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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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um noch ein"Vivat für einen fremden Monarchen zu erübrigen. Also wie gesagt, alles
reist und selbst die Akademie wird nach der heutigen Sitzung den Wanderstab er¬
greifen. Herr Villemain hat vor seiner Abreise dem gegenwärtigen Regime aus
Anlaß eines Berichtes über zwei Worte verschiedene Artigkeiten gesagt, indem
er dem Spiritualismus und der Freiheit der Tribüne eine Lobrede gehalten. Der
ewige Secretär der Akademie hat seine Ausfälle in jene feine und geistreiche Ironie
gehüllt, die er so gut zu handhaben versteht wie sonst niemand. Dieser Fein¬
heit seiner Wendungen verdankt er auch, daß seine Rede nicht von der ans dem Schoße
der Akademie selbst gewählten Beurtheiluugscvmmission verdammt wurde. Herr
Se. Beuve, der kaiserlicher gesinnt thut als der Kaiser selbst, erhob sehr heftigen
Einwand gegen diese Rede und trug darauf an, daß der Secretär dieselbe um¬
arbeite. Merimve, el" anderes Commissionsmitglied, obgleich Senator, nahm
Villemain in Schutz und bemerkte, daß eine Kritik, in so seiner und nrbauer,
wenn gleich geistvoller Form gehalten, gradezu als unschädlich erklärt werden
müsse, und die Rede wurde gehalten, sowie sie Villemain abgefaßt. Bemerkens¬
werth ist jedoch, daß weder Se. Beuve noch der Senator Merimve bei der heu¬
tigen Sitzung zugegen gewesen. Dafür sah man unter den Gästen General Magnam
einträchtig neben Herrn Falloux sitzen, was allerdings ein rührendes Schauspiel
gewesen. Auf die Rede Villemainö selbst kommen wir wahrscheinlich noch ein¬
mal zurück, denn es verlohnt sich der Mühe, aber heute wollen wir bei den rei¬
senden Parisern bleiben.

Unter den Reisende", die unser Interesse in Anspruch nehmen, befindet sich
anch der Cvrrcspondeutenprvceß, der infolge des gar nicht kaiserlichen Rcchts-
gefühls unseres Cassativnshofes eine Wanderung nach Rouen antreten mußte.
Die Korrespondenten bekommen bei dieser Gelegenheit den wunderbaren Justiz-
palast zu sehen, eines der merkwürdigsten Denkmale mittelalterlicher Baukunst,
und das ist jedenfalls ein Trost für ihre Verurtheilung. Daß sie verurtheilt
werde", unterliegt keinem Zweifel, obgleich der Telegraph noch "indes über das heute
gefällte Urtheil gemeldet. Herr Frankcarrv, der Präsident, hat dem Kaiser diese
freundschaftliche Versicherung schon vor einigen Tagen hierher berichtet. Der Appell-
. hos von None" wollte seinem Herrn eigentlich die zarte Aufmerksamkeit erweisen,
,ihm das Verdammungsurtheil als Huldigung zu seinem Namensfeste darzu¬
bringen, allein der Eindruck, den die Advocaten der Angeklagten hervorgebracht,
vereitelte die Pläne löblicher Loyalität. Glauben Sie ja nicht, daß ich scherze;
was ich Ihnen hier erzähle, ist historisch. Das Urtheil war schon im vvrnhinein
abgefaßt, noch vor dem Plaidoyer, aber infolge der namenlosen Ungeschicklichkeit
des Generalprocurators Daviele Und des sehr beträchtlichen Talents der Advo-
caten fand es sich, daß, als man zur sogenannten Berathung abtrat, man nach
einer stundenlangen Verhandlung nicht mehr über den bereits abgefaßten Ur¬
theilsspruch einig werden konnte, und denselben auf heute vertagen mußte. Herr


um noch ein»Vivat für einen fremden Monarchen zu erübrigen. Also wie gesagt, alles
reist und selbst die Akademie wird nach der heutigen Sitzung den Wanderstab er¬
greifen. Herr Villemain hat vor seiner Abreise dem gegenwärtigen Regime aus
Anlaß eines Berichtes über zwei Worte verschiedene Artigkeiten gesagt, indem
er dem Spiritualismus und der Freiheit der Tribüne eine Lobrede gehalten. Der
ewige Secretär der Akademie hat seine Ausfälle in jene feine und geistreiche Ironie
gehüllt, die er so gut zu handhaben versteht wie sonst niemand. Dieser Fein¬
heit seiner Wendungen verdankt er auch, daß seine Rede nicht von der ans dem Schoße
der Akademie selbst gewählten Beurtheiluugscvmmission verdammt wurde. Herr
Se. Beuve, der kaiserlicher gesinnt thut als der Kaiser selbst, erhob sehr heftigen
Einwand gegen diese Rede und trug darauf an, daß der Secretär dieselbe um¬
arbeite. Merimve, el» anderes Commissionsmitglied, obgleich Senator, nahm
Villemain in Schutz und bemerkte, daß eine Kritik, in so seiner und nrbauer,
wenn gleich geistvoller Form gehalten, gradezu als unschädlich erklärt werden
müsse, und die Rede wurde gehalten, sowie sie Villemain abgefaßt. Bemerkens¬
werth ist jedoch, daß weder Se. Beuve noch der Senator Merimve bei der heu¬
tigen Sitzung zugegen gewesen. Dafür sah man unter den Gästen General Magnam
einträchtig neben Herrn Falloux sitzen, was allerdings ein rührendes Schauspiel
gewesen. Auf die Rede Villemainö selbst kommen wir wahrscheinlich noch ein¬
mal zurück, denn es verlohnt sich der Mühe, aber heute wollen wir bei den rei¬
senden Parisern bleiben.

Unter den Reisende», die unser Interesse in Anspruch nehmen, befindet sich
anch der Cvrrcspondeutenprvceß, der infolge des gar nicht kaiserlichen Rcchts-
gefühls unseres Cassativnshofes eine Wanderung nach Rouen antreten mußte.
Die Korrespondenten bekommen bei dieser Gelegenheit den wunderbaren Justiz-
palast zu sehen, eines der merkwürdigsten Denkmale mittelalterlicher Baukunst,
und das ist jedenfalls ein Trost für ihre Verurtheilung. Daß sie verurtheilt
werde», unterliegt keinem Zweifel, obgleich der Telegraph noch »indes über das heute
gefällte Urtheil gemeldet. Herr Frankcarrv, der Präsident, hat dem Kaiser diese
freundschaftliche Versicherung schon vor einigen Tagen hierher berichtet. Der Appell-
. hos von None» wollte seinem Herrn eigentlich die zarte Aufmerksamkeit erweisen,
,ihm das Verdammungsurtheil als Huldigung zu seinem Namensfeste darzu¬
bringen, allein der Eindruck, den die Advocaten der Angeklagten hervorgebracht,
vereitelte die Pläne löblicher Loyalität. Glauben Sie ja nicht, daß ich scherze;
was ich Ihnen hier erzähle, ist historisch. Das Urtheil war schon im vvrnhinein
abgefaßt, noch vor dem Plaidoyer, aber infolge der namenlosen Ungeschicklichkeit
des Generalprocurators Daviele Und des sehr beträchtlichen Talents der Advo-
caten fand es sich, daß, als man zur sogenannten Berathung abtrat, man nach
einer stundenlangen Verhandlung nicht mehr über den bereits abgefaßten Ur¬
theilsspruch einig werden konnte, und denselben auf heute vertagen mußte. Herr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/386>, abgerufen am 10.06.2024.