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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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nahe anderthalb Stunden und könnte recht füglich in ihrem Innern bei 50,000 Be¬
wohner fassen; wogegen es heute zweifelhaft ist, ob sie deren 10,000 besitzt.
Sie besteht aus einer innern und einer äußern Stadt; erstere ist nur von Musel¬
manen bewohnt und durch einen niedrigen Erdwall und Graben von letzterer
geschieden, welche sich im weiten Halbkreise um sie her lagert. Ursprünglich
mögen die Straßen strahlenförmig von der innern Stadt ausgelaufen sein und
ihren Knotenpunkt daselbst nahe am Eingang der Brücke gehabt haben, welche
aus dem Türkenquartier über die Nissawa hin nach der Citadelle oder Festung
hinüberführt. Brände indeß und ein gewisser Hang zur Unregelmäßigkeit
haben nach und nach den Bauplan gestört und zwar dermaßen, daß die Gassen
jetzt ziemlich ohne ein einigendes System quer durcheinander hinlaufen. Uebri-
gens sind sie meistens für den Verkehr ausreichend breit und verhältnißmäßig
(natürlich nach orientalischem Maßstab) sauber gehalten. Wo sie sich verengen,
was hier und dort geschieht, hat man von den Dächern der einen Seite zu
denen der andern Stangen hinübergesteckt, an denen entlang entweder wilder
Wein rankt und das ganze in eine Art Laube umwandelt, oder auf welche
man behufs der Herstellung einer Eindeckung leichte Breter gelegt hat. Zumeist
befinden sich in solchen Gegenden der Gassen die größern Verkaufsladen und
die Niederlaßpunkte der Gemüse- und Obsthändler. In der Mitte der Straße
läuft eine Gosse und zwar dacht sich der gepflasterte Weg von beiden Seiten
hin zu derselben ab; diese Einrichtung ist in den türkischen Städten und Ort¬
schaften allgemein und macht mindestens eine Gassenreinigung möglich, wenn
sie auch allenthalben mehr oder weniger unausgeführt und der Hauptsache nach
den Hunden überlassen bleibt, deren man auf den Straßen von Rissa beinahe
mehr sieht, wie auf denen von Stambul.

Die Festung öffnet nach der Stadt, der Nissawabrücke entgegen, ein ho.des
steinernes, mit mancherlei Zierrathen bedecktes Thor, welches sich sehr stattlich
ausnimmt und einen respectableren Anblick darbietet, als die sogenannte "hohe
Pforte" des Serails in Konstantinopel, nach welcher der osmanische Staat
benannt wird. Wenn man den Eingang passtrt hat, gelangt man aus einen
nur hier und da mit Häuserreihen bestandenen freien Raum, den sogenannten
Festungshof. Derselbe wird ringsum von der Böschung des Walles begrenzt,
der nach innen hin kein hohes Profil weist; nach dem Graben hin aber,
wie erwähnt, in einer außerordentlich hohen, gemauerten Escarpe sich ab¬
senkt.

, Wenn man den Wall hinansteigt und aus die Spitze einer der nordwärtigcn
Bastionen hinaustritt, ist der Anblick, welcher sich bietet, ziemlich überraschend,
zumal wenn man zuvor längere Zeit im Innern der Stadt verweilte und das
Auge sich entwöhnte, über weite Räume hinzuschweifen. Mit einem Blick
übersieht man die nördlichen Aufläufe der Stara-Planina-Kette und die hoch-


nahe anderthalb Stunden und könnte recht füglich in ihrem Innern bei 50,000 Be¬
wohner fassen; wogegen es heute zweifelhaft ist, ob sie deren 10,000 besitzt.
Sie besteht aus einer innern und einer äußern Stadt; erstere ist nur von Musel¬
manen bewohnt und durch einen niedrigen Erdwall und Graben von letzterer
geschieden, welche sich im weiten Halbkreise um sie her lagert. Ursprünglich
mögen die Straßen strahlenförmig von der innern Stadt ausgelaufen sein und
ihren Knotenpunkt daselbst nahe am Eingang der Brücke gehabt haben, welche
aus dem Türkenquartier über die Nissawa hin nach der Citadelle oder Festung
hinüberführt. Brände indeß und ein gewisser Hang zur Unregelmäßigkeit
haben nach und nach den Bauplan gestört und zwar dermaßen, daß die Gassen
jetzt ziemlich ohne ein einigendes System quer durcheinander hinlaufen. Uebri-
gens sind sie meistens für den Verkehr ausreichend breit und verhältnißmäßig
(natürlich nach orientalischem Maßstab) sauber gehalten. Wo sie sich verengen,
was hier und dort geschieht, hat man von den Dächