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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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gischen Schlages gegen HM Pascha, wieder umkehren, oder größere Offensiv-
vperationen damit einleiten wollen.

Darf man das letztere annehmen, so ist es interessant, sich über den Zusam¬
menhang klar zu werden, in welchem diese Operationen zu dem Zweck des Krieges
selbst stehen. Mit dem Uebergange hat Nußland vorerst erklärt, daß es den
Krieg auf die andere Donauseite hinüberspielen will, was aber beabsichtigt seine
Strategie, sobald dieses Resultat erreicht ist? Man darf unter keinen Umständen
voraussetzen, daß Fürst Paökewitsch oder wer sonst die russischen Streitkräfte be¬
fehligt, es in seinem Interesse halte, die Ankunft der britisch-französischen Hilfs¬
armee in einer Stellung mit dem Rücken an die Donau lehnend, >zu erwarten.
Wenn auch von Seiten der russischen Heeresführnng bislang Fehler begangen
worden sind, so berechtigt gleichwol nichts zu der Annahme, daß sie absichtlich und
in einem kritischen Momente, wo neue Streitmassen gegen sie zu lasten beginnen,
sich in eine bedrohte Situation und in deren Hintergründe die Möglichkeit einer
großen Katastrophe liegt, bringen werde. Dem entgegen muß man vielmehr zu
dem Schluß kommen, daß dem Uebergange und den ihm nachfolgenden Opera¬
tionen die Absicht zu Grunde liegt, die Lage zu verbessern, ehe jene Nerstärkuu-
geu auf feindlicher Seite bei den zu erwartenden Entscheidungen mitzuwiegeu
vermögen.

Im großartigsten Sinne gefaßt wäre diese Verbesserung in der Delogirnng
der türkischen Armee ans der Bulgarei, in ihrer Rückwerfnng hinter den Balkan
und in der Besitznahme der Defileen dieses großen und schwer zu passircnden
Scheidegebirges zu suchen. Durch das letztere gewännen die Russen eine neue
vorgeschobene Basis, der Krieg, anstatt in Bulgarien und in der Walachei geführt
zu werden, würde nach Rumelien hinübergespielt, die französischen und eng¬
lischen Armeen aber blieben in die Nähe von Konstantinopel gebannt, und könn¬
ten ohne Gefahr für diesen entscheidenden Punkt nicht daraus entfernt, am min¬
desten aber zu Flankenoperationen an der bulgarischen oder russischen Küste ver¬
wendet werden. Sollten letztere unternommen werden, so würden sie ein neues
abgesondertes Heer erheischen.

Aber so weit -- das sieht jedermann ein -- wird Nußland eine große,
entscheidnngsreichc Schlacht nicht vorgreifen lassen. Die Besitznahme eines so
weiten Kriegsranmes wie die Bulgarei ist nicht die Sache von Tagen und Wochen,
sondern von Monaten, und letztere liegen zwischen dem gegenwärtigen Augenblick
und der Ankunft der cvnibinirten Armeen nicht mehr mitten inne.

Aber dem russischen Feldherrn bietet sich noch ein anderer Operationsplan
dar, welcher minder umfassend ist, und demnach in kürzerer Zeit ausgeführt wer¬
den könnte. Untersuchen wir, wie weit seine Realisirung im Bereich des Mög¬
lichen liegt.

Es ist-alles dem Laien im Kriegswesen klar, daß es für die Streitkräfte


gischen Schlages gegen HM Pascha, wieder umkehren, oder größere Offensiv-
vperationen damit einleiten wollen.

Darf man das letztere annehmen, so ist es interessant, sich über den Zusam¬
menhang klar zu werden, in welchem diese Operationen zu dem Zweck des Krieges
selbst stehen. Mit dem Uebergange hat Nußland vorerst erklärt, daß es den
Krieg auf die andere Donauseite hinüberspielen will, was aber beabsichtigt seine
Strategie, sobald dieses Resultat erreicht ist? Man darf unter keinen Umständen
voraussetzen, daß Fürst Paökewitsch oder wer sonst die russischen Streitkräfte be¬
fehligt, es in seinem Interesse halte, die Ankunft der britisch-französischen Hilfs¬
armee in einer Stellung mit dem Rücken an die Donau lehnend, >zu erwarten.
Wenn auch von Seiten der russischen Heeresführnng bislang Fehler begangen
worden sind, so berechtigt gleichwol nichts zu der Annahme, daß sie absichtlich und
in einem kritischen Momente, wo neue Streitmassen gegen sie zu lasten beginnen,
sich in eine bedrohte Situation und in deren Hintergründe die Möglichkeit einer
großen Katastrophe liegt, bringen werde. Dem entgegen muß man vielmehr zu
dem Schluß kommen, daß dem Uebergange und den ihm nachfolgenden Opera¬
tionen die Absicht zu Grunde liegt, die Lage zu verbessern, ehe jene Nerstärkuu-
geu auf feindlicher Seite bei den zu erwartenden Entscheidungen mitzuwiegeu
vermögen.

