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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Hilfstruppen den weltlichen Sinn heraus und wendet sich von ihnen, welche die
Andacht zu Gott gleichem durch die Vermittelung der Sinne wieder auffrischen
möchten, mit eben solchem Abscheu zurück, als von den offenen Feinden der Re¬
ligion. -- Und doch läßt sich die Phantasie nur wieder durch Mittel der Phan¬
tasie bekämpfen. Es ist vortrefflich, wenn auch mit sehr grellen und unerfreulichen
Farben auseinandergesetzt, wie die Stimme der Sinnlichkeit dnrch raffinirte, wenn
auch träumerische sinnliche Vorstellungen zum Schweigen gebracht wird, wie z. B.
der Mariencultus nur eine Ableitung der sinnlichen Empfindung auf ein trans¬
cendentales Gebiet ausdrückt. -- Dieses Moment hat der Verfasser benutzt, um
seine allgemeinen Betrachtungen über die Naturgeschichte des Klvsterlebens in
ein individuelles Ereigniß zusammenzudrängen. Das Seminar, in welchem der
junge Mann, der als Berichterstatter auftritt, erzogen wird, war früher ein Lust¬
schloß der Königin Margarethe von Navarra. Ein Porträt dieser schönen Für¬
stin als Venus gemalt befand sich ans einer der Wände; es ist zwar später mit
Kalk überkleidet worden, aber dieser hat sich abgelöst und die alten Farbe" treten,
wenn auch nur fragmentarisch, lebendig hervor. Der junge Mann gewöhnt sich
nnn daran, ans diese Figur verstohlene Blicke zu werfe", sie gleichsam sinnlich zu
begreifen. Einmal wird er von einem alten Priester dabei ertappt und dieser
macht ihn darauf aufmerksam, welch el" entsetzliches Verbrechen er zu begehen im
Begriff stehe. Um ihm dieses Gefühl lebhafter einzuschärfen, wird ihm die
Natur dieses Verbrechens so sinnlich als möglich entwickelt. Zwar wird der Kalk
wieder aufgefrischt, aber seine Phantasie ist rege geworden; er weiß sich allmälig
die Schriften über die Königin Margarethe zu verschaffen und wird zuletzt so da¬
von erfüllt, daß er in Hallucinationen verfällt, in welchen ihm die Königin Mar¬
garethe lebendig entgegentritt, sich mit ihm unterhält und drgl. Die Priester, an
die er sich wendet, erkläre" ihm die Sache als Anfechtungen des Teufels, wie sie
auch der heilige Antonius und andere habe" erleben müssen; er wird "ut seinen
Zuständen halb und halb ein Gegenstand des Interesses, aber anch zugleich des
geheimen Entsetzens. Die Geschichte endigt, wie man erwarte" konnte, im Irren¬
haus. Nun ist diese psychologische oder wen" man will physikalische Entwickelung
geistreich genug, und der Verfasser hat, was ihm zur Ehre gereicht, auf das
stengste alle romantischen Mittel, ans die Phantasie einzuwirken, vermieden. Aber
der ganze Einfall ist doch einerseits zu individuell, um in die Objectivität des
allgemeinen Gemäldes zu, passen, andererseits wieder nicht individuell genug, um
"is Roman zu interessire". Ueberha"pe ist dieser Theil des Buches der schwächste;
wan sieht, daß die novellistische Einkleidung Uur ein Nothbehelf war. Wie der
junge Mensch von -19 Jahren wider den Willen seiner Eltern, die sogar vor Knm-
wer darüber sterben, dazu kommt, ins Kloster zu treten, und warum die Wieder¬
erweckung seines Selbstbewußtseins ihn nicht dazu treibt, diese schmählichen Bande
"u brechen, was doch in unserer Zeit nicht mehr mit so großen Schwierigkeiten


Hilfstruppen den weltlichen Sinn heraus und wendet sich von ihnen, welche die
Andacht zu Gott gleichem durch die Vermittelung der Sinne wieder auffrischen
möchten, mit eben solchem Abscheu zurück, als von den offenen Feinden der Re¬
ligion. — Und doch läßt sich die Phantasie nur wieder durch Mittel der Phan¬
tasie bekämpfen. Es ist vortrefflich, wenn auch mit sehr grellen und unerfreulichen
Farben auseinandergesetzt, wie die Stimme der Sinnlichkeit dnrch raffinirte, wenn
auch träumerische sinnliche Vorstellungen zum Schweigen gebracht wird, wie z. B.
