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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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kommen. Aber dennoch strömten sie nach Konstantinopel und es hatten sich bereits
einige Hundert zusammengefunden. Ein Fremder hätte meinen müssen, sie seien
gekommen, Konstantinopel gegen eine feindliche Heeresmacht zu vertheidigen.

Die Brüderschaft Islam war die erste angekommene. Solange dieselbe
allein war, schlug sie sich noch ziemlich gut dnrch, aber später ging es recht schlecht.
An einem Donnerstage begann Asseln, der älteste der Brüderschaft, die versam¬
melten Brüder anzureden und mit weinerlicher Stimme so zu klagen: "Meine
Brüder! Wir sind zwölf rechtgläubige Muselmänner. Seht selbst, wie sich dieses
Jahr für uns so schwarz gestaltet. Drei Tage sind vorübergegangen, ohne daß
wir einen Para oder Dinars zusammenzubringen vermocht. Heutzutage gibt es
gar keinen rechten Türkenglauben mehr! Man hat nicht mehr die alte Sympathie
mit uns. Alles ist erkaltet. Weiß Gott, es steht schlimm! Habt ihr gehört,
was es zu Warna und Kostendza gegeben? was sich in Jedren, Ssumla und
Widm zugetragen? Habt ihr gehört, wie der Wlache^) unserm türkischen
Glauben scharf zusetzt? sind das uicht augenscheinlich Strafen Gottes und seines
Propheten Muhammed, die sich über die jetzigen Muselmänner erzürnt haben, weil
dieselben ihre heiligen Leute, die Derwische verlassen? Gott verdamme! Seht
ihr nicht, wie sich der Türke in wälsche" Pantnle^) aufbläht? Soll es baun
gut gehen? Nein! nein! der türkische Glaube ist untergegangen! Hort, meine
Brüder, bedauernswerthe Genossen, Hort! wir müssen auseinandergehen, die
eiuen dahin, die andern dorthin, unsern Lebensunterhalt zu suchen. Wir werden
weiter ziehen und Konstantinopel dem Zorne Gottes zurücklassen. Der Moskovite
soll uns an den Bewohnern von Konstantinopel rächen und sie für ihre Gering¬
schätzung gegen uus und den türkischen Glanben bezahlen!" --

Weiter zu sprechen verhinderte ihn ein Strom von Thränen, der sich über
dessen Wangen ergoß. Die Derwische waren von der Rede ihres ältesten sehr
gerührt und zerflossen in Thränen. Nur Omer blickte ungetrübten Anges umher,
als hätte ihn noch nicht alle Hoffnung verlassen. "Korkma Brüder, Korkma")
Gefährten!" begann Omer. "Ich bin der jüngste und deshalb auch der un¬
verständigste unter euch. Ist mir erlaubt, zu sprechen?"

Alle erwiederten "Testir!"^

"Wenn es so ist", fuhr Omer fort, "so ermannet euch, wir find noch nicht
verloren! Es gibt noch echte Türken zu Konstantinopel, es ist nicht wahr, daß
sie sich alle verwälscht hätten. Habt ihr denn nicht gesehen, daß ganze Scharen
von Derwischen hierher gekommen, und da sich soviele Heilige den Konstanti-
noplern zeigen, will uns niemand mehr beachten. Das ist die wahre Ursache.
Laßt uns keine Thoren sein! Meine Meinung, wenn sie euch anständig, ist fol¬
gende: Morgen ist Freitag. Ich werde mich steif ausstrecken und mich todt stellen.
Ihr tragt mich dann in die Mitte der Gasse, welche zur großen Moschee führt;
ihr bedeckt mich mit dünner Leinwand und legt mich ans ein Bret; vier von euch


kommen. Aber dennoch strömten sie nach Konstantinopel und es hatten sich bereits
einige Hundert zusammengefunden. Ein Fremder hätte meinen müssen, sie seien
gekommen, Konstantinopel gegen eine feindliche Heeresmacht zu vertheidigen.

Die Brüderschaft Islam war die erste angekommene. Solange dieselbe
allein war, schlug sie sich noch ziemlich gut dnrch, aber später ging es recht schlecht.
An einem Donnerstage begann Asseln, der älteste der Brüderschaft, die versam¬
melten Brüder anzureden und mit weinerlicher Stimme so zu klagen: „Meine
Brüder! Wir sind zwölf rechtgläubige Muselmänner. Seht selbst, wie sich dieses
Jahr für uns so schwarz gestaltet. Drei Tage sind vorübergegangen, ohne daß
wir einen Para oder Dinars zusammenzubringen vermocht. Heutzutage gibt es
gar keinen rechten Türkenglauben mehr! Man hat nicht mehr die alte Sympathie
mit uns. Alles ist erkaltet. Weiß Gott, es steht schlimm! Habt ihr gehört,
was es zu Warna und Kostendza gegeben? was sich in Jedren, Ssumla und
Widm zugetragen? Habt ihr gehört, wie der Wlache^) unserm türkischen
Glauben scharf zusetzt? sind das uicht augenscheinlich Strafen Gottes und seines
Propheten Muhammed, die sich über die jetzigen Muselmänner erzürnt haben, weil
dieselben ihre heiligen Leute, die Derwische verlassen? Gott verdamme! Seht
ihr nicht, wie sich der Türke in wälsche» Pantnle^) aufbläht? Soll es baun
gut gehen? Nein! nein! der türkische Glaube ist untergegangen! Hort, meine
Brüder, bedauernswerthe Genossen, Hort! wir müssen auseinandergehen, die
eiuen dahin, die andern dorthin, unsern Lebensunterhalt zu suchen. Wir werden
weiter ziehen und Konstantinopel dem Zorne Gottes zurücklassen. Der Moskovite
soll uns an den Bewohnern von Konstantinopel rächen und sie für ihre Gering¬
schätzung gegen uus und den türkischen Glanben bezahlen!" —

Weiter zu sprechen verhinderte ihn ein Strom von Thränen, der sich über
dessen Wangen ergoß. Die Derwische waren von der Rede ihres ältesten sehr
gerührt und zerflossen in Thränen. Nur Omer blickte ungetrübten Anges umher,
als hätte ihn noch nicht alle Hoffnung verlassen. „Korkma Brüder, Korkma")
Gefährten!" begann Omer. „Ich bin der jüngste und deshalb auch der un¬
verständigste unter euch. Ist mir erlaubt, zu sprechen?"

Alle erwiederten „Testir!"^

„Wenn es so ist", fuhr Omer fort, „so ermannet euch, wir find noch nicht
verloren! Es gibt noch echte Türken zu Konstantinopel, es ist nicht wahr, daß
sie sich alle verwälscht hätten. Habt ihr denn nicht gesehen, daß ganze Scharen
von Derwischen hierher gekommen, und da sich soviele Heilige den Konstanti-
noplern zeigen, will uns niemand mehr beachten. Das ist die wahre Ursache.
Laßt uns keine Thoren sein! Meine Meinung, wenn sie euch anständig, ist fol¬
gende: Morgen ist Freitag. Ich werde mich steif ausstrecken und mich todt stellen.
Ihr tragt mich dann in die Mitte der Gasse, welche zur großen Moschee führt;
ihr bedeckt mich mit dünner Leinwand und legt mich ans ein Bret; vier von euch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/408>, abgerufen am 17.06.2024.