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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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im Stande waren, die russische Armee ein halbes Jahr lang auf dem Kriegstheater
zwischen der Donau und dem Balkan zu beschäftigen. In diesem Augenblicke
hat die Pforte ans demselben Raume gegen 60,000 Manu vereinigt, und zwar
befinden sich dieselben zum größern Theil unter dem Kommando eines erfahrenen
und, wie auch seine russischen Gegner einräumen müssen, talentvollen Generals,
nämlich Omer Paschas. Es wäre bei so bewandten Umständen ganz unerhört
und ausnahmsweise Unglücksfälle müßten sich vereinigen, wenn die Leistungen der
türkischen Armee in diesem Jahre hinter denen im Jahre 1828 zurückbleibe" sollte".

Die beiden Hinderuißlinien, welche jeder von Norden her gegen die euro¬
päische Türkei gerichtete Angriff zu überschreiten hat, bevor er Rumelien oder das
eigentliche Centraltheater, in welchem die Entscheidung fallen muß, zu betreten
vermag, die niedere Donau und der Balkan, sind, was den bloßen Namen an¬
langt, genugsam bekannt, und heute in aller Munde, aber ihrer eigentlichen mili¬
tärischen Natur gemäß send sie selten richtig gewürdigt worden; wie denn über¬
haupt in der Kriegstheorie bis auf den heutigen Tag ganz allgemein genom¬
men das Capitel über die strategischen Hindernisse eine schwache und noch ziemlich
unklare Partie ausmacht. Ihre Widerstandsfähigkeit ist in früherer Zeit vielfach
überschätzt worden. Nachdem zahlreiche Beispiele bewiesen, daß große Strome
nicht so unfehlbar zu decken vermögen, als man seither anzunehmen beliebte, und
daß Gebirgslinien ein noch um vieles nnzureichenderer Schutz seien, fiel man, wie
das zu geschehen pflegt, ins Extrem des Gegensatzes und wollte durchaus auf
beide nicht viel mehr geben. Auf solchem Staudpunkte der Beurtheilung stehend,
haben wol Kriegstheoretiker vor einem Vierteljahrhundert, als der Krieg der
Pforte mit Rußland sich vorbereitete, die Hindernisse, welche dies!" Macht auf dem
fraglichen Kriegstheater vorfand, im voraus geringer angeschlagen, als später die
Erfahrung lehrte. Heutzutage verfällt man in einen ähnlichen Fehler; nicht russi-
scherseitö, wo man gegenwärtig, nach mannigfachen Erfahrungen in früheren Feld¬
zügen, die Schwierigkeiten, mit denen mau zu kämpfen, genau kennt, und sich
in Betreff derselben keinen Illusionen hingibt, sondern seitens einer gewissen Classe
neutraler, schriftstellernder Militärs. Es kommt auf Rechnung dieser Herren zu
stehen, wenn die Chancen des sich vorbereitende" Kampfes durchaus unrichtig im
großen Publicum bemessen werden. Dazu kommt noch, daß die beiden Hindcrniß-
linien, die niedere Donau und der Balkan, ihrer Natur nach unterschiedlich stark,
und rücksichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit mit wenigen anderen in Europa in
Vergleich zu stellen sind.

Was den betreffenden Strom anlangt, so beruht die Schwierigkeit, ihn aus
der Strecke zwischen Bulgarien und der Dobrndscha einerseits und den Fürsten-
thümern andererseits, von letzterer Seite her zu überschreiten, ans dem doppelten
Umstände, daß durchweg das türkische Ufer das höhere, dominirende und die freie
Uebersicht habende ist, und dagegen das andere ausuahmelos nnr als Streifland,


Grenzb"de", III. 1863. 48

im Stande waren, die russische Armee ein halbes Jahr lang auf dem Kriegstheater
zwischen der Donau und dem Balkan zu beschäftigen. In diesem Augenblicke
hat die Pforte ans demselben Raume gegen 60,000 Manu vereinigt, und zwar
befinden sich dieselben zum größern Theil unter dem Kommando eines erfahrenen
und, wie auch seine russischen Gegner einräumen müssen, talentvollen Generals,
nämlich Omer Paschas. Es wäre bei so bewandten Umständen ganz unerhört
und ausnahmsweise Unglücksfälle müßten sich vereinigen, wenn die Leistungen der
türkischen Armee in diesem Jahre hinter denen im Jahre 1828 zurückbleibe» sollte».

