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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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hervor; der Reisige genirte sich auch nicht länger, über die Kapuze seines Ringel¬
panzers eine moderne Brille zu stülpen und sich die Gestalten des Zuges zum
ersten Male in der Nahe genan zu betrachten. Den Bankettirenden schlug heute
nicht die strenge Polizeistunde der Stadt Bern, und wer am Morgen durch die
Arcaden wandelte, mußte mehr als einmal einem den heimischen Heerd suchenden
Bürger der alten freien Reichsstadt Bern, der mit seinem langen Schlachtschwerte
etwas zu breit einherschritt, Platz machen.

Der dritte Morgen brachte als Schluß den populärsten Theil des Festes.
Die Turner und Schwinger hatten ihren Glanztag; allein das Publicum ließ
diesmal die Turner und wandte sich den naturwüchsigen Uebungen der Schwinger
zu. Luzern, Unterwalden und Schwyz hatten ihr Contingent von Schwingern,
Alphornbläsern und Jodlern zu den Emmenthaleru und Oberländern stoßen lassen.
Zwischen dem Emmenthale und dem Oberlande herrscht ein langer Streit um
das Principal, nicht in politischen Dingen, sondern in der edeln Kunst des
Schwingens. Aus den meisten Wettkämpfen war das Emmenthal bis jetzt als
Sieger hervorgegangen, und es hatte Oberland vollständig und kunstgerecht ge¬
worfen, daß es mit beiden Schulterblättern den Boden berührte. An diesem
Tage sollte der alte Wettkampf aufs neue beginnen. Hie Emmenthal, hie Ober¬
land war die Loosung der beiden Schaaren, in die sich die Schwinger theilten.
Nach längerm Ringen waren nur der Oberländer Zurslüe und der Emmenthaler
Beer noch übrig; der letzte Horatier sollte mit dem letzten Curiatier den ent¬
scheidenden Gang wagen!

Die beiden waren sich bewußt, daß die Ehre ihrer Thäler bis zum nächsten
Schwingen von der Kraft und Behendigkeit ihrer Arme abhing, und begannen
den Kampf mit dem Ernste, den der hohe Preis, der auf dem Spiele stand,
erforderte. Lautlos verfolgte" die Landsleute der beiden den Gang des Kampfes.
Endlich nach hartem Ringen wurde Znrflne geworfen; dies entmuthigte aber
den Oberländer nicht; denn dreimal mußten die beiden schwingen, bevor der Kampf
für entschieden galt. Also begann das zweite Ringen, länger und härter als das
erste, die Muskeln der Arme spielten, die stämmigen Beine schienen sich in die
Erde bohren zu wollen; endlich erlauschte der Oberländer einen unbewachten
Augenblick des Emmenthalcrs, ein rascher Griff und auf dem Rücken lag Beer,
der "Schwinger-König", deu noch niemand bis jetzt besiegt. Hoch jubelten die
Oberländer, tanzten, warfen mit Mützen und Hüten um sich und höhnten mit
Scherzen die Emmenthaler. Der dritte entscheidende Gang begann, Beer, geübt
in den Wechselfällen des Kampfes, hatte seine Besonnenheit sich bewahrt, Znrflüe
vergaß seine frühere Vorsicht; ehe er sechs versah, war er von dem gewaltigen
Arme des Gegners in die Höhe gehoben und trotz alles Sträubens und der den
Gegner umklammernden Beine auf deu Rucke" geworfen.

Der Kampf war entschiede", das Emmenthal zählte einen neuen glänzen-


hervor; der Reisige genirte sich auch nicht länger, über die Kapuze seines Ringel¬
panzers eine moderne Brille zu stülpen und sich die Gestalten des Zuges zum
ersten Male in der Nahe genan zu betrachten. Den Bankettirenden schlug heute
nicht die strenge Polizeistunde der Stadt Bern, und wer am Morgen durch die
Arcaden wandelte, mußte mehr als einmal einem den heimischen Heerd suchenden
Bürger der alten freien Reichsstadt Bern, der mit seinem langen Schlachtschwerte
etwas zu breit einherschritt, Platz machen.

Der dritte Morgen brachte als Schluß den populärsten Theil des Festes.
Die Turner und Schwinger hatten ihren Glanztag; allein das Publicum ließ
diesmal die Turner und wandte sich den naturwüchsigen Uebungen der Schwinger
zu. Luzern, Unterwalden und Schwyz hatten ihr Contingent von Schwingern,
Alphornbläsern und Jodlern zu den Emmenthaleru und Oberländern stoßen lassen.
Zwischen dem Emmenthale und dem Oberlande herrscht ein langer Streit um
das Principal, nicht in politischen Dingen, sondern in der edeln Kunst des
Schwingens. Aus den meisten Wettkämpfen war das Emmenthal bis jetzt als
Sieger hervorgegangen, und es hatte Oberland vollständig und kunstgerecht ge¬
worfen, daß es mit beiden Schulterblättern den Boden berührte. An diesem
Tage sollte der alte Wettkampf aufs neue beginnen. Hie Emmenthal, hie Ober¬
land war die Loosung der beiden Schaaren, in die sich die Schwinger theilten.
Nach längerm Ringen waren nur der Oberländer Zurslüe und der Emmenthaler
Beer noch übrig; der letzte Horatier sollte mit dem letzten Curiatier den ent¬
scheidenden Gang wagen!

