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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Ich möchte meinen heutigen Brief nicht schließen, ohne Ihnen einige
Worte über Salvandys jüngste Rede in der Akademie zu sagen. Sie wisse",
es handelte sich um jährliche Vertheilung des Monthyvnschen Tugendpreises.
Wir haben bei mehren Gelegenheiten bemerkt, daß es uuter den bankrotten
Staatsmännern Ludwig Philipps Mode geworden ist, in ihrer Reaction gegen
die Aufklärung soweit zu gehen, daß sie sich mit den Obscuranten der Re¬
stauration begegnen. So haben sie sich auch sämmtlich in der Tretmühle ge¬
troffen, die man Fusion nennt. Es ist ein eigenthümliches Schauspiel.
Puritaner Guizot spricht dem Katholicismus das Wort, Villemain ist fromm
worden wie ein Kapuziner und Salvandy tritt seinen Gefährten würdig an tue
Seite, gegen das -18. Jahrhundert in die Schranken. Bisher fehlte blos Thiers
im geistreichen Kreise. Es wird genug an ihm gearbeitet, aber er ist ein hart'
gesottener Sünder, dem nicht leicht beizukommen ist. Salvandy beweist uns dies
Mal, daß das 18. Jahrhundert mit seiner philosophischen Freigeisterei und sei""
Verachtung der religiösen Schranken zu allen Verirrungen der Revolution bis a"!
heute geführt haben soll. Die Herren haben blos ein neues Thema sür ihre T"!'
sertationen gewählt -- früher waren es Ludwig XV. und seine Schandwirlhschafi,
jetzt sind es die Philosophen, die das Unheil über die Welt'gebracht habe"-
Es läßt sich so und so viel Geistreiches sagen, wenn man eben geistreich ^
wie Salvandy, aber die Wahrheit gewinnt wenig dabei. Eine Hauptsache übe^
sehen alle modernen Konvertiten -- die nämlich, daß trotz ihres guten Willen^
und ihrer heiligen Bemühung -- ihnen denn doch die rechte Weihe fehle. ^
gehen von der Politik aus, die einen von der Februarrevolution, die a"d""
speciell vom 2. December. Die Religion soll ihnen als politischer Hebel c>>^
nen nach rückwärts, wie der Atheismus sie nach vorwärts bringen sollte.
will man aber der 'Gesellschaft den innern Glauben beibringen, wo es sich ^
den neuen Priestern nur um äußerliche Motive handelt. Sie übersehen ^
ganzen Proceß, der in der modernen Anschauung seit Luther vor sich gegaug
ist, und sie begreifen nicht, daß sie dieselben Kräfte anwenden, an derenFest-
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halten das Papstthum und der Katholicismus zu Grunde gegangen ist.
fühlen nicht, daß ihre Beredtsamkeit rein verschwendet ist, denn die grol
Menge versteht diese subtilen Spitzfindigkeiten nicht, sie versteht wol die me"!^
liebe Sittlichkeit, wie sie die moderne Aufklärung des neuen Christenthums an ¬
saßt, aber nicht die scholastische Discussion des Herrn Villemain und Corso^ ^
Das gebildete Publicum aber sieht die politische Ficelle an dieser salbungövo ^
Bekehrung und kein Mensch wird dabei getäuscht. Als ich Salvandys 9u ^
gelesen, fiel mir folgende Anekdote ein, die mir sehr bezeichnend für die "l^
montane Bergpredigt scheint. Ein Mann, von dem bekannt war, daß er I
einen großen Theil seines Vermögens durch das Glück der Karten erwor ^
verfiel in eine schwere Krankheit und ließ sich den Beichtvater holen. D"!


Ich möchte meinen heutigen Brief nicht schließen, ohne Ihnen einige
Worte über Salvandys jüngste Rede in der Akademie zu sagen. Sie wisse»,
es handelte sich um jährliche Vertheilung des Monthyvnschen Tugendpreises.
Wir haben bei mehren Gelegenheiten bemerkt, daß es uuter den bankrotten
Staatsmännern Ludwig Philipps Mode geworden ist, in ihrer Reaction gegen
die Aufklärung soweit zu gehen, daß sie sich mit den Obscuranten der Re¬
stauration begegnen. So haben sie sich auch sämmtlich in der Tretmühle ge¬
troffen, die man Fusion nennt. Es ist ein eigenthümliches Schauspiel.
Puritaner Guizot spricht dem Katholicismus das Wort, Villemain ist fromm
worden wie ein Kapuziner und Salvandy tritt seinen Gefährten würdig an tue
Seite, gegen das -18. Jahrhundert in die Schranken. Bisher fehlte blos Thiers
im geistreichen Kreise. Es wird genug an ihm gearbeitet, aber er ist ein hart'
gesottener Sünder, dem nicht leicht beizukommen ist. Salvandy beweist uns dies
Mal, daß das 18. Jahrhundert mit seiner philosophischen Freigeisterei und sei»"
Verachtung der religiösen Schranken zu allen Verirrungen der Revolution bis a»!
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fühlen nicht, daß ihre Beredtsamkeit rein verschwendet ist, denn die grol
Menge versteht diese subtilen Spitzfindigkeiten nicht, sie versteht wol die me»!^
liebe Sittlichkeit, wie sie die moderne Aufklärung des neuen Christenthums an ¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/440>, abgerufen am 19.05.2024.