Die beiden Hinderuißlinien, welche jeder von Norden her gegen die euro¬
päische Türkei gerichtete Angriff zu überschreiten hat, bevor er Rumelien oder das
eigentliche Centraltheater, in welchem die Entscheidung fallen muß, zu betreten
vermag, die niedere Donau und der Balkan, sind, was den bloßen Namen an¬
langt, genugsam bekannt, und heute in aller Munde, aber ihrer eigentlichen mili¬
tärischen Natur gemäß send sie selten richtig gewürdigt worden; wie denn über¬
haupt in der Kriegstheorie bis auf den heutigen Tag ganz allgemein genom¬
men das Capitel über die strategischen Hindernisse eine schwache und noch ziemlich
unklare Partie ausmacht. Ihre Widerstandsfähigkeit ist in früherer Zeit vielfach
überschätzt worden. Nachdem zahlreiche Beispiele bewiesen, daß große Strome
nicht so unfehlbar zu decken vermögen, als man seither anzunehmen beliebte, und
daß Gebirgslinien ein noch um vieles nnzureichenderer Schutz seien, fiel man, wie
das zu geschehen pflegt, ins Extrem des Gegensatzes und wollte durchaus auf
beide nicht viel mehr geben. Auf solchem Staudpunkte der Beurtheilung stehend,
haben wol Kriegstheoretiker vor einem Vierteljahrhundert, als der Krieg der
Pforte mit Rußland sich vorbereitete, die Hindernisse, welche dies!« Macht auf dem
fraglichen Kriegstheater vorfand, im voraus geringer angeschlagen, als später die
Erfahrung lehrte. Heutzutage verfällt man in einen ähnlichen Fehler; nicht russi-
scherseitö, wo man gegenwärtig, nach mannigfachen Erfahrungen in früheren Feld¬
zügen, die Schwierigkeiten, mit denen mau zu kämpfen, genau kennt, und sich
in Betreff derselben keinen Illusionen hingibt, sondern seitens einer gewissen Classe
neutraler, schriftstellernder Militärs. Es kommt auf Rechnung dieser Herren zu
stehen, wenn die Chancen des sich vorbereitende» Kampfes durchaus unrichtig im
großen Publicum bemessen werden. Dazu kommt noch, daß die beiden Hindcrniß-
linien, die niedere Donau und der Balkan, ihrer Natur nach unterschiedlich stark,
und rücksichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit mit wenigen anderen in Europa in
Vergleich zu stellen sind.

Was den betreffenden Strom anlangt, so beruht die Schwierigkeit, ihn aus
der Strecke zwischen Bulgarien und der Dobrndscha einerseits und den Fürsten-
thümern andererseits, von letzterer Seite her zu überschreiten, ans dem doppelten
Umstände, daß durchweg das türkische Ufer das höhere, dominirende und die freie
Uebersicht habende ist, und dagegen das andere ausuahmelos nnr als Streifland,


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[0383] im Stande waren, die russische Armee ein halbes Jahr lang auf dem Kriegstheater zwischen der Donau und dem Balkan zu beschäftigen. In diesem Augenblicke hat die Pforte ans demselben Raume gegen 60,000 Manu vereinigt, und zwar befinden sich dieselben zum größern Theil unter dem Kommando eines erfahrenen und, wie auch seine russischen Gegner einräumen müssen, talentvollen Generals, nämlich Omer Paschas. Es wäre bei so bewandten Umständen ganz unerhört und ausnahmsweise Unglücksfälle müßten sich vereinigen, wenn die Leistungen der türkischen Armee in diesem Jahre hinter denen im Jahre 1828 zurückbleibe» sollte». Die beiden Hinderuißlinien, welche jeder von Norden her gegen die euro¬ päische Türkei gerichtete Angriff zu überschreiten hat, bevor er Rumelien oder das eigentliche Centraltheater, in welchem die Entscheidung fallen muß, zu betreten vermag, die niedere Donau und der Balkan, sind, was den bloßen Namen an¬ langt, genugsam bekannt, und heute in aller Munde, aber ihrer eigentlichen mili¬ tärischen Natur gemäß send sie selten richtig gewürdigt worden; wie denn über¬ haupt in der Kriegstheorie bis auf den heutigen Tag ganz allgemein genom¬ men das Capitel über die strategischen Hindernisse eine schwache und noch ziemlich unklare Partie ausmacht. Ihre Widerstandsfähigkeit ist in früherer Zeit vielfach überschätzt worden. Nachdem zahlreiche Beispiele bewiesen, daß große Strome nicht so unfehlbar zu decken vermögen, als man seither anzunehmen beliebte, und daß Gebirgslinien ein noch um vieles nnzureichenderer Schutz seien, fiel man, wie das zu geschehen pflegt, ins Extrem des Gegensatzes und wollte durchaus auf beide nicht viel mehr geben. Auf solchem Staudpunkte der Beurtheilung stehend, haben wol Kriegstheoretiker vor einem Vierteljahrhundert, als der Krieg der Pforte mit Rußland sich vorbereitete, die Hindernisse, welche dies!« Macht auf dem fraglichen Kriegstheater vorfand, im voraus geringer angeschlagen, als später die Erfahrung lehrte. Heutzutage verfällt man in einen ähnlichen Fehler; nicht russi- scherseitö, wo man gegenwärtig, nach mannigfachen Erfahrungen in früheren Feld¬ zügen, die Schwierigkeiten, mit denen mau zu kämpfen, genau kennt, und sich in Betreff derselben keinen Illusionen hingibt, sondern seitens einer gewissen Classe neutraler, schriftstellernder Militärs. Es kommt auf Rechnung dieser Herren zu stehen, wenn die Chancen des sich vorbereitende» Kampfes durchaus unrichtig im großen Publicum bemessen werden. Dazu kommt noch, daß die beiden Hindcrniß- linien, die niedere Donau und der Balkan, ihrer Natur nach unterschiedlich stark, und rücksichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit mit wenigen anderen in Europa in Vergleich zu stellen sind. Was den betreffenden Strom anlangt, so beruht die Schwierigkeit, ihn aus der Strecke zwischen Bulgarien und der Dobrndscha einerseits und den Fürsten- thümern andererseits, von letzterer Seite her zu überschreiten, ans dem doppelten Umstände, daß durchweg das türkische Ufer das höhere, dominirende und die freie Uebersicht habende ist, und dagegen das andere ausuahmelos nnr als Streifland, Grenzb»de», III. 1863. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/383>, abgerufen am 19.05.2024.