Im großartigsten Sinne gefaßt wäre diese Verbesserung in der Delogirnng
der türkischen Armee ans der Bulgarei, in ihrer Rückwerfnng hinter den Balkan
und in der Besitznahme der Defileen dieses großen und schwer zu passircnden
Scheidegebirges zu suchen. Durch das letztere gewännen die Russen eine neue
vorgeschobene Basis, der Krieg, anstatt in Bulgarien und in der Walachei geführt
zu werden, würde nach Rumelien hinübergespielt, die französischen und eng¬
lischen Armeen aber blieben in die Nähe von Konstantinopel gebannt, und könn¬
ten ohne Gefahr für diesen entscheidenden Punkt nicht daraus entfernt, am min¬
desten aber zu Flankenoperationen an der bulgarischen oder russischen Küste ver¬
wendet werden. Sollten letztere unternommen werden, so würden sie ein neues
abgesondertes Heer erheischen.

Aber so weit — das sieht jedermann ein — wird Nußland eine große,
entscheidnngsreichc Schlacht nicht vorgreifen lassen. Die Besitznahme eines so
weiten Kriegsranmes wie die Bulgarei ist nicht die Sache von Tagen und Wochen,
sondern von Monaten, und letztere liegen zwischen dem gegenwärtigen Augenblick
und der Ankunft der cvnibinirten Armeen nicht mehr mitten inne.

Aber dem russischen Feldherrn bietet sich noch ein anderer Operationsplan
dar, welcher minder umfassend ist, und demnach in kürzerer Zeit ausgeführt wer¬
den könnte. Untersuchen wir, wie weit seine Realisirung im Bereich des Mög¬
lichen liegt.

Es ist-alles dem Laien im Kriegswesen klar, daß es für die Streitkräfte


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[0138] gischen Schlages gegen HM Pascha, wieder umkehren, oder größere Offensiv- vperationen damit einleiten wollen. Darf man das letztere annehmen, so ist es interessant, sich über den Zusam¬ menhang klar zu werden, in welchem diese Operationen zu dem Zweck des Krieges selbst stehen. Mit dem Uebergange hat Nußland vorerst erklärt, daß es den Krieg auf die andere Donauseite hinüberspielen will, was aber beabsichtigt seine Strategie, sobald dieses Resultat erreicht ist? Man darf unter keinen Umständen voraussetzen, daß Fürst Paökewitsch oder wer sonst die russischen Streitkräfte be¬ fehligt, es in seinem Interesse halte, die Ankunft der britisch-französischen Hilfs¬ armee in einer Stellung mit dem Rücken an die Donau lehnend, >zu erwarten. Wenn auch von Seiten der russischen Heeresführnng bislang Fehler begangen worden sind, so berechtigt gleichwol nichts zu der Annahme, daß sie absichtlich und in einem kritischen Momente, wo neue Streitmassen gegen sie zu lasten beginnen, sich in eine bedrohte Situation und in deren Hintergründe die Möglichkeit einer großen Katastrophe liegt, bringen werde. Dem entgegen muß man vielmehr zu dem Schluß kommen, daß dem Uebergange und den ihm nachfolgenden Opera¬ tionen die Absicht zu Grunde liegt, die Lage zu verbessern, ehe jene Nerstärkuu- geu auf feindlicher Seite bei den zu erwartenden Entscheidungen mitzuwiegeu vermögen. Im großartigsten Sinne gefaßt wäre diese Verbesserung in der Delogirnng der türkischen Armee ans der Bulgarei, in ihrer Rückwerfnng hinter den Balkan und in der Besitznahme der Defileen dieses großen und schwer zu passircnden Scheidegebirges zu suchen. Durch das letztere gewännen die Russen eine neue vorgeschobene Basis, der Krieg, anstatt in Bulgarien und in der Walachei geführt zu werden, würde nach Rumelien hinübergespielt, die französischen und eng¬ lischen Armeen aber blieben in die Nähe von Konstantinopel gebannt, und könn¬ ten ohne Gefahr für diesen entscheidenden Punkt nicht daraus entfernt, am min¬ desten aber zu Flankenoperationen an der bulgarischen oder russischen Küste ver¬ wendet werden. Sollten letztere unternommen werden, so würden sie ein neues abgesondertes Heer erheischen. Aber so weit — das sieht jedermann ein — wird Nußland eine große, entscheidnngsreichc Schlacht nicht vorgreifen lassen. Die Besitznahme eines so weiten Kriegsranmes wie die Bulgarei ist nicht die Sache von Tagen und Wochen, sondern von Monaten, und letztere liegen zwischen dem gegenwärtigen Augenblick und der Ankunft der cvnibinirten Armeen nicht mehr mitten inne. Aber dem russischen Feldherrn bietet sich noch ein anderer Operationsplan dar, welcher minder umfassend ist, und demnach in kürzerer Zeit ausgeführt wer¬ den könnte. Untersuchen wir, wie weit seine Realisirung im Bereich des Mög¬ lichen liegt. Es ist-alles dem Laien im Kriegswesen klar, daß es für die Streitkräfte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/137>, abgerufen am 19.05.2024.