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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Geschichten, wie man sie in Bosnien erzählt.

F. Julie aus Banjaluka, Priester des Franziskanerordens in Bosnien, der
Erzähler der nachfolgenden Geschichten, ist kein anderer als der bekannte Agitator,
über dessen Thätigkeit und Schicksale im letzten böhmischen Aufstände soviel zu
lesen war. Julie schrieb diese Geschichten in der serbisch-kroatischen Mundart
nieder, grade sowie dieselben im Volke leben. Die herrschende Sprache in
Bosnien ist die serbisch-kroatische, welche selbst von einer großen Mehrzahl der
in Bosnien lebenden Muselmänner fast ganz ausschließlich gesprochen wird; die
größern Grundbesitzer, die Agas und Spahias in Bosnien sprechen beinahe durch¬
weg Serbisch. Die böhmischen Muselmänner, auch wenn sie uicht Türkisch zu reden
wissen, mischen mit einer gewissen Ostentation einzelne, nicht selten mißverstandene
und arg corrumpirte türkische Floskeln in ihr Gespräch. -- Es versteht sich von
selbst, daß sich der Uebersetzer so treu als nur möglich an den Wortlaut des
kroatischen Originals hielt, stellenweise, wo es nicht anders anging, selbst ans
Kosten der Glätte des deutschen Stils.

I. Die Derwische in Konstantinopel.

Alljährlich besuchen Scharen andächtiger Derwische die vorzüglichsten Städte
des ottomanischen Kaiserreichs. In besonderer Vorliebe steht bei ihnen Kon¬
stantinopel. Es geht kein Jahr vorbei, in welchem sie nicht in dieser heiligen
Stadt erschienen. Die einen kommen ans Adzam^, die andern aus Anadol^),
die dritten wieder aus Bagdad u. s. w. Hier umgeben sie sich mit einem Nimbus
von Frömmigkeit und Armuth und erinnern die Bewohner von Konstantinopel,
wie erhaben ihr Beruf, wie groß ihre Frömmigkeit und Tugend, wie groß ihre
Heiligkeit, weil sie mit Lumpen bekleidet in den Straßen von Konstantinopel
Almosen betteln.

Ich weiß nicht, was es im Jahre 1828 gab, daß damals diese heiligen
Gäste in größerer Anzahl nach Konstantinopel kamen. Sie wissen doch wol,
daß je mehr ihrer zugleich da find, desto geringere Gaben ans die einzelnen


Grenzboten. III. -I8L3. S-I

Geschichten, wie man sie in Bosnien erzählt.

F. Julie aus Banjaluka, Priester des Franziskanerordens in Bosnien, der
Erzähler der nachfolgenden Geschichten, ist kein anderer als der bekannte Agitator,
über dessen Thätigkeit und Schicksale im letzten böhmischen Aufstände soviel zu
lesen war. Julie schrieb diese Geschichten in der serbisch-kroatischen Mundart
nieder, grade sowie dieselben im Volke leben. Die herrschende Sprache in
Bosnien ist die serbisch-kroatische, welche selbst von einer großen Mehrzahl der
in Bosnien lebenden Muselmänner fast ganz ausschließlich gesprochen wird; die
größern Grundbesitzer, die Agas und Spahias in Bosnien sprechen beinahe durch¬
weg Serbisch. Die böhmischen Muselmänner, auch wenn sie uicht Türkisch zu reden
wissen, mischen mit einer gewissen Ostentation einzelne, nicht selten mißverstandene
und arg corrumpirte türkische Floskeln in ihr Gespräch. — Es versteht sich von
selbst, daß sich der Uebersetzer so treu als nur möglich an den Wortlaut des
kroatischen Originals hielt, stellenweise, wo es nicht anders anging, selbst ans
Kosten der Glätte des deutschen Stils.

I. Die Derwische in Konstantinopel.

Alljährlich besuchen Scharen andächtiger Derwische die vorzüglichsten Städte
des ottomanischen Kaiserreichs. In besonderer Vorliebe steht bei ihnen Kon¬
stantinopel. Es geht kein Jahr vorbei, in welchem sie nicht in dieser heiligen
Stadt erschienen. Die einen kommen ans Adzam^, die andern aus Anadol^),
die dritten wieder aus Bagdad u. s. w. Hier umgeben sie sich mit einem Nimbus
von Frömmigkeit und Armuth und erinnern die Bewohner von Konstantinopel,
wie erhaben ihr Beruf, wie groß ihre Frömmigkeit und Tugend, wie groß ihre
Heiligkeit, weil sie mit Lumpen bekleidet in den Straßen von Konstantinopel
Almosen betteln.

Ich weiß nicht, was es im Jahre 1828 gab, daß damals diese heiligen
Gäste in größerer Anzahl nach Konstantinopel kamen. Sie wissen doch wol,
daß je mehr ihrer zugleich da find, desto geringere Gaben ans die einzelnen


Grenzboten. III. -I8L3. S-I

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[0407] Geschichten, wie man sie in Bosnien erzählt. F. Julie aus Banjaluka, Priester des Franziskanerordens in Bosnien, der Erzähler der nachfolgenden Geschichten, ist kein anderer als der bekannte Agitator, über dessen Thätigkeit und Schicksale im letzten böhmischen Aufstände soviel zu lesen war. Julie schrieb diese Geschichten in der serbisch-kroatischen Mundart nieder, grade sowie dieselben im Volke leben. Die herrschende Sprache in Bosnien ist die serbisch-kroatische, welche selbst von einer großen Mehrzahl der in Bosnien lebenden Muselmänner fast ganz ausschließlich gesprochen wird; die größern Grundbesitzer, die Agas und Spahias in Bosnien sprechen beinahe durch¬ weg Serbisch. Die böhmischen Muselmänner, auch wenn sie uicht Türkisch zu reden wissen, mischen mit einer gewissen Ostentation einzelne, nicht selten mißverstandene und arg corrumpirte türkische Floskeln in ihr Gespräch. — Es versteht sich von selbst, daß sich der Uebersetzer so treu als nur möglich an den Wortlaut des kroatischen Originals hielt, stellenweise, wo es nicht anders anging, selbst ans Kosten der Glätte des deutschen Stils. I. Die Derwische in Konstantinopel. Alljährlich besuchen Scharen andächtiger Derwische die vorzüglichsten Städte des ottomanischen Kaiserreichs. In besonderer Vorliebe steht bei ihnen Kon¬ stantinopel. Es geht kein Jahr vorbei, in welchem sie nicht in dieser heiligen Stadt erschienen. Die einen kommen ans Adzam^, die andern aus Anadol^), die dritten wieder aus Bagdad u. s. w. Hier umgeben sie sich mit einem Nimbus von Frömmigkeit und Armuth und erinnern die Bewohner von Konstantinopel, wie erhaben ihr Beruf, wie groß ihre Frömmigkeit und Tugend, wie groß ihre Heiligkeit, weil sie mit Lumpen bekleidet in den Straßen von Konstantinopel Almosen betteln. Ich weiß nicht, was es im Jahre 1828 gab, daß damals diese heiligen Gäste in größerer Anzahl nach Konstantinopel kamen. Sie wissen doch wol, daß je mehr ihrer zugleich da find, desto geringere Gaben ans die einzelnen Grenzboten. III. -I8L3. S-I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/407>, abgerufen am 27.05.2024.