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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Zug der Ehrengesandteu, der Behörden, Sänger, Schwinger und Turner zum
Festplatze. Mit Rührung erblickte hier der Liebhaber von Antiquitäten wieder
die mit der Tagsatzung verschwundenen Dreispitzer und die Weibel mit den Can-
tonsfarben. Der Zug bewegte sich sehr ernst und feierlich vorwärts, und es war
eine wirklich wohlthuende Unterbrechung, als die Schwinger aus den kleinen Can-.
tönen in ihrer Landestracht anrückten; diese kerngesunden Gesellen schauten so
frisch und keck an die Häuser hinauf, als wollten sie sagen: wir sind denn doch
die wahren Lieblinge des Volkes und nicht dieser "schwarze Zug," wie das Volk
scherzweise die lange Schaar in den schwarzen Franken und dunkeln Palletots
nannte.

Der Festplatz bildete ein großes, von amphiteathralisch aufsteigenden Sitzen
eingeschlossenes Viereck, in dem der Zug mit den vielen Fahnen malerisch sich aus¬
stellte. Die Rede, mit welcher der Regierungspräsident die Eingeladenen be¬
grüßte, sprach von der alten Zeit und ihrem Glänze; der Redner, der im Namen
der acht alten Orte erwiderte, antwortete darauf mit den Forderungen, welche die
neue Zeit an die Eidgenossen stelle. Gesänge bildeten den Anfang und den
Schluß dieser Feier, und das Volk strömte nun zu der in der Nähe ausgeschla¬
genen Festhütte; allein es wurde zurückgewiesen, denn wer nicht Theilnehmer des
Zuges war oder mit 23 Fr. sich eine Actie gekauft hatte, der blieb von diesen
heiligen Hallen ausgeschlossen. Damit war nun auch das eigentliche Volksleben
ausgeschlossen, das sonst den eigentlichen Kern schweizerischer Volksfeste ausmacht;
freilich hielt man sich dadurch auch manche nnbeliebige Scene fern, und man blieb
Herr der Stimmung, welche die Festhütte entfalten durfte.

Der Nachmittag war für das Cadettcnfest bestimmt, wieder ein echt Berneri-
scher Theil deö Festes! In Zürich feierte jedes Dorf das "Bundesjubiläum," jedes
Dorf hatte sein Jngendfest; die Jugend pflanzte Linden zur Erinnerung an den
Tag oder führte dramatische Festspiele aus der Schweizergeschichte aus. Bern
zog die Jugend, welche das Fest feiern durfte, aus dem ganzen Cantone nach der
Hauptstadt. Wer uicht "Cadet" war, für den gab es keine Jubelfeier; das
"schweizerische Warta" wollte seinem Charakter anch hierin nichts vergeben. Der
Himmel sah nicht gnädig zu dieser Bevorzugung, sondern. ließ seinen Regen
in vollen Strömen heruntergießen, als das jugendliche Heer auf das Manövrir-
feld zog. Wol an die tausend militärisch ausgerüstete Knaben zogen unter
Trommelschall die Stadt herunter in allen möglichen Uniformen, die Jugend
der Stadt Bern in schmucker Rüstung, die von den Landgemeinden ganz
in Zwillich oder, in bescheidenes Gran gekleidet, und manche Mutter mochte
bei dem strömenden Regen an das Schicksal denken, das den sauber gewa¬
schenen Höschen ihres militärischen Sprößlings heute bevorstand. Aus dem
Wyler Felde, eine halbe Stunde von Bern, wurde Halt gemacht und nach allerlei
Marsch- und Exercirübungen, über welche die älteren Militärs ihre volle Zufrie-


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Zug der Ehrengesandteu, der Behörden, Sänger, Schwinger und Turner zum
Festplatze. Mit Rührung erblickte hier der Liebhaber von Antiquitäten wieder
die mit der Tagsatzung verschwundenen Dreispitzer und die Weibel mit den Can-
tonsfarben. Der Zug bewegte sich sehr ernst und feierlich vorwärts, und es war
eine wirklich wohlthuende Unterbrechung, als die Schwinger aus den kleinen Can-.
tönen in ihrer Landestracht anrückten; diese kerngesunden Gesellen schauten so
frisch und keck an die Häuser hinauf, als wollten sie sagen: wir sind denn doch
die wahren Lieblinge des Volkes und nicht dieser „schwarze Zug," wie das Volk
scherzweise die lange Schaar in den schwarzen Franken und dunkeln Palletots
nannte.

Der Festplatz bildete ein großes, von amphiteathralisch aufsteigenden Sitzen
eingeschlossenes Viereck, in dem der Zug mit den vielen Fahnen malerisch sich aus¬
stellte. Die Rede, mit welcher der Regierungspräsident die Eingeladenen be¬
grüßte, sprach von der alten Zeit und ihrem Glänze; der Redner, der im Namen
der acht alten Orte erwiderte, antwortete darauf mit den Forderungen, welche die
neue Zeit an die Eidgenossen stelle. Gesänge bildeten den Anfang und den
Schluß dieser Feier, und das Volk strömte nun zu der in der Nähe ausgeschla¬
genen Festhütte; allein es wurde zurückgewiesen, denn wer nicht Theilnehmer des
Zuges war oder mit 23 Fr. sich eine Actie gekauft hatte, der blieb von diesen
heiligen Hallen ausgeschlossen. Damit war nun auch das eigentliche Volksleben
ausgeschlossen, das sonst den eigentlichen Kern schweizerischer Volksfeste ausmacht;
freilich hielt man sich dadurch auch manche nnbeliebige Scene fern, und man blieb
Herr der Stimmung, welche die Festhütte entfalten durfte.