Die beiden waren sich bewußt, daß die Ehre ihrer Thäler bis zum nächsten
Schwingen von der Kraft und Behendigkeit ihrer Arme abhing, und begannen
den Kampf mit dem Ernste, den der hohe Preis, der auf dem Spiele stand,
erforderte. Lautlos verfolgte» die Landsleute der beiden den Gang des Kampfes.
Endlich nach hartem Ringen wurde Znrflne geworfen; dies entmuthigte aber
den Oberländer nicht; denn dreimal mußten die beiden schwingen, bevor der Kampf
für entschieden galt. Also begann das zweite Ringen, länger und härter als das
erste, die Muskeln der Arme spielten, die stämmigen Beine schienen sich in die
Erde bohren zu wollen; endlich erlauschte der Oberländer einen unbewachten
Augenblick des Emmenthalcrs, ein rascher Griff und auf dem Rücken lag Beer,
der „Schwinger-König", deu noch niemand bis jetzt besiegt. Hoch jubelten die
Oberländer, tanzten, warfen mit Mützen und Hüten um sich und höhnten mit
Scherzen die Emmenthaler. Der dritte entscheidende Gang begann, Beer, geübt
in den Wechselfällen des Kampfes, hatte seine Besonnenheit sich bewahrt, Znrflüe
vergaß seine frühere Vorsicht; ehe er sechs versah, war er von dem gewaltigen
Arme des Gegners in die Höhe gehoben und trotz alles Sträubens und der den
Gegner umklammernden Beine auf deu Rucke» geworfen.

Der Kampf war entschiede», das Emmenthal zählte einen neuen glänzen-


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[0174] hervor; der Reisige genirte sich auch nicht länger, über die Kapuze seines Ringel¬ panzers eine moderne Brille zu stülpen und sich die Gestalten des Zuges zum ersten Male in der Nahe genan zu betrachten. Den Bankettirenden schlug heute nicht die strenge Polizeistunde der Stadt Bern, und wer am Morgen durch die Arcaden wandelte, mußte mehr als einmal einem den heimischen Heerd suchenden Bürger der alten freien Reichsstadt Bern, der mit seinem langen Schlachtschwerte etwas zu breit einherschritt, Platz machen. Der dritte Morgen brachte als Schluß den populärsten Theil des Festes. Die Turner und Schwinger hatten ihren Glanztag; allein das Publicum ließ diesmal die Turner und wandte sich den naturwüchsigen Uebungen der Schwinger zu. Luzern, Unterwalden und Schwyz hatten ihr Contingent von Schwingern, Alphornbläsern und Jodlern zu den Emmenthaleru und Oberländern stoßen lassen. Zwischen dem Emmenthale und dem Oberlande herrscht ein langer Streit um das Principal, nicht in politischen Dingen, sondern in der edeln Kunst des Schwingens. Aus den meisten Wettkämpfen war das Emmenthal bis jetzt als Sieger hervorgegangen, und es hatte Oberland vollständig und kunstgerecht ge¬ worfen, daß es mit beiden Schulterblättern den Boden berührte. An diesem Tage sollte der alte Wettkampf aufs neue beginnen. Hie Emmenthal, hie Ober¬ land war die Loosung der beiden Schaaren, in die sich die Schwinger theilten. Nach längerm Ringen waren nur der Oberländer Zurslüe und der Emmenthaler Beer noch übrig; der letzte Horatier sollte mit dem letzten Curiatier den ent¬ scheidenden Gang wagen! Die beiden waren sich bewußt, daß die Ehre ihrer Thäler bis zum nächsten Schwingen von der Kraft und Behendigkeit ihrer Arme abhing, und begannen den Kampf mit dem Ernste, den der hohe Preis, der auf dem Spiele stand, erforderte. Lautlos verfolgte» die Landsleute der beiden den Gang des Kampfes. Endlich nach hartem Ringen wurde Znrflne geworfen; dies entmuthigte aber den Oberländer nicht; denn dreimal mußten die beiden schwingen, bevor der Kampf für entschieden galt. Also begann das zweite Ringen, länger und härter als das erste, die Muskeln der Arme spielten, die stämmigen Beine schienen sich in die Erde bohren zu wollen; endlich erlauschte der Oberländer einen unbewachten Augenblick des Emmenthalcrs, ein rascher Griff und auf dem Rücken lag Beer, der „Schwinger-König", deu noch niemand bis jetzt besiegt. Hoch jubelten die Oberländer, tanzten, warfen mit Mützen und Hüten um sich und höhnten mit Scherzen die Emmenthaler. Der dritte entscheidende Gang begann, Beer, geübt in den Wechselfällen des Kampfes, hatte seine Besonnenheit sich bewahrt, Znrflüe vergaß seine frühere Vorsicht; ehe er sechs versah, war er von dem gewaltigen Arme des Gegners in die Höhe gehoben und trotz alles Sträubens und der den Gegner umklammernden Beine auf deu Rucke» geworfen. Der Kampf war entschiede», das Emmenthal zählte einen neuen glänzen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/174>, abgerufen am 27.05.2024.