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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Bürgerrecht zu berichten. Von der alten Reichsstandschaft ist kaum eine Reminis¬
cenz geblieben, und man fühlt, daß, eine Stadt, die sich weder mit Frankfurt noch
mit Leipzig messen kann, statt einer scheinbaren Selbstständigkeit viel besser einem
größeren Staatsorganismus angehört. Allerdings hat die bairische streng büreau-
kratische Centralisation für eine Commune wie Augsburg etwas Peinliches, wenn
nicht blos die Zahl der Magistratsräthe, souderu selbst das Lederzeug der Stadt-
svldateu von München aus bestimmt wird; allein die Stadt verdankt Baiern un¬
leugbar seine vier Eisenbahnen, und die ZvllvereiuSsrage z. B., welche fast ohne
Concurrenz von München in Berlin und Wien ihre jüngste Entscheidung fand,
sollte doch nicht auch noch von E. E. Rath Augsbnrgö verhandelt werden?! Die
speciellen Interessen dieser Stadt finden beim bairischen Ministerium jede billige
Berücksichtigung; seine angesehensten Fabrikanten werden stets als Sachverständige
gehört; nur wenn es sich um Verfassuugsaugelegeuheiten handelt, werden die
fränkischen Provinzen durch die altbairischen und die Städte durch das Land --
zur Genügsamkeit ermahnt. In Wahrheit haben auch^ die sogenannt liberalen
Ideen am Zusammenfluß von Wertach und Lech nur sehr wenige Anhänger, die
in Betracht kommen könnten und wir finden es deshalb ganz angemessen, daß die
Stadt den königl. Advocaten Adolf Paur fast als ihren ständigen , Landtags-
deputirteu betrachtet, indem er sich vortrefflich in die Zeiten zu schicken weiß, sehr
deutsch erschien, als Baiern Sympathien für Deutschland äußerte und sich ganz
blau-weiß einrichtete, als sich Baiern auf seine besondern Interessen zurückzog.
Gegenwärtig wirft l.)r> Paur seinen liberalen Wähler" zwar noch immer von Zeit
zu Zeit einen liberalen Brocken zu, aber alle speciellen Fragen behandelt er im
Grnnde aus advvcatorischem Standpunkte, dem es nicht,so sehr darauf ankommt,
das wahrhaft Zweckmäßige zu finden, als vielmehr in der GesctzeSiuterpretatiou
als Jurist Kenntnisse und Scharfsinn zu beweisen.

Ein großes Haus kann Augsburg uicht machen, aber es führt seinen an¬
ständigen bürgerlichen Haushalt. Wenn deshalb einige dortige Gesellschaftskreise
die Stadt täglich für langweiliger als Dinkelsbühl und Straubing erklären, so
ist dies das Urtheil von Rouis, welche durch den sechswöchentlichen Aufenthalt
in Wie" und Paris verwöhnt sind. Ihnen liegt München zu nahe bei Augs-
burg, um uicht seine Annehmlichkeiten stets vor Angen zu haben und doch bleibt
die Fahrt dahin noch zu theuer, als daß sie in jeder müßigen Stunde zu unter¬
nehmen wäre. Nach der Meinung jener Kreise müßte man in Augsburg ent¬
weder Geldsack oder Zinngießer sein, unausgesetzt arbeiten oder schlafen, um es
auf dem "großen Dorfe" auszuhalten. ' Hat man dagegen Sinn für die deutsche
Städtegeschichte und historische Denkmäler, so gehört die alte Augusta Vindelicorum
zu den interessantesten Orten des gesammten Vaterlandes. Dann stoßt man sich
nicht mehr an den Gcldstolz einiger Herren der Maximiliansstraße und den schon
zweimal umgebauten und anch wol noch zum dritten Mal umzuwerfenden Bahn-


Bürgerrecht zu berichten. Von der alten Reichsstandschaft ist kaum eine Reminis¬
cenz geblieben, und man fühlt, daß, eine Stadt, die sich weder mit Frankfurt noch
mit Leipzig messen kann, statt einer scheinbaren Selbstständigkeit viel besser einem
größeren Staatsorganismus angehört. Allerdings hat die bairische streng büreau-
kratische Centralisation für eine Commune wie Augsburg etwas Peinliches, wenn
nicht blos die Zahl der Magistratsräthe, souderu selbst das Lederzeug der Stadt-
svldateu von München aus bestimmt wird; allein die Stadt verdankt Baiern un¬
leugbar seine vier Eisenbahnen, und die ZvllvereiuSsrage z. B., welche fast ohne
Concurrenz von München in Berlin und Wien ihre jüngste Entscheidung fand,
sollte doch nicht auch noch von E. E. Rath Augsbnrgö verhandelt werden?! Die
speciellen Interessen dieser Stadt finden beim bairischen Ministerium jede billige
Berücksichtigung; seine angesehensten Fabrikanten werden stets als Sachverständige
gehört; nur wenn es sich um Verfassuugsaugelegeuheiten handelt, werden die
fränkischen Provinzen durch die altbairischen und die Städte durch das Land —
zur Genügsamkeit ermahnt. In Wahrheit haben auch^ die sogenannt liberalen
Ideen am Zusammenfluß von Wertach und Lech nur sehr wenige Anhänger, die
in Betracht kommen könnten und wir finden es deshalb ganz angemessen, daß die
Stadt den königl. Advocaten Adolf Paur fast als ihren ständigen , Landtags-
deputirteu betrachtet, indem er sich vortrefflich in die Zeiten zu schicken weiß, sehr
deutsch erschien, als Baiern Sympathien für Deutschland äußerte und sich ganz
blau-weiß einrichtete, als sich Baiern auf seine besondern Interessen zurückzog.
Gegenwärtig wirft l.)r> Paur seinen liberalen Wähler» zwar noch immer von Zeit
zu Zeit einen liberalen Brocken zu, aber alle speciellen Fragen behandelt er im
Grnnde aus advvcatorischem Standpunkte, dem es nicht,so sehr darauf ankommt,
das wahrhaft Zweckmäßige zu finden, als vielmehr in der GesctzeSiuterpretatiou
als Jurist Kenntnisse und Scharfsinn zu beweisen.

