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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Frage langer widersetzte. Es konnte also dem Grafen Brandenburg nicht in den
Sinn kommen, in dieser Sache Rußlands Hilfe gegen Oestreich in Anspruch zu
nehmen; er konnte höchstens hoffen, Rußland von der thätigen Theilnahme an
einem etwa ausbrechenden Kriege abzuhalten; oder vielleicht sollte er auch schon
damals ganz einfach erklären, daß Preußen es nicht zum Kriege kommen lassen werde.

Wir glauben, daß diese Einzelnheite" hinreichen werden, um nachzuweisen, daß
Herr Butan bei seiner für das Volk bestimmten Geschichte auch nicht einmal nach
jener geringeren Objectivität gestrebt habe, die darin besteht, daß man dem Gegner
kein Unrecht thut. Im Gegentheil hat er alles aufgeboten, was alter Groll und
leidenschaftliche Gereiztheit einer nicht grade vornehmen Seele eingeben können,
den Gegner" in der öffentlichen Meinung soviel Schade" zuzufügen, als irgend
möglich; und daß er das in einer Zeit gethan hat, wo diese Gegner vollkommen
wehrlos find, wo an eine Gefahr von ihrer Seite nicht im entferntesten mehr zu
denken ist, und wo es doch entschieden im Interesse Deutschlands und sämmtlicher
einzelnen Staaten liegt, die alte" Zwistigkeiten in Vergessenheit zu bringen und
der Befangenheit und dem Mißtrauen, das sich in die öffentlichen Angelegenheiten
eingeschlichen hat, ein Ende zu machen: -- das vergrößert uach unserer Ueber¬
zeugung sein Unrecht und rechtfertigt die Schärfe, mit der wir unser Urtheil über
ihn ausgesprochen habe". Die Regierungen sollten sich gegenwärtig stets an das
Sprichwort erinnern: "Herr, behüte mich vor meinen Freunden, vor meinen
Feinden will ich mich schon selber hüten."

Das türkische Verhängniß und die Großmächte. Historisch-politischer Beitrag
von Franz Schusclka. -- Leipzig, Brockhaus.

Es ist für uns bei den liberalen Oestreichern eine erfreuliche Erscheinung,
daß sie trotz der bittern persönlichen Erfahrungen, die sie gemacht haben,
immer gute Patrioten bleibe". "Bei der an und für sich wenig bedeutenden mon¬
tenegrinischen Erhebung," sagt Herr Schuselka Seite IX., "bewies Oestreich der
überraschte" Welt, daß es deu unpraktischen Consequenzen, welche der Kongreß
von Verona aus dem Autoritätsprincip gezogen, entsagt, daß es seine Interesse"
klar erkannt habe und dieselben gegen jedermann, selbst gegen Rußland, geltend
zu macheu entschlossen sei. Mit einer bisher unerhörten Raschheit des Entschlusses,
mit Hiuwegsetznug über alle diplomatische" Bedenklichkeiten, im Bewußtsein einer
bei der türkische" Katastrophe zunächst und am meisten betheiligten Großmacht er¬
griff Oestreich die Initiative und gewann sogar Nußland den Rang ab auf einem
Schauplatze, der seit lange" Jahren ein ausschließend russischer war. Mit Wort
und That trat Oestreich für die Montenegriner, für die Christe" überhaupt,
d. h. in jenen Ländern für die Bewegung, für die Neugestaltung, für die Frei¬
heit auf."

Wir müssen offen gestehen, daß unsere Phantasie diesen Sprüngen nicht so


Frage langer widersetzte. Es konnte also dem Grafen Brandenburg nicht in den
Sinn kommen, in dieser Sache Rußlands Hilfe gegen Oestreich in Anspruch zu
nehmen; er konnte höchstens hoffen, Rußland von der thätigen Theilnahme an
einem etwa ausbrechenden Kriege abzuhalten; oder vielleicht sollte er auch schon
damals ganz einfach erklären, daß Preußen es nicht zum Kriege kommen lassen werde.

Wir glauben, daß diese Einzelnheite» hinreichen werden, um nachzuweisen, daß
Herr Butan bei seiner für das Volk bestimmten Geschichte auch nicht einmal nach
jener geringeren Objectivität gestrebt habe, die darin besteht, daß man dem Gegner
kein Unrecht thut. Im Gegentheil hat er alles aufgeboten, was alter Groll und
leidenschaftliche Gereiztheit einer nicht grade vornehmen Seele eingeben können,
den Gegner» in der öffentlichen Meinung soviel Schade» zuzufügen, als irgend
möglich; und daß er das in einer Zeit gethan hat, wo diese Gegner vollkommen
wehrlos find, wo an eine Gefahr von ihrer Seite nicht im entferntesten mehr zu
denken ist, und wo es doch entschieden im Interesse Deutschlands und sämmtlicher
einzelnen Staaten liegt, die alte» Zwistigkeiten in Vergessenheit zu bringen und
der Befangenheit und dem Mißtrauen, das sich in die öffentlichen Angelegenheiten
eingeschlichen hat, ein Ende zu machen: — das vergrößert uach unserer Ueber¬
zeugung sein Unrecht und rechtfertigt die Schärfe, mit der wir unser Urtheil über
ihn ausgesprochen habe». Die Regierungen sollten sich gegenwärtig stets an das
Sprichwort erinnern: „Herr, behüte mich vor meinen Freunden, vor meinen
Feinden will ich mich schon selber hüten."

Das türkische Verhängniß und die Großmächte. Historisch-politischer Beitrag
von Franz Schusclka. — Leipzig, Brockhaus.

Es ist für uns bei den liberalen Oestreichern eine erfreuliche Erscheinung,
daß sie trotz der bittern persönlichen Erfahrungen, die sie gemacht haben,
immer gute Patrioten bleibe». „Bei der an und für sich wenig bedeutenden mon¬
tenegrinischen Erhebung," sagt Herr Schuselka Seite IX., „bewies Oestreich der
überraschte» Welt, daß es deu unpraktischen Consequenzen, welche der Kongreß
von Verona aus dem Autoritätsprincip gezogen, entsagt, daß es seine Interesse»
klar erkannt habe und dieselben gegen jedermann, selbst gegen Rußland, geltend
zu macheu entschlossen sei. Mit einer bisher unerhörten Raschheit des Entschlusses,
mit Hiuwegsetznug über alle diplomatische» Bedenklichkeiten, im Bewußtsein einer
bei der türkische» Katastrophe zunächst und am meisten betheiligten Großmacht er¬
griff Oestreich die Initiative und gewann sogar Nußland den Rang ab auf einem
Schauplatze, der seit lange» Jahren ein ausschließend russischer war. Mit Wort
und That trat Oestreich für die Montenegriner, für die Christe» überhaupt,
d. h. in jenen Ländern für die Bewegung, für die Neugestaltung, für die Frei¬
heit auf."

Wir müssen offen gestehen, daß unsere Phantasie diesen Sprüngen nicht so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/294>, abgerufen am 10.06.2024.