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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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strömt von Phasis, heut Rion oder Niouök genannt, während gegen das kaspische
Meer der Kur entsprechend abfließt. Verschiedentlich" Verbiudungörippen der
beiden großen Gebirgszüge durchsetzen diese Einsenkung quer, daher die Wasser¬
scheide. Nicht weit landeinwärts von Ostende des schwarzen Meeres streckt sich
eine derselben aus dem Antitaurus als Adschaigebirg (Agghi dagh) ziemlich genau
nordwärts und von Kaukasus kommt ihr ein entsprechender Bergzug etwas östlich
ausgebogen entgegen. Zwischen ihren ineinandergeschobenen Füßen bricht sich der
Rion mit der Tifliser Heerstraße die Bahn zum schwarzen Meere. Ein Amphi¬
theater ist also dessen östliches Uferland, welches drei verschiedene, jetzt im ruff.
Gouvernement Grusien (Georgien) vereinte Landschaften umfaßt. Gurieu, an das
Adschaigebirg gelehnt, Mingrelien, vom Kaukasus herabsenkend, besäumen das
Seeufer und sind durch den Rion geschieden, während Jmerethien sich keilförmig
vom Osten her zwischen beide schiebt, ohne das Meer zu erreichen. Dies ist
alles russischer Besitz, während im Frieden von Adrianopel und nach der Er¬
oberung Achalziks durch Paskiewitsch 'das erwähnte Adschaigebirg als russisch¬
türkische Grenze bestimmt ward. Landeinwärts konnte also über die Grenze kein
Zweifel sein. Dagegen sinken nur ganz zerfaserte Abfälle vom Adschaigebirg
westwärts zum Seestrande zwischen Batna und Se. Nikolai. Hier war blos
festgesetzt, daß Se. Nikolai zum russischen Besitz gehöre. Die'Türken rechneten
also die Uferstrecke von Batna bis dahin noch zum Paschalik Kars, mit welchem
die geringen Neste des ehemaligen Paschaliks Achalzik verschmölzen worden waren,
während die Nüssen dieselbe Strecke bis an die Mauern von Batna in Anspruch
nahmen. Zu ernsten Streitigkeiten darüber war in dem schlecht bebauten und
wenig bewohnten, von einer Menge kleiner Dünenflüsse zerrissenen Uferterrain keine
Veranlassung gewesen, so auch keine Regulirung vorgenommen worden.

Als nun der russisch-türkische Krieg eine unvermeidliche Gewißheit geworden
war, kam in die ziemlich vergessene russische Grenzveste Verstärkung und zugleich der
Befehl zur Errichtung eines Lagers in der Richtung von Batna. Die von
ihren Kundschaftern gut bedienten Türken kamen indessen den Russen zuvor, zer¬
störten die begonnenen Arbeiten und hinderten durch Plänkler deren Fortsetzung.
Solche Reibereien hatten schon längere Zeit gedauert. Genau an dem Tage
aber, wo der Donauübergang auf dem europäischen Kriegsschauplatze (bei Widdin-
Kalafat, 28. Oct.) begann, nahm auch hier der Krieg seinen Anfang. Jedenfalls
ein Zeichen, daß der Plan für die türkischen Operationen von einem Feld-
herrutalente entworfen war. Ein Gardebataillon mit einer größern Abtheilung
irregulärer Truppen ging am 27. Oct. Abends von Batna aus, erreichte am 28.
früh das Fort Se. Nikolai (auch Tschekvetil von dem Dorfe genannt, welches im
Bereiche seiner Kanonen liegt), überrumpelte es und setzte sich nach einem vier¬
stündigen mörderischen Handgemenge darin fest, trotzdem daß die russische Besatzung
(angeblich 1S00 M.) unterdessen Verstärkung erhalten hätte.


strömt von Phasis, heut Rion oder Niouök genannt, während gegen das kaspische
Meer der Kur entsprechend abfließt. Verschiedentlich« Verbiudungörippen der
beiden großen Gebirgszüge durchsetzen diese Einsenkung quer, daher die Wasser¬
scheide. Nicht weit landeinwärts von Ostende des schwarzen Meeres streckt sich
eine derselben aus dem Antitaurus als Adschaigebirg (Agghi dagh) ziemlich genau
nordwärts und von Kaukasus kommt ihr ein entsprechender Bergzug etwas östlich
ausgebogen entgegen. Zwischen ihren ineinandergeschobenen Füßen bricht sich der
Rion mit der Tifliser Heerstraße die Bahn zum schwarzen Meere. Ein Amphi¬
theater ist also dessen östliches Uferland, welches drei verschiedene, jetzt im ruff.
Gouvernement Grusien (Georgien) vereinte Landschaften umfaßt. Gurieu, an das
Adschaigebirg gelehnt, Mingrelien, vom Kaukasus herabsenkend, besäumen das
Seeufer und sind durch den Rion geschieden, während Jmerethien sich keilförmig
vom Osten her zwischen beide schiebt, ohne das Meer zu erreichen. Dies ist
alles russischer Besitz, während im Frieden von Adrianopel und nach der Er¬
oberung Achalziks durch Paskiewitsch 'das erwähnte Adschaigebirg als russisch¬
türkische Grenze bestimmt ward. Landeinwärts konnte also über die Grenze kein
Zweifel sein. Dagegen sinken nur ganz zerfaserte Abfälle vom Adschaigebirg
westwärts zum Seestrande zwischen Batna und Se. Nikolai. Hier war blos
festgesetzt, daß Se. Nikolai zum russischen Besitz gehöre. Die'Türken rechneten
also die Uferstrecke von Batna bis dahin noch zum Paschalik Kars, mit welchem
die geringen Neste des ehemaligen Paschaliks Achalzik verschmölzen worden waren,
während die Nüssen dieselbe Strecke bis an die Mauern von Batna in Anspruch
nahmen. Zu ernsten Streitigkeiten darüber war in dem schlecht bebauten und
wenig bewohnten, von einer Menge kleiner Dünenflüsse zerrissenen Uferterrain keine
Veranlassung gewesen, so auch keine Regulirung vorgenommen worden.

Als nun der russisch-türkische Krieg eine unvermeidliche Gewißheit geworden
war, kam in die ziemlich vergessene russische Grenzveste Verstärkung und zugleich der
Befehl zur Errichtung eines Lagers in der Richtung von Batna. Die von
ihren Kundschaftern gut bedienten Türken kamen indessen den Russen zuvor, zer¬
störten die begonnenen Arbeiten und hinderten durch Plänkler deren Fortsetzung.
Solche Reibereien hatten schon längere Zeit gedauert. Genau an dem Tage
aber, wo der Donauübergang auf dem europäischen Kriegsschauplatze (bei Widdin-
Kalafat, 28. Oct.) begann, nahm auch hier der Krieg seinen Anfang. Jedenfalls
ein Zeichen, daß der Plan für die türkischen Operationen von einem Feld-
herrutalente entworfen war. Ein Gardebataillon mit einer größern Abtheilung
irregulärer Truppen ging am 27. Oct. Abends von Batna aus, erreichte am 28.
früh das Fort Se. Nikolai (auch Tschekvetil von dem Dorfe genannt, welches im
Bereiche seiner Kanonen liegt), überrumpelte es und setzte sich nach einem vier¬
stündigen mörderischen Handgemenge darin fest, trotzdem daß die russische Besatzung
(angeblich 1S00 M.) unterdessen Verstärkung erhalten hätte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/110>, abgerufen am 18.06.2024.