Der Nachmittag war für das Cadettcnfest bestimmt, wieder ein echt Berneri-
scher Theil deö Festes! In Zürich feierte jedes Dorf das „Bundesjubiläum," jedes
Dorf hatte sein Jngendfest; die Jugend pflanzte Linden zur Erinnerung an den
Tag oder führte dramatische Festspiele aus der Schweizergeschichte aus. Bern
zog die Jugend, welche das Fest feiern durfte, aus dem ganzen Cantone nach der
Hauptstadt. Wer uicht „Cadet" war, für den gab es keine Jubelfeier; das
„schweizerische Warta" wollte seinem Charakter anch hierin nichts vergeben. Der
Himmel sah nicht gnädig zu dieser Bevorzugung, sondern. ließ seinen Regen
in vollen Strömen heruntergießen, als das jugendliche Heer auf das Manövrir-
feld zog. Wol an die tausend militärisch ausgerüstete Knaben zogen unter
Trommelschall die Stadt herunter in allen möglichen Uniformen, die Jugend
der Stadt Bern in schmucker Rüstung, die von den Landgemeinden ganz
in Zwillich oder, in bescheidenes Gran gekleidet, und manche Mutter mochte
bei dem strömenden Regen an das Schicksal denken, das den sauber gewa¬
schenen Höschen ihres militärischen Sprößlings heute bevorstand. Aus dem
Wyler Felde, eine halbe Stunde von Bern, wurde Halt gemacht und nach allerlei
Marsch- und Exercirübungen, über welche die älteren Militärs ihre volle Zufrie-


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[0171] Zug der Ehrengesandteu, der Behörden, Sänger, Schwinger und Turner zum Festplatze. Mit Rührung erblickte hier der Liebhaber von Antiquitäten wieder die mit der Tagsatzung verschwundenen Dreispitzer und die Weibel mit den Can- tonsfarben. Der Zug bewegte sich sehr ernst und feierlich vorwärts, und es war eine wirklich wohlthuende Unterbrechung, als die Schwinger aus den kleinen Can-. tönen in ihrer Landestracht anrückten; diese kerngesunden Gesellen schauten so frisch und keck an die Häuser hinauf, als wollten sie sagen: wir sind denn doch die wahren Lieblinge des Volkes und nicht dieser „schwarze Zug," wie das Volk scherzweise die lange Schaar in den schwarzen Franken und dunkeln Palletots nannte. Der Festplatz bildete ein großes, von amphiteathralisch aufsteigenden Sitzen eingeschlossenes Viereck, in dem der Zug mit den vielen Fahnen malerisch sich aus¬ stellte. Die Rede, mit welcher der Regierungspräsident die Eingeladenen be¬ grüßte, sprach von der alten Zeit und ihrem Glänze; der Redner, der im Namen der acht alten Orte erwiderte, antwortete darauf mit den Forderungen, welche die neue Zeit an die Eidgenossen stelle. Gesänge bildeten den Anfang und den Schluß dieser Feier, und das Volk strömte nun zu der in der Nähe ausgeschla¬ genen Festhütte; allein es wurde zurückgewiesen, denn wer nicht Theilnehmer des Zuges war oder mit 23 Fr. sich eine Actie gekauft hatte, der blieb von diesen heiligen Hallen ausgeschlossen. Damit war nun auch das eigentliche Volksleben ausgeschlossen, das sonst den eigentlichen Kern schweizerischer Volksfeste ausmacht; freilich hielt man sich dadurch auch manche nnbeliebige Scene fern, und man blieb Herr der Stimmung, welche die Festhütte entfalten durfte. Der Nachmittag war für das Cadettcnfest bestimmt, wieder ein echt Berneri- scher Theil deö Festes! In Zürich feierte jedes Dorf das „Bundesjubiläum," jedes Dorf hatte sein Jngendfest; die Jugend pflanzte Linden zur Erinnerung an den Tag oder führte dramatische Festspiele aus der Schweizergeschichte aus. Bern zog die Jugend, welche das Fest feiern durfte, aus dem ganzen Cantone nach der Hauptstadt. Wer uicht „Cadet" war, für den gab es keine Jubelfeier; das „schweizerische Warta" wollte seinem Charakter anch hierin nichts vergeben. Der Himmel sah nicht gnädig zu dieser Bevorzugung, sondern. ließ seinen Regen in vollen Strömen heruntergießen, als das jugendliche Heer auf das Manövrir- feld zog. Wol an die tausend militärisch ausgerüstete Knaben zogen unter Trommelschall die Stadt herunter in allen möglichen Uniformen, die Jugend der Stadt Bern in schmucker Rüstung, die von den Landgemeinden ganz in Zwillich oder, in bescheidenes Gran gekleidet, und manche Mutter mochte bei dem strömenden Regen an das Schicksal denken, das den sauber gewa¬ schenen Höschen ihres militärischen Sprößlings heute bevorstand. Aus dem Wyler Felde, eine halbe Stunde von Bern, wurde Halt gemacht und nach allerlei Marsch- und Exercirübungen, über welche die älteren Militärs ihre volle Zufrie- 21"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/171>, abgerufen am 17.06.2024.