Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schriften der H§. 1--6 die erforderliche Auskunft geben," -- Ausdrücke, die nicht
ein schriftliches Gesuch, sondern eine persönliche Präsentation verlangen; es wird
daraus aufmerksam gemacht, daß wirklich an den allermeisten Orten eine solche
persönliche Meldung genügt, um die Niederlassung herbeizuführen. Herr Echte¬
rer kann weder diese Deutung des Gesetzes, Noch die angeführte Thatsache be-
streiten und spricht in dieser Bedrängnis; den eigentlichen Kern der Sache aus,
-- daß nämlich wenigstens in Berlin eine andere Praxis herrsche. Wenn in
Berlin eine von dem Gesetze abweichende Praxis herrscht, infolge deren be¬
gründete Ansprüche in Bezug auf ein so wichtiges Recht wie die Freizügigkeit
abgewiesen werden, so ist dies allein ein hinlänglicher Grund zur Beschwerde.
Auch mit seinen Hinweisungen auf ältere Gesetze hatte Herr Scheerer entschieden
Unglück. Mit den Gesetzen in der Hand wies der Abgeordnete v. Vincke nach,
daß der Petent allen gesetzlichen Anforderungen genüge, und er forderte Herrn
Scheerer vergeblich auf, anzugeben, welche Bedingung Hrabowski nicht erfüllte.
Mit dem männliche" Unmuthe, der in solchen Ereignissen und der Art ihrer Recht¬
fertigung vollkommen begründet ist, resumirte der Abgeordnete MatthiS die Sachlage
dahin, daß wenn Herrn Scheerers Deduction richtig wäre, die Polizei jeden Preußen
zwingen könne, an dem Orte kleben zu bleiben, an dem er geboren sei, und daß
dann hier Zustände herrschten, ärger wie die russischen. Durch Majoritätsbe¬
schluß wurde die Petition dem Ministerium überwiesen und es Muß nun nochmals
entschieden werden, ob die Wohlthat des Gesetzes vom 3-1. December 1842
ein Gemeingut für alle Preußen ist, oder ob es einer besondern, der Polizei
wohlgefälligen politischen und religiösen Gesinnung bedarf, wenn man nicht in
die Klasse der xlebae aäsoriM gedrängt werden will.

-- Der Gesetzentwurf wegen Bestrafung des Gesindes nimmt durch seine
exorbitanten Bestimmungen selbst unter den Arbeiten des Herrn v. Westphalen
eine höchst ausgezeichnete Stelle ein und zeigt am besten, wieweit der gedachte
Staatsmann in der Begünstigung der Rittergutsbesitzer gehen zu dürfen glaubt.
Nach §. 1 dieses Entwurfs hat Gesinde, welches hartnäckigen Ungehorsam oder
Widerspenstigkeit gegen die Befehle, der Herrschaft oder der zu seiner Aufsicht
bestellte" Personen sich zu schulden kommen läßt oder ohne gesetzmäßige Ursache
den Dienst versagt oder verläßt, auf den Antrag seiner Herrschaft, unbeschadet
deren Rechts zu seiner EntlassNng oder Beibehaltung, Geldstrafe bis zu S Thlr.
oder Gefängniß bis zu 3 Tagen verwirkt. Ein solcher Strafantrag muß an die
Polizei gerichtet werden. Da nnn nach den Vorlagen desselben Ministeriums
die gutsherrliche Polizeigewalt wiederhergestellt werden soll, so würde sich hier
die abenteuerliche Abnormität herausstelle", daß Rittergutsbesitzer in Bezug auf
ihr Gesinde in einer Person Dcimnifikanten, Kläger und Richter wären. Wohin
die Strafgelder fließen sollen, ist in dem ganzen Entwürfe nicht gesagt. Dagegen
wird die Bestimmung des Z. 1 auch auf solche Personen ausgedehnt, die ein


schriften der H§. 1—6 die erforderliche Auskunft geben," — Ausdrücke, die nicht
ein schriftliches Gesuch, sondern eine persönliche Präsentation verlangen; es wird
daraus aufmerksam gemacht, daß wirklich an den allermeisten Orten eine solche
persönliche Meldung genügt, um die Niederlassung herbeizuführen. Herr Echte¬
rer kann weder diese Deutung des Gesetzes, Noch die angeführte Thatsache be-
streiten und spricht in dieser Bedrängnis; den eigentlichen Kern der Sache aus,
— daß nämlich wenigstens in Berlin eine andere Praxis herrsche. Wenn in
Berlin eine von dem Gesetze abweichende Praxis herrscht, infolge deren be¬
gründete Ansprüche in Bezug auf ein so wichtiges Recht wie die Freizügigkeit
abgewiesen werden, so ist dies allein ein hinlänglicher Grund zur Beschwerde.
