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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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als ein kleines, kaum vierjähriges Ding von seiner Wärterin ans die Kanzel
gesetzt ward und mit lallender Zunge "ut altklugen Handbewegungen zu peroriren
anfing, da hieß es: o migsrworäia, povsrella, I Uebrigens aber fanden Ge¬
berden, Ausputz, Haltung und Declamatio" lauten Beifall, auf den Inhalt achtete
kein Mensch. N0U0 derw, eoms e carina noms 0 xr^/iosa, hörte ich einmal
über das andere, und als ein kleiner Balg in einer Art Balletcostüm am Schluß
niederkniete und mit aller Koketterie, deren Mädchen schon in diesem Alter fähig
sind, das Köpfchen ans eine Seite geneigt ihr Gebet an den caro damdettino
sprach, sagte eine Frau neben mir: 0 quanto <z bsUa! Ooms al tsatro l




Neue Romane.

ekÄteau Ä'iss^ par IZseiuiros. Brüssel und Leipzig. Kießling und
Comp. -- Wir haben es hier nicht mit einem Roman von gewöhnlichem Schlage
zu thun. Der Verfasser, der zu der jüngeren Schule der skeptischen Philosophen
gehört" jener seltsamen Verbindung ans Socialismus und Romantik, die häufig
zu interessanten Seitenwegen des Gedankens, wenn auch Nie zu einem verstän¬
digen Abschluß führt, hat die Einflüsse der katholischen Priestererziehnng auf das
Gemüth und die Phantasie sehr gründlich studirt und gibt uus von denselben
ein ebenso anschauliches als erschreckendes Bild. Man muß hier nickt etwa jene
Jesnitengeschickten in der Weise Eugen Sues erwarten, in denen eigentlich nur
die gewöhnlichen BösewicktSmasken auftreten, wenn auch.durch die Macht der
Association mit complicirteren Mitteln ausgestattet, sondern ein Eingehen auf die
innere Natur des Priesterthums. Er schildert uns die Priester nicht als gemeine
Intriganten, die zu irgend einem bestimmten weltlichen Zweck die Menschen cor-
rumpiren, sondern als unglückliche Fanatiker, die es durch strenge Methodik ihrer
geistlichen Uebungen endlich dahin gebracht haben, daß jede Quelle des natür¬
lichen Lebens in ihnen ausgetrocknet ist. Er entwickelt einen ganz überraschenden
Scharfsinn in der Entwirrung der Fäden, welche dieses Gespinnst eines natur¬
widriger Cultus bilden, und man sieht zuweilen, wie ihm das Vorbild Pascals
vorgeschwebt hat. Nicht ungestraft verletzt der Mensch die ersten Gebote der
Natur. Der Kampf gegen die Phantasie, gegen das angeborene Gefühl und
gegen den Verstand führt endlich zum Stumpfsinn, obgleich dieser eine gewisse
mechanische Verständigkeit nicht ausschließt. Sehr gut ist das Verhältniß dieses
realen Priesterthums zu dem imaginären dargestellt, zu jeuer angeblich idealen
Weisheit der neueren Zeit, die aus Reflexion zu dem alten Glaubenssystem zu¬
rückkehren möchte, jeuer phantastischen Weisheit Chatcaubriands und seiner roman¬
tischen Nachfolger. Der wahre Priester erkennt sehr gut in diesen belletristischen


als ein kleines, kaum vierjähriges Ding von seiner Wärterin ans die Kanzel
gesetzt ward und mit lallender Zunge »ut altklugen Handbewegungen zu peroriren
anfing, da hieß es: o migsrworäia, povsrella, I Uebrigens aber fanden Ge¬
berden, Ausputz, Haltung und Declamatio» lauten Beifall, auf den Inhalt achtete
kein Mensch. N0U0 derw, eoms e carina noms 0 xr^/iosa, hörte ich einmal
über das andere, und als ein kleiner Balg in einer Art Balletcostüm am Schluß
niederkniete und mit aller Koketterie, deren Mädchen schon in diesem Alter fähig
sind, das Köpfchen ans eine Seite geneigt ihr Gebet an den caro damdettino
sprach, sagte eine Frau neben mir: 0 quanto <z bsUa! Ooms al tsatro l




Neue Romane.

ekÄteau Ä'iss^ par IZseiuiros. Brüssel und Leipzig. Kießling und
Comp. — Wir haben es hier nicht mit einem Roman von gewöhnlichem Schlage
zu thun. Der Verfasser, der zu der jüngeren Schule der skeptischen Philosophen
gehört» jener seltsamen Verbindung ans Socialismus und Romantik, die häufig
zu interessanten Seitenwegen des Gedankens, wenn auch Nie zu einem verstän¬
digen Abschluß führt, hat die Einflüsse der katholischen Priestererziehnng auf das
Gemüth und die Phantasie sehr gründlich studirt und gibt uus von denselben
ein ebenso anschauliches als erschreckendes Bild. Man muß hier nickt etwa jene
Jesnitengeschickten in der Weise Eugen Sues erwarten, in denen eigentlich nur
die gewöhnlichen BösewicktSmasken auftreten, wenn auch.durch die Macht der
Association mit complicirteren Mitteln ausgestattet, sondern ein Eingehen auf die
innere Natur des Priesterthums. Er schildert uns die Priester nicht als gemeine
Intriganten, die zu irgend einem bestimmten weltlichen Zweck die Menschen cor-
rumpiren, sondern als unglückliche Fanatiker, die es durch strenge Methodik ihrer
geistlichen Uebungen endlich dahin gebracht haben, daß jede Quelle des natür¬
lichen Lebens in ihnen ausgetrocknet ist. Er entwickelt einen ganz überraschenden
Scharfsinn in der Entwirrung der Fäden, welche dieses Gespinnst eines natur¬
widriger Cultus bilden, und man sieht zuweilen, wie ihm das Vorbild Pascals
vorgeschwebt hat. Nicht ungestraft verletzt der Mensch die ersten Gebote der
Natur. Der Kampf gegen die Phantasie, gegen das angeborene Gefühl und
gegen den Verstand führt endlich zum Stumpfsinn, obgleich dieser eine gewisse
mechanische Verständigkeit nicht ausschließt. Sehr gut ist das Verhältniß dieses
realen Priesterthums zu dem imaginären dargestellt, zu jeuer angeblich idealen
Weisheit der neueren Zeit, die aus Reflexion zu dem alten Glaubenssystem zu¬
rückkehren möchte, jeuer phantastischen Weisheit Chatcaubriands und seiner roman¬
tischen Nachfolger. Der wahre Priester erkennt sehr gut in diesen belletristischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/236>, abgerufen am 16.06.2024.