er den Ausspruch des Buudesrctths Druey theilt: coul'6am'lM0n est auüessus an Nut/.. Sonst blieben politische Demonstrationen fern, man müßte denn sie in der Wahl von weiß-rothen oder schwarz-rothen Kranzbändern suchen, womit die FenKerbesitzcr ihre specifisch-eid¬ genössische oder bernerische oder zu gleichen Theilen gemischte Gesinnung ankündeten. Die kürzeste und treffendste Inschrift hatten über ihrem Zwinger die Bären: „Mütz, Schutz, Trutz". DaS ist ächt bernerisch! Die Kirche war zu Ende; Glockentöne und Kanonenschüsse verkündeten den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/170>, abgerufen am 27.05.2024.