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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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leistung in Stockholm begab er sich nach den südlichen Provinzen. Ms er in
Helsingborg, am Ufer des Sundes, angekommen war, wo er seinen Bruder,
den Herzog von Augustenburg traf, erneuerten sich seine Schmerzen im Kopf
und Eingeweiden, welche seit seinem Eintritt in Schweden sich eingestellt hatten.
Plötzlich, am 28. Mai 18-10, während einer Revue, wurde er von einem
Schwindel ergriffen, stürzte vom Pferde und war einige Augenblicke nachher
todt. Man sprach allgemein von einer Vergiftung, die Norweger versicherten,
daß der Prinz bis zu seiner Ankunft in Schweden vollkommen gesund gewesen,
daß man ihm aber zu Anfang der Reise bei einer Mahlzeit ein langsam wir¬
kendes Gift gegeben. Placate in Stockholm riefen das Volk zur Rache auf;
sie bezeichneten als die Mörder "den Mann mit den Sternen" (Fersen) und
die "böse Gräfin" (.Fersens Schwester, die Gräfin Piper). Am 20. Juni,
bei dem Leichenbegängnis! des Prinzen in Stockholm, wurde Fersen von der
wüthenden Menge verfolgt, geplündert und nackt aus dem Fenster eines Hauses,
in das er sich geflüchtet, gestürzt und in Stücke zerrissen. Seine Schwester
entfloh auf einem Boote. Noch heute ruht auf dem Tode des Kronprinzen
ein Schleier; damals erblickte die öffentliche Meinung in diesem Ereigniß das
Resultat eines dänisch-russischen Complots, das von den Fersen und den
Häuptern der Aristokratie ausgeführt wurde. Dänemark fürchtete Norwegen
an Schweden zu verlieren. Kaiser Alexander von Nußland interessirte sich für
seinen Neffen, den Sohn Gustav IV. und die Eroberung Finnlands machte
ihm die Nachbarschaft einer constitutionellen Negierung noch widerwärtiger. Mit
ihm standen die Häupter der schwedischen Aristokratie in fortwährender Ver¬
bindung: Armfelt, der "schwedische Alcibiades", der schließlich in russische
Dienste trat, befand sich grade damals in Petersburg, um Alexander zu ver¬
anlassen, das Haus Wasa, nöthigenfalls durch Waffengewalt, wiederherzustellen.
Sogar der schwache König Karl XIII. scheint der durch die Aristokratie an¬
gezettelten Verschwörung nicht fremd gewesen zu sein, er hoffte durch dieselbe
die Verfassung von -1809 zu stürzen. Unter diesen Umständen stieg der Haß
des schwedischen Volkes gegen Rußland.

Es kam nun darauf an, einen neuen Kronprinzen zu wählen. Die Re¬
gierungspartei, Adlersparre an der Spitze, schlug den Bruder des verstorbenen
Kronprinzen, den Herzog von Augustenburg, vor und der König war damit
einverstanden. Es war jedoch zweifelhaft, ob der Herzog annehmen würde, denn sein
Souverain, der König Friedrich VI. von Dänemark, trat selbst als Bewerber auf,
er wollte die dreifache Krone des Nordens auf seinem Haupte vereinigen. Auch
russische Prätendenten traten auf, der Herzog von Meklenburg - Schwerin
und der Herzog von Oldenburg, ein Verwandter des Zaren; sie fanden aber,
obgleich man als Preis der Wahl die Rückgabe Finnlands versprach, zu wenig
Sympathie in der Nation. Es war den Schweden vor allem daran gelegen,


leistung in Stockholm begab er sich nach den südlichen Provinzen. Ms er in
Helsingborg, am Ufer des Sundes, angekommen war, wo er seinen Bruder,
den Herzog von Augustenburg traf, erneuerten sich seine Schmerzen im Kopf
und Eingeweiden, welche seit seinem Eintritt in Schweden sich eingestellt hatten.
Plötzlich, am 28. Mai 18-10, während einer Revue, wurde er von einem
Schwindel ergriffen, stürzte vom Pferde und war einige Augenblicke nachher
todt. Man sprach allgemein von einer Vergiftung, die Norweger versicherten,
daß der Prinz bis zu seiner Ankunft in Schweden vollkommen gesund gewesen,
daß man ihm aber zu Anfang der Reise bei einer Mahlzeit ein langsam wir¬
kendes Gift gegeben. Placate in Stockholm riefen das Volk zur Rache auf;
sie bezeichneten als die Mörder „den Mann mit den Sternen" (Fersen) und
die „böse Gräfin" (.Fersens Schwester, die Gräfin Piper). Am 20. Juni,
bei dem Leichenbegängnis! des Prinzen in Stockholm, wurde Fersen von der
wüthenden Menge verfolgt, geplündert und nackt aus dem Fenster eines Hauses,
in das er sich geflüchtet, gestürzt und in Stücke zerrissen. Seine Schwester
entfloh auf einem Boote. Noch heute ruht auf dem Tode des Kronprinzen
ein Schleier; damals erblickte die öffentliche Meinung in diesem Ereigniß das
Resultat eines dänisch-russischen Complots, das von den Fersen und den
Häuptern der Aristokratie ausgeführt wurde. Dänemark fürchtete Norwegen
an Schweden zu verlieren. Kaiser Alexander von Nußland interessirte sich für
seinen Neffen, den Sohn Gustav IV. und die Eroberung Finnlands machte
ihm die Nachbarschaft einer constitutionellen Negierung noch widerwärtiger. Mit
ihm standen die Häupter der schwedischen Aristokratie in fortwährender Ver¬
bindung: Armfelt, der „schwedische Alcibiades", der schließlich in russische
Dienste trat, befand sich grade damals in Petersburg, um Alexander zu ver¬
anlassen, das Haus Wasa, nöthigenfalls durch Waffengewalt, wiederherzustellen.
Sogar der schwache König Karl XIII. scheint der durch die Aristokratie an¬
gezettelten Verschwörung nicht fremd gewesen zu sein, er hoffte durch dieselbe
die Verfassung von -1809 zu stürzen. Unter diesen Umständen stieg der Haß
des schwedischen Volkes gegen Rußland.

Es kam nun darauf an, einen neuen Kronprinzen zu wählen. Die Re¬
gierungspartei, Adlersparre an der Spitze, schlug den Bruder des verstorbenen
Kronprinzen, den Herzog von Augustenburg, vor und der König war damit
einverstanden. Es war jedoch zweifelhaft, ob der Herzog annehmen würde, denn sein
Souverain, der König Friedrich VI. von Dänemark, trat selbst als Bewerber auf,
er wollte die dreifache Krone des Nordens auf seinem Haupte vereinigen. Auch
russische Prätendenten traten auf, der Herzog von Meklenburg - Schwerin
und der Herzog von Oldenburg, ein Verwandter des Zaren; sie fanden aber,
obgleich man als Preis der Wahl die Rückgabe Finnlands versprach, zu wenig
Sympathie in der Nation. Es war den Schweden vor allem daran gelegen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/140>, abgerufen am 17.06.2024.