Ein großes Haus kann Augsburg uicht machen, aber es führt seinen an¬
ständigen bürgerlichen Haushalt. Wenn deshalb einige dortige Gesellschaftskreise
die Stadt täglich für langweiliger als Dinkelsbühl und Straubing erklären, so
ist dies das Urtheil von Rouis, welche durch den sechswöchentlichen Aufenthalt
in Wie» und Paris verwöhnt sind. Ihnen liegt München zu nahe bei Augs-
burg, um uicht seine Annehmlichkeiten stets vor Angen zu haben und doch bleibt
die Fahrt dahin noch zu theuer, als daß sie in jeder müßigen Stunde zu unter¬
nehmen wäre. Nach der Meinung jener Kreise müßte man in Augsburg ent¬
weder Geldsack oder Zinngießer sein, unausgesetzt arbeiten oder schlafen, um es
auf dem „großen Dorfe" auszuhalten. ' Hat man dagegen Sinn für die deutsche
Städtegeschichte und historische Denkmäler, so gehört die alte Augusta Vindelicorum
zu den interessantesten Orten des gesammten Vaterlandes. Dann stoßt man sich
nicht mehr an den Gcldstolz einiger Herren der Maximiliansstraße und den schon
zweimal umgebauten und anch wol noch zum dritten Mal umzuwerfenden Bahn-


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[0496] Bürgerrecht zu berichten. Von der alten Reichsstandschaft ist kaum eine Reminis¬ cenz geblieben, und man fühlt, daß, eine Stadt, die sich weder mit Frankfurt noch mit Leipzig messen kann, statt einer scheinbaren Selbstständigkeit viel besser einem größeren Staatsorganismus angehört. Allerdings hat die bairische streng büreau- kratische Centralisation für eine Commune wie Augsburg etwas Peinliches, wenn nicht blos die Zahl der Magistratsräthe, souderu selbst das Lederzeug der Stadt- svldateu von München aus bestimmt wird; allein die Stadt verdankt Baiern un¬ leugbar seine vier Eisenbahnen, und die ZvllvereiuSsrage z. B., welche fast ohne Concurrenz von München in Berlin und Wien ihre jüngste Entscheidung fand, sollte doch nicht auch noch von E. E. Rath Augsbnrgö verhandelt werden?! Die speciellen Interessen dieser Stadt finden beim bairischen Ministerium jede billige Berücksichtigung; seine angesehensten Fabrikanten werden stets als Sachverständige gehört; nur wenn es sich um Verfassuugsaugelegeuheiten handelt, werden die fränkischen Provinzen durch die altbairischen und die Städte durch das Land — zur Genügsamkeit ermahnt. In Wahrheit haben auch^ die sogenannt liberalen Ideen am Zusammenfluß von Wertach und Lech nur sehr wenige Anhänger, die in Betracht kommen könnten und wir finden es deshalb ganz angemessen, daß die Stadt den königl. Advocaten Adolf Paur fast als ihren ständigen , Landtags- deputirteu betrachtet, indem er sich vortrefflich in die Zeiten zu schicken weiß, sehr deutsch erschien, als Baiern Sympathien für Deutschland äußerte und sich ganz blau-weiß einrichtete, als sich Baiern auf seine besondern Interessen zurückzog. Gegenwärtig wirft l.)r> Paur seinen liberalen Wähler» zwar noch immer von Zeit zu Zeit einen liberalen Brocken zu, aber alle speciellen Fragen behandelt er im Grnnde aus advvcatorischem Standpunkte, dem es nicht,so sehr darauf ankommt, das wahrhaft Zweckmäßige zu finden, als vielmehr in der GesctzeSiuterpretatiou als Jurist Kenntnisse und Scharfsinn zu beweisen. Ein großes Haus kann Augsburg uicht machen, aber es führt seinen an¬ ständigen bürgerlichen Haushalt. Wenn deshalb einige dortige Gesellschaftskreise die Stadt täglich für langweiliger als Dinkelsbühl und Straubing erklären, so ist dies das Urtheil von Rouis, welche durch den sechswöchentlichen Aufenthalt in Wie» und Paris verwöhnt sind. Ihnen liegt München zu nahe bei Augs- burg, um uicht seine Annehmlichkeiten stets vor Angen zu haben und doch bleibt die Fahrt dahin noch zu theuer, als daß sie in jeder müßigen Stunde zu unter¬ nehmen wäre. Nach der Meinung jener Kreise müßte man in Augsburg ent¬ weder Geldsack oder Zinngießer sein, unausgesetzt arbeiten oder schlafen, um es auf dem „großen Dorfe" auszuhalten. ' Hat man dagegen Sinn für die deutsche Städtegeschichte und historische Denkmäler, so gehört die alte Augusta Vindelicorum zu den interessantesten Orten des gesammten Vaterlandes. Dann stoßt man sich nicht mehr an den Gcldstolz einiger Herren der Maximiliansstraße und den schon zweimal umgebauten und anch wol noch zum dritten Mal umzuwerfenden Bahn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/496>, abgerufen am 23.05.2024.