Auch mit seinen Hinweisungen auf ältere Gesetze hatte Herr Scheerer entschieden
Unglück. Mit den Gesetzen in der Hand wies der Abgeordnete v. Vincke nach,
daß der Petent allen gesetzlichen Anforderungen genüge, und er forderte Herrn
Scheerer vergeblich auf, anzugeben, welche Bedingung Hrabowski nicht erfüllte.
Mit dem männliche» Unmuthe, der in solchen Ereignissen und der Art ihrer Recht¬
fertigung vollkommen begründet ist, resumirte der Abgeordnete MatthiS die Sachlage
dahin, daß wenn Herrn Scheerers Deduction richtig wäre, die Polizei jeden Preußen
zwingen könne, an dem Orte kleben zu bleiben, an dem er geboren sei, und daß
dann hier Zustände herrschten, ärger wie die russischen. Durch Majoritätsbe¬
schluß wurde die Petition dem Ministerium überwiesen und es Muß nun nochmals
entschieden werden, ob die Wohlthat des Gesetzes vom 3-1. December 1842
ein Gemeingut für alle Preußen ist, oder ob es einer besondern, der Polizei
wohlgefälligen politischen und religiösen Gesinnung bedarf, wenn man nicht in
die Klasse der xlebae aäsoriM gedrängt werden will.

— Der Gesetzentwurf wegen Bestrafung des Gesindes nimmt durch seine
exorbitanten Bestimmungen selbst unter den Arbeiten des Herrn v. Westphalen
eine höchst ausgezeichnete Stelle ein und zeigt am besten, wieweit der gedachte
Staatsmann in der Begünstigung der Rittergutsbesitzer gehen zu dürfen glaubt.
Nach §. 1 dieses Entwurfs hat Gesinde, welches hartnäckigen Ungehorsam oder
Widerspenstigkeit gegen die Befehle, der Herrschaft oder der zu seiner Aufsicht
bestellte» Personen sich zu schulden kommen läßt oder ohne gesetzmäßige Ursache
den Dienst versagt oder verläßt, auf den Antrag seiner Herrschaft, unbeschadet
deren Rechts zu seiner EntlassNng oder Beibehaltung, Geldstrafe bis zu S Thlr.
