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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Hof, sondern saßt die großartigen Monumente einer inhaltreichen Vergangenheit
ins Auge. Dann entfaltet sich der mittelalterliche Unternehmungsgeist und Reich-
thum, die Freiheit der Stadt, ihr Kunstsinn, die hohe Cultur, welche sie ein¬
nahm. Wir sehen Reichstage und Kaiserpracht, Bürgerstvlz und Gemeinsinn;
wir stehen ans dem Boden der Fugger, Pcutiuger und Schertliu, der Holl und
Holbein.

Schon die Stadtmauer, die Walle und Basteien, Gräben und Thore bilden
einen historischen Leitfaden. Wir finden ,noch Zinnen und Thürme ans dem
vierzehnten Jahrhundert, wir unterscheiden die schon mehr auf grobes Geschütz
gefaßte Bauart des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts und die Thore,
Schießscharten, Zwinger und Wälle, welche die Hessen im Dienste des Stadtraths
kurz vor und während des dreißigjährigen Kriegs bauten. Die Befestigmigen
des Lug-ins-Land stiegen während des spanischen Erbfolgekriegö empor, indem
ein abgeschnittenes Corps Franzosen sich hier zu halten suchte; und die Schanzen,
welche Napoleon zum Schutze seines Hauptlazarethö in Süddeutschland aufwerfen
ließ, siud auch eines Spaziergangs werth. -- Am Alten.Einlaß wird dem Fremden
vom fröhlichen Aufenthalte des Kaisers Maximilian erzählt, indem hier eine kleine
Zugbrücke den "Bürgermeister von Augsburg" noch nach Thorschluß, welchen
selbst die Majestät respecttreu mußte, in die Stadt einließ, wenn er sich auf der
Jagd und bei sonstiger Kurzweil verspätet hatte. Auch erinnert man sich, daß
Philipp der Großmüthige durch dieses Pfvrtleiu entkam, als er den Reichstag
wider deu Willen Kaiser Karls V. verließ. Ueberall verwittert das alte reichs-
städtische Wappen, während das königl. bairische, welches nun über sämmtlichen
Thoren angebracht ist, alljährlich mit Sorgfalt erneuert wird, damit man sich
hinsichtlich des Landesherrn seit 1808 nicht irre.

Das Innere der Stadt verdankt seine architektonischen Hauptzierden ebenfalls
dem Reichthum des vierzehnten bis siebzehnten Jahrhunderts; denn stand die
Stadt während deö dreißigjährigen Krieges und in den spätern Verwicklungen
auch manche Noth ans, so hatte sie doch immer noch Silberbarren genug, , um
dem jedesmaligen Sieger einen leidlichen Frieden abzukaufen und noch ein Be¬
trächtliches aus dem Schiffbruch zu retten.

Der Dom, in welchem Kaiser Karl V. seinen pomphaften Einzug hielt, der
eine Zeitlang protestantisch war nud jetzt wieder katholisch ist, soll ans dem alten
römischen Forum stehen. Derselbe hat in seinem westlichen Theile einen Kern,
welcher ins elfte und zehnte Jahrhundert hinaufreicht. Später erfuhr dieser jedoch
so viele Ueberarbeitungen und Zusätze, daß seine ursprüngliche Gestalt, wie ein
Codex rescriptus, nur noch schwer zu erkennen ist. Nun ist das Hauptportal gegen
Süden der Art mit Statuetten von Patriarchen nud Propheten bedeckt, daß es
wie ein Meeresfelsen aussieht, auf dem sich eine Schar Zugvögel auf seiner
Wanderung niederließ. Rechts und links die zwölf Apostel mit ihren Wappen- >


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Hof, sondern saßt die großartigen Monumente einer inhaltreichen Vergangenheit
ins Auge. Dann entfaltet sich der mittelalterliche Unternehmungsgeist und Reich-
thum, die Freiheit der Stadt, ihr Kunstsinn, die hohe Cultur, welche sie ein¬
nahm. Wir sehen Reichstage und Kaiserpracht, Bürgerstvlz und Gemeinsinn;
wir stehen ans dem Boden der Fugger, Pcutiuger und Schertliu, der Holl und
Holbein.

Schon die Stadtmauer, die Walle und Basteien, Gräben und Thore bilden
einen historischen Leitfaden. Wir finden ,noch Zinnen und Thürme ans dem
vierzehnten Jahrhundert, wir unterscheiden die schon mehr auf grobes Geschütz
gefaßte Bauart des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts und die Thore,
Schießscharten, Zwinger und Wälle, welche die Hessen im Dienste des Stadtraths
kurz vor und während des dreißigjährigen Kriegs bauten. Die Befestigmigen
des Lug-ins-Land stiegen während des spanischen Erbfolgekriegö empor, indem
ein abgeschnittenes Corps Franzosen sich hier zu halten suchte; und die Schanzen,
welche Napoleon zum Schutze seines Hauptlazarethö in Süddeutschland aufwerfen
ließ, siud auch eines Spaziergangs werth. — Am Alten.Einlaß wird dem Fremden
vom fröhlichen Aufenthalte des Kaisers Maximilian erzählt, indem hier eine kleine
Zugbrücke den „Bürgermeister von Augsburg" noch nach Thorschluß, welchen
selbst die Majestät respecttreu mußte, in die Stadt einließ, wenn er sich auf der
Jagd und bei sonstiger Kurzweil verspätet hatte. Auch erinnert man sich, daß
Philipp der Großmüthige durch dieses Pfvrtleiu entkam, als er den Reichstag
wider deu Willen Kaiser Karls V. verließ. Ueberall verwittert das alte reichs-
städtische Wappen, während das königl. bairische, welches nun über sämmtlichen
Thoren angebracht ist, alljährlich mit Sorgfalt erneuert wird, damit man sich
hinsichtlich des Landesherrn seit 1808 nicht irre.

Das Innere der Stadt verdankt seine architektonischen Hauptzierden ebenfalls
dem Reichthum des vierzehnten bis siebzehnten Jahrhunderts; denn stand die
Stadt während deö dreißigjährigen Krieges und in den spätern Verwicklungen
auch manche Noth ans, so hatte sie doch immer noch Silberbarren genug, , um
dem jedesmaligen Sieger einen leidlichen Frieden abzukaufen und noch ein Be¬
trächtliches aus dem Schiffbruch zu retten.

Der Dom, in welchem Kaiser Karl V. seinen pomphaften Einzug hielt, der
eine Zeitlang protestantisch war nud jetzt wieder katholisch ist, soll ans dem alten
römischen Forum stehen. Derselbe hat in seinem westlichen Theile einen Kern,
welcher ins elfte und zehnte Jahrhundert hinaufreicht. Später erfuhr dieser jedoch
so viele Ueberarbeitungen und Zusätze, daß seine ursprüngliche Gestalt, wie ein
Codex rescriptus, nur noch schwer zu erkennen ist. Nun ist das Hauptportal gegen
Süden der Art mit Statuetten von Patriarchen nud Propheten bedeckt, daß es
wie ein Meeresfelsen aussieht, auf dem sich eine Schar Zugvögel auf seiner
Wanderung niederließ. Rechts und links die zwölf Apostel mit ihren Wappen- >


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/497>, abgerufen am 16.06.2024.