der Mariencultus nur eine Ableitung der sinnlichen Empfindung auf ein trans¬
cendentales Gebiet ausdrückt. — Dieses Moment hat der Verfasser benutzt, um
seine allgemeinen Betrachtungen über die Naturgeschichte des Klvsterlebens in
ein individuelles Ereigniß zusammenzudrängen. Das Seminar, in welchem der
junge Mann, der als Berichterstatter auftritt, erzogen wird, war früher ein Lust¬
schloß der Königin Margarethe von Navarra. Ein Porträt dieser schönen Für¬
stin als Venus gemalt befand sich ans einer der Wände; es ist zwar später mit
Kalk überkleidet worden, aber dieser hat sich abgelöst und die alten Farbe» treten,
wenn auch nur fragmentarisch, lebendig hervor. Der junge Mann gewöhnt sich
nnn daran, ans diese Figur verstohlene Blicke zu werfe», sie gleichsam sinnlich zu
begreifen. Einmal wird er von einem alten Priester dabei ertappt und dieser
macht ihn darauf aufmerksam, welch el» entsetzliches Verbrechen er zu begehen im
Begriff stehe. Um ihm dieses Gefühl lebhafter einzuschärfen, wird ihm die
Natur dieses Verbrechens so sinnlich als möglich entwickelt. Zwar wird der Kalk
wieder aufgefrischt, aber seine Phantasie ist rege geworden; er weiß sich allmälig
die Schriften über die Königin Margarethe zu verschaffen und wird zuletzt so da¬
von erfüllt, daß er in Hallucinationen verfällt, in welchen ihm die Königin Mar¬
garethe lebendig entgegentritt, sich mit ihm unterhält und drgl. Die Priester, an
die er sich wendet, erkläre» ihm die Sache als Anfechtungen des Teufels, wie sie
auch der heilige Antonius und andere habe» erleben müssen; er wird »ut seinen
Zuständen halb und halb ein Gegenstand des Interesses, aber anch zugleich des
geheimen Entsetzens. Die Geschichte endigt, wie man erwarte» konnte, im Irren¬
haus. Nun ist diese psychologische oder wen» man will physikalische Entwickelung
geistreich genug, und der Verfasser hat, was ihm zur Ehre gereicht, auf das
stengste alle romantischen Mittel, ans die Phantasie einzuwirken, vermieden. Aber
der ganze Einfall ist doch einerseits zu individuell, um in die Objectivität des
allgemeinen Gemäldes zu, passen, andererseits wieder nicht individuell genug, um
"is Roman zu interessire». Ueberha»pe ist dieser Theil des Buches der schwächste;
wan sieht, daß die novellistische Einkleidung Uur ein Nothbehelf war. Wie der
junge Mensch von -19 Jahren wider den Willen seiner Eltern, die sogar vor Knm-
wer darüber sterben, dazu kommt, ins Kloster zu treten, und warum die Wieder¬
erweckung seines Selbstbewußtseins ihn nicht dazu treibt, diese schmählichen Bande
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[0237] Hilfstruppen den weltlichen Sinn heraus und wendet sich von ihnen, welche die Andacht zu Gott gleichem durch die Vermittelung der Sinne wieder auffrischen möchten, mit eben solchem Abscheu zurück, als von den offenen Feinden der Re¬ ligion. — Und doch läßt sich die Phantasie nur wieder durch Mittel der Phan¬ tasie bekämpfen. Es ist vortrefflich, wenn auch mit sehr grellen und unerfreulichen Farben auseinandergesetzt, wie die Stimme der Sinnlichkeit dnrch raffinirte, wenn auch träumerische sinnliche Vorstellungen zum Schweigen gebracht wird, wie z. B. der Mariencultus nur eine Ableitung der sinnlichen Empfindung auf ein trans¬ cendentales Gebiet ausdrückt. — Dieses Moment hat der Verfasser benutzt, um seine allgemeinen Betrachtungen über die Naturgeschichte des Klvsterlebens in ein individuelles Ereigniß zusammenzudrängen. Das Seminar, in welchem der junge Mann, der als Berichterstatter auftritt, erzogen wird, war früher ein Lust¬ schloß der Königin Margarethe von Navarra. Ein Porträt dieser schönen Für¬ stin als Venus gemalt befand sich ans einer der Wände; es ist zwar später mit Kalk überkleidet worden, aber dieser hat sich abgelöst und die alten Farbe» treten, wenn auch nur fragmentarisch, lebendig hervor. Der junge Mann gewöhnt sich nnn daran, ans diese Figur verstohlene Blicke zu werfe», sie gleichsam sinnlich zu begreifen. Einmal wird er von einem alten Priester dabei ertappt und dieser macht ihn darauf aufmerksam, welch el» entsetzliches Verbrechen er zu begehen im Begriff stehe. Um ihm dieses Gefühl lebhafter einzuschärfen, wird ihm die Natur dieses Verbrechens so sinnlich als möglich entwickelt. Zwar wird der Kalk wieder aufgefrischt, aber seine Phantasie ist rege geworden; er weiß sich allmälig die Schriften über die Königin Margarethe zu verschaffen und wird zuletzt so da¬ von erfüllt, daß er in Hallucinationen verfällt, in welchen ihm die Königin Mar¬ garethe lebendig entgegentritt, sich mit ihm unterhält und drgl. Die Priester, an die er sich wendet, erkläre» ihm die Sache als Anfechtungen des Teufels, wie sie auch der heilige Antonius und andere habe» erleben müssen; er wird »ut seinen Zuständen halb und halb ein Gegenstand des Interesses, aber anch zugleich des geheimen Entsetzens. Die Geschichte endigt, wie man erwarte» konnte, im Irren¬ haus. Nun ist diese psychologische oder wen» man will physikalische Entwickelung geistreich genug, und der Verfasser hat, was ihm zur Ehre gereicht, auf das stengste alle romantischen Mittel, ans die Phantasie einzuwirken, vermieden. Aber der ganze Einfall ist doch einerseits zu individuell, um in die Objectivität des allgemeinen Gemäldes zu, passen, andererseits wieder nicht individuell genug, um "is Roman zu interessire». Ueberha»pe ist dieser Theil des Buches der schwächste; wan sieht, daß die novellistische Einkleidung Uur ein Nothbehelf war. Wie der junge Mensch von -19 Jahren wider den Willen seiner Eltern, die sogar vor Knm- wer darüber sterben, dazu kommt, ins Kloster zu treten, und warum die Wieder¬ erweckung seines Selbstbewußtseins ihn nicht dazu treibt, diese schmählichen Bande »u brechen, was doch in unserer Zeit nicht mehr mit so großen Schwierigkeiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/237>, abgerufen am 24.05.2024.