oder Gefängniß bis zu 3 Tagen verwirkt. Ein solcher Strafantrag muß an die
Polizei gerichtet werden. Da nnn nach den Vorlagen desselben Ministeriums
die gutsherrliche Polizeigewalt wiederhergestellt werden soll, so würde sich hier
die abenteuerliche Abnormität herausstelle», daß Rittergutsbesitzer in Bezug auf
ihr Gesinde in einer Person Dcimnifikanten, Kläger und Richter wären. Wohin
die Strafgelder fließen sollen, ist in dem ganzen Entwürfe nicht gesagt. Dagegen
wird die Bestimmung des Z. 1 auch auf solche Personen ausgedehnt, die ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97598"/>
            <p xml:id="ID_918" prev="#ID_917"> schriften der H§. 1&#x2014;6 die erforderliche Auskunft geben," &#x2014; Ausdrücke, die nicht<lb/>
ein schriftliches Gesuch, sondern eine persönliche Präsentation verlangen; es wird<lb/>
daraus aufmerksam gemacht, daß wirklich an den allermeisten Orten eine solche<lb/>
persönliche Meldung genügt, um die Niederlassung herbeizuführen. Herr Echte¬<lb/>
rer kann weder diese Deutung des Gesetzes, Noch die angeführte Thatsache be-<lb/>
streiten und spricht in dieser Bedrängnis; den eigentlichen Kern der Sache aus,<lb/>
&#x2014; daß nämlich wenigstens in Berlin eine andere Praxis herrsche. Wenn in<lb/>
Berlin eine von dem Gesetze abweichende Praxis herrscht, infolge deren be¬<lb/>
gründete Ansprüche in Bezug auf ein so wichtiges Recht wie die Freizügigkeit<lb/>
abgewiesen werden, so ist dies allein ein hinlänglicher Grund zur Beschwerde.<lb/>
Auch mit seinen Hinweisungen auf ältere Gesetze hatte Herr Scheerer entschieden<lb/>
Unglück. Mit den Gesetzen in der Hand wies der Abgeordnete v. Vincke nach,<lb/>
daß der Petent allen gesetzlichen Anforderungen genüge, und er forderte Herrn<lb/>
Scheerer vergeblich auf, anzugeben, welche Bedingung Hrabowski nicht erfüllte.<lb/>
Mit dem männliche» Unmuthe, der in solchen Ereignissen und der Art ihrer Recht¬<lb/>
fertigung vollkommen begründet ist, resumirte der Abgeordnete MatthiS die Sachlage<lb/>
dahin, daß wenn Herrn Scheerers Deduction richtig wäre, die Polizei jeden Preußen<lb/>
zwingen könne, an dem Orte kleben zu bleiben, an dem er geboren sei, und daß<lb/>
dann hier Zustände herrschten, ärger wie die russischen. Durch Majoritätsbe¬<lb/>
schluß wurde die Petition dem Ministerium überwiesen und es Muß nun nochmals<lb/>
entschieden werden, ob die Wohlthat des Gesetzes vom 3-1. December 1842<lb/>
ein Gemeingut für alle Preußen ist, oder ob es einer besondern, der Polizei<lb/>
wohlgefälligen politischen und religiösen Gesinnung bedarf, wenn man nicht in<lb/>
die Klasse der xlebae aäsoriM gedrängt werden will.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_919" next="#ID_920"> &#x2014; Der Gesetzentwurf wegen Bestrafung des Gesindes nimmt durch seine<lb/>
exorbitanten Bestimmungen selbst unter den Arbeiten des Herrn v. Westphalen<lb/>
eine höchst ausgezeichnete Stelle ein und zeigt am besten, wieweit der gedachte<lb/>
Staatsmann in der Begünstigung der Rittergutsbesitzer gehen zu dürfen glaubt.<lb/>
Nach §. 1 dieses Entwurfs hat Gesinde, welches hartnäckigen Ungehorsam oder<lb/>
Widerspenstigkeit gegen die Befehle, der Herrschaft oder der zu seiner Aufsicht<lb/>
bestellte» Personen sich zu schulden kommen läßt oder ohne gesetzmäßige Ursache<lb/>
den Dienst versagt oder verläßt, auf den Antrag seiner Herrschaft, unbeschadet<lb/>
deren Rechts zu seiner EntlassNng oder Beibehaltung, Geldstrafe bis zu S Thlr.<lb/>
oder Gefängniß bis zu 3 Tagen verwirkt. Ein solcher Strafantrag muß an die<lb/>
Polizei gerichtet werden. Da nnn nach den Vorlagen desselben Ministeriums<lb/>
