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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Englands und Frankeichs zum Kriegsschauplatze von Konstantinopel oder dessen
Umgegend ans zwei Wege gibt, der eine zu Lande über den Balkan hinweg und
der andere zur See, die Küste des Pontus entlang, wo Varna schließlich der
beste Ansschiffuugöpuukt ist. Ersterer ist beschwerlich, und es mag Monate, zum
wenigsten Wochen bedürfen, um ihn zurückzulegen, der andere, hat keine Schwie¬
rigkeiten und ist vou einem Convoy in zwei Tagen zu machen. Ohne Frage ist
er also der vorteilhafteste und derjenige, den, allen Voraussetzungen nach, die
englisch-ftanzöstsche Armeeführnng einzuschlagen wünscht, den also Rußland das In¬
teresse hat, ihr zu versperren. Man fragt hiegegen: "wie ist das möglich? haben
nicht die Seestreitkräfte Englands und Frankreichs zur Zeit die Herrschaft über das
schwarze Meer?" Letztere Thatsache steht allerdings unbestritten fest, aber es
würde nichtsdestoweniger eine Erwägung erheischen, ob der kürzere Weg ein¬
geschlagen werde" könne, wenn die Russen sich 'des gauzen Littorals zwischen den
Donaumünduugeu und Cap Emire bemächtigt, mit andern Worten die Lan-
dungspuukle in Besitz genommen und sich zwischen die Armee Omer Paschas und
die zu debarquirendeu französisch-englischen Truppen mitten inne geschoben hätten.

Der Gedankengang dieses Planes ist gewiß ganz logisch. Man kauu eben¬
sowenig leugnen, daß das Resultat, welches durch denselben erreicht werden würde,
nämlich die Verweisung der combinirten Armeen auf den Landweg, von äußerster
Bedeutung ist, und ein reeller Zeitgewinn auch dann noch erzielt wird, wenn die
britisch-französischen Heere 1'el Burgas landen, also die schwierige Passage ab¬
kürzen sollten; allein -- und dies ist entscheidend! -- auch dieser Entwurf kauu
in de.r kurz zugemessenen Zeit nicht ausgeführt werden. Um die Verbündeten zu
verhindern, ihre Streitkräfte in Varna ans Land zu setzen, müssen vor alleu
Dingen die Russen diesen Hafenplatz erobert und in festen Besitz genommen haben,
was in Erwägung der gegenwärtigen Befestigung desselben viel schwieriger noch
sein wird, als im Jahre 1828. England und Frankreich aber werden dort ihre'
Truppen zur Stelle haben, bevor vierzehn Tage vergehen. >

Bei so bewandten Dingen ist kaum eine andere Annahme statthaft, als daß
der russische Feldherr sich der Kara-Su-Linie bemächtigen, d. h. seinen linken, den
Stromlauf der Donau in vielen Biegungen entlang gehende" Flügel auf eine kür¬
zere und vorgeschobeiiere, außerdem mit dem Rest der Front im Alignement
liegende Linie übertragen und dadurch den doppelten Vortheil gewinnen will, den
einen Fuß auf dem rechten Donaunfer zu behalten und gleichzeitig seine linke
Flanke zu wahren, welche anderen Falles, aus der Strombieguug von Matschin
her, durch einen diesseitigen Uebergang der Alliirten gefaßt werden würde, ja noch
mehr! auf welchem Punkte die Verbindung mit Rußland durch el" Ueberschreiten
des Stroms sogar aufgehoben werden könnte.

Mit anderen Worten: meiner Ansicht nach wird der russische Armeeführer
seine Operationen in Eile bis Bvghaskoj und Kustcndschc vorzutreiben suchen und


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Englands und Frankeichs zum Kriegsschauplatze von Konstantinopel oder dessen
Umgegend ans zwei Wege gibt, der eine zu Lande über den Balkan hinweg und
der andere zur See, die Küste des Pontus entlang, wo Varna schließlich der
beste Ansschiffuugöpuukt ist. Ersterer ist beschwerlich, und es mag Monate, zum
wenigsten Wochen bedürfen, um ihn zurückzulegen, der andere, hat keine Schwie¬
rigkeiten und ist vou einem Convoy in zwei Tagen zu machen. Ohne Frage ist
er also der vorteilhafteste und derjenige, den, allen Voraussetzungen nach, die
englisch-ftanzöstsche Armeeführnng einzuschlagen wünscht, den also Rußland das In¬
teresse hat, ihr zu versperren. Man fragt hiegegen: „wie ist das möglich? haben
nicht die Seestreitkräfte Englands und Frankreichs zur Zeit die Herrschaft über das
schwarze Meer?" Letztere Thatsache steht allerdings unbestritten fest, aber es
würde nichtsdestoweniger eine Erwägung erheischen, ob der kürzere Weg ein¬
geschlagen werde» könne, wenn die Russen sich 'des gauzen Littorals zwischen den
Donaumünduugeu und Cap Emire bemächtigt, mit andern Worten die Lan-
dungspuukle in Besitz genommen und sich zwischen die Armee Omer Paschas und
die zu debarquirendeu französisch-englischen Truppen mitten inne geschoben hätten.

Der Gedankengang dieses Planes ist gewiß ganz logisch. Man kauu eben¬
sowenig leugnen, daß das Resultat, welches durch denselben erreicht werden würde,
nämlich die Verweisung der combinirten Armeen auf den Landweg, von äußerster
Bedeutung ist, und ein reeller Zeitgewinn auch dann noch erzielt wird, wenn die
britisch-französischen Heere 1'el Burgas landen, also die schwierige Passage ab¬
kürzen sollten; allein — und dies ist entscheidend! — auch dieser Entwurf kauu
in de.r kurz zugemessenen Zeit nicht ausgeführt werden. Um die Verbündeten zu
verhindern, ihre Streitkräfte in Varna ans Land zu setzen, müssen vor alleu
Dingen die Russen diesen Hafenplatz erobert und in festen Besitz genommen haben,
was in Erwägung der gegenwärtigen Befestigung desselben viel schwieriger noch
sein wird, als im Jahre 1828. England und Frankreich aber werden dort ihre'
Truppen zur Stelle haben, bevor vierzehn Tage vergehen. >

Bei so bewandten Dingen ist kaum eine andere Annahme statthaft, als daß
der russische Feldherr sich der Kara-Su-Linie bemächtigen, d. h. seinen linken, den
Stromlauf der Donau in vielen Biegungen entlang gehende» Flügel auf eine kür¬
zere und vorgeschobeiiere, außerdem mit dem Rest der Front im Alignement
liegende Linie übertragen und dadurch den doppelten Vortheil gewinnen will, den
einen Fuß auf dem rechten Donaunfer zu behalten und gleichzeitig seine linke
Flanke zu wahren, welche anderen Falles, aus der Strombieguug von Matschin
her, durch einen diesseitigen Uebergang der Alliirten gefaßt werden würde, ja noch
mehr! auf welchem Punkte die Verbindung mit Rußland durch el» Ueberschreiten
des Stroms sogar aufgehoben werden könnte.

Mit anderen Worten: meiner Ansicht nach wird der russische Armeeführer
seine Operationen in Eile bis Bvghaskoj und Kustcndschc vorzutreiben suchen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/138>, abgerufen am 10.06.2024.