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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Das stehende Heer (Mnhazaf) mit der organisirten Landwehr (Nedif) wird daneben
auf 343,000 Mann geschätzt. Man mag allerdings nach europäischen Begriffen
die Baschi Bojut und Nedifs nicht als wichtige Truppen für den Kampf mit gro¬
ßen Kolonnen, für die eigentliche Feldschlacht betrachten. Ebensowenig darf man
jedoch vergessen, daß Terrain und Lebensverhältnisse der orientalischen Kriegs¬
schauplatze ein ganz anderes Gepräge tragen, als wir es sonst in Europa ge¬
wohnt sind, und daß voraussichtlich die Hauptwucht des Krieges, wenn irgend
möglich, von den Türken nach Asien gelegt werden wird. Obgleich im ersten
Anfange der walachische Kampf von Omer Pascha mit Offenstvbeweguugen begon¬
nen wurde, so wird doch im ganzen hier der Defensivcharakter voraussichtlich stets
vorwiegen, während am Gestade des schwarzen Meeres und auf der Landenge des
Kaukasus eine viel offensivere Taktik ins Leben treten kann. Dort aber sind die
irregulären Truppen und Redifs die eigentlichen Kombattanten, während die regu¬
läre Armee nur entscheidende letzte Schläge zu führen und den Besitz errungener
Vortheile zu sichern haben wird. Jene kämpfen dagegen für Haus und Hof nud
für ihre Freiheit, ihren Glauben, keimen überdies das Terrain und jede Charakter-
nuance der verschiedenen Stämme und Völkerschaften, über welche der Krieg sich
hinwälzt. Auch die Russen haben im Kaukasus nach beinahe hundertjährige!,
Versuchen zur Ueberwältigung der Bergvölker durch europäische Taktik unregel--
mäßige Kriegführung zur Hauptsache machen müssen. Sie stehen also den Tür¬
ken dort auch uicht ungeschult, wol aber gegenwärtig wieder überlegner gegen¬
über, als in der Walachei. Doch sie stehen auf einem Vulkan; denn auch was
sie überwunden oder zum Frieden gezwungen haben auf dem kaukasischen Isthmus
droht ihnen mit neuem Verderben, Lossagung und im Rücken aufflammender Feind¬
schaft, sowie sie ihre Massen theilen, ihre augenblickliche,Aufmerksamkeit von dieser oder
jener Landschaft ablenken oder gar an irgend einem Punkte in momentanen Nach¬
theil kommen.

Batna, die türkische Grenzstadt und Se. Nikolai, das russische Grenzfort,
liegen an der östlichen Ausbuchtung, des schwarzen Meeres, beide kaum 6 bis 7
Stunden voneinander entfernt. Der Nördsaum des schwarzen Meeres gipfelt
sich im Zuge des Kaukasus empor, welcher in südöstlicher Richtung in die
weitvorgeschobene Landzunge von Baku ausläuft, welche schnabelförmig in das
kaspische Meere ragt. Mitten aus Anatolien, dem südlichen Ufertaube des schwarzen
Meeres, erhebt sich als Parallelgebirg des Taurus und Nordrand der armenischen
Hochebene der Antitaurus oder Hassan dagh. Mit verschiedenen Sonderarmen
und mannigfachen Nebenzweigen streicht er ebenfalls gegen das kaspische Meer,
doch ohne es völlig zu erreichen. Indessen kommt er mit seinen nordöstlichen
Ausläufern dem Ostende des Kaukasus nahe. So entsteht zwischen diesem und
dem armenischen Nordgebirg eine große, westöstliche Einsenkung, der kaukasische
Isthmus, das alte Kolchis, seiner Länge nach gegen das schwarze Meer durch-


Das stehende Heer (Mnhazaf) mit der organisirten Landwehr (Nedif) wird daneben
auf 343,000 Mann geschätzt. Man mag allerdings nach europäischen Begriffen
die Baschi Bojut und Nedifs nicht als wichtige Truppen für den Kampf mit gro¬
ßen Kolonnen, für die eigentliche Feldschlacht betrachten. Ebensowenig darf man
jedoch vergessen, daß Terrain und Lebensverhältnisse der orientalischen Kriegs¬
schauplatze ein ganz anderes Gepräge tragen, als wir es sonst in Europa ge¬
wohnt sind, und daß voraussichtlich die Hauptwucht des Krieges, wenn irgend
möglich, von den Türken nach Asien gelegt werden wird. Obgleich im ersten
Anfange der walachische Kampf von Omer Pascha mit Offenstvbeweguugen begon¬
nen wurde, so wird doch im ganzen hier der Defensivcharakter voraussichtlich stets
vorwiegen, während am Gestade des schwarzen Meeres und auf der Landenge des
Kaukasus eine viel offensivere Taktik ins Leben treten kann. Dort aber sind die
irregulären Truppen und Redifs die eigentlichen Kombattanten, während die regu¬
läre Armee nur entscheidende letzte Schläge zu führen und den Besitz errungener
Vortheile zu sichern haben wird. Jene kämpfen dagegen für Haus und Hof nud
für ihre Freiheit, ihren Glauben, keimen überdies das Terrain und jede Charakter-
nuance der verschiedenen Stämme und Völkerschaften, über welche der Krieg sich
hinwälzt. Auch die Russen haben im Kaukasus nach beinahe hundertjährige!,
Versuchen zur Ueberwältigung der Bergvölker durch europäische Taktik unregel--
mäßige Kriegführung zur Hauptsache machen müssen. Sie stehen also den Tür¬
ken dort auch uicht ungeschult, wol aber gegenwärtig wieder überlegner gegen¬
über, als in der Walachei. Doch sie stehen auf einem Vulkan; denn auch was
sie überwunden oder zum Frieden gezwungen haben auf dem kaukasischen Isthmus
droht ihnen mit neuem Verderben, Lossagung und im Rücken aufflammender Feind¬
schaft, sowie sie ihre Massen theilen, ihre augenblickliche,Aufmerksamkeit von dieser oder
jener Landschaft ablenken oder gar an irgend einem Punkte in momentanen Nach¬
theil kommen.

Batna, die türkische Grenzstadt und Se. Nikolai, das russische Grenzfort,
liegen an der östlichen Ausbuchtung, des schwarzen Meeres, beide kaum 6 bis 7
Stunden voneinander entfernt. Der Nördsaum des schwarzen Meeres gipfelt
sich im Zuge des Kaukasus empor, welcher in südöstlicher Richtung in die
weitvorgeschobene Landzunge von Baku ausläuft, welche schnabelförmig in das
kaspische Meere ragt. Mitten aus Anatolien, dem südlichen Ufertaube des schwarzen
Meeres, erhebt sich als Parallelgebirg des Taurus und Nordrand der armenischen
Hochebene der Antitaurus oder Hassan dagh. Mit verschiedenen Sonderarmen
und mannigfachen Nebenzweigen streicht er ebenfalls gegen das kaspische Meer,
doch ohne es völlig zu erreichen. Indessen kommt er mit seinen nordöstlichen
Ausläufern dem Ostende des Kaukasus nahe. So entsteht zwischen diesem und
dem armenischen Nordgebirg eine große, westöstliche Einsenkung, der kaukasische
Isthmus, das alte Kolchis, seiner Länge nach gegen das schwarze Meer durch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/109>, abgerufen am 18.05.2024.