die gutsherrliche Polizeigewalt wiederhergestellt werden soll, so würde sich hier<lb/>
die abenteuerliche Abnormität herausstelle», daß Rittergutsbesitzer in Bezug auf<lb/>
ihr Gesinde in einer Person Dcimnifikanten, Kläger und Richter wären. Wohin<lb/>
die Strafgelder fließen sollen, ist in dem ganzen Entwürfe nicht gesagt. Dagegen<lb/>
wird die Bestimmung des Z. 1 auch auf solche Personen ausgedehnt, die ein</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] schriften der H§. 1—6 die erforderliche Auskunft geben," — Ausdrücke, die nicht ein schriftliches Gesuch, sondern eine persönliche Präsentation verlangen; es wird daraus aufmerksam gemacht, daß wirklich an den allermeisten Orten eine solche persönliche Meldung genügt, um die Niederlassung herbeizuführen. Herr Echte¬ rer kann weder diese Deutung des Gesetzes, Noch die angeführte Thatsache be- streiten und spricht in dieser Bedrängnis; den eigentlichen Kern der Sache aus, — daß nämlich wenigstens in Berlin eine andere Praxis herrsche. Wenn in Berlin eine von dem Gesetze abweichende Praxis herrscht, infolge deren be¬ gründete Ansprüche in Bezug auf ein so wichtiges Recht wie die Freizügigkeit abgewiesen werden, so ist dies allein ein hinlänglicher Grund zur Beschwerde. Auch mit seinen Hinweisungen auf ältere Gesetze hatte Herr Scheerer entschieden Unglück. Mit den Gesetzen in der Hand wies der Abgeordnete v. Vincke nach, daß der Petent allen gesetzlichen Anforderungen genüge, und er forderte Herrn Scheerer vergeblich auf, anzugeben, welche Bedingung Hrabowski nicht erfüllte. Mit dem männliche» Unmuthe, der in solchen Ereignissen und der Art ihrer Recht¬ fertigung vollkommen begründet ist, resumirte der Abgeordnete MatthiS die Sachlage dahin, daß wenn Herrn Scheerers Deduction richtig wäre, die Polizei jeden Preußen zwingen könne, an dem Orte kleben zu bleiben, an dem er geboren sei, und daß dann hier Zustände herrschten, ärger wie die russischen. Durch Majoritätsbe¬ schluß wurde die Petition dem Ministerium überwiesen und es Muß nun nochmals entschieden werden, ob die Wohlthat des Gesetzes vom 3-1. December 1842 ein Gemeingut für alle Preußen ist, oder ob es einer besondern, der Polizei wohlgefälligen politischen und religiösen Gesinnung bedarf, wenn man nicht in die Klasse der xlebae aäsoriM gedrängt werden will. — Der Gesetzentwurf wegen Bestrafung des Gesindes nimmt durch seine exorbitanten Bestimmungen selbst unter den Arbeiten des Herrn v. Westphalen eine höchst ausgezeichnete Stelle ein und zeigt am besten, wieweit der gedachte Staatsmann in der Begünstigung der Rittergutsbesitzer gehen zu dürfen glaubt. Nach §. 1 dieses Entwurfs hat Gesinde, welches hartnäckigen Ungehorsam oder Widerspenstigkeit gegen die Befehle, der Herrschaft oder der zu seiner Aufsicht bestellte» Personen sich zu schulden kommen läßt oder ohne gesetzmäßige Ursache den Dienst versagt oder verläßt, auf den Antrag seiner Herrschaft, unbeschadet deren Rechts zu seiner EntlassNng oder Beibehaltung, Geldstrafe bis zu S Thlr. oder Gefängniß bis zu 3 Tagen verwirkt. Ein solcher Strafantrag muß an die Polizei gerichtet werden. Da nnn nach den Vorlagen desselben Ministeriums die gutsherrliche Polizeigewalt wiederhergestellt werden soll, so würde sich hier die abenteuerliche Abnormität herausstelle», daß Rittergutsbesitzer in Bezug auf ihr Gesinde in einer Person Dcimnifikanten, Kläger und Richter wären. Wohin die Strafgelder fließen sollen, ist in dem ganzen Entwürfe nicht gesagt. Dagegen wird die Bestimmung des Z. 1 auch auf solche Personen ausgedehnt, die ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/352>, abgerufen am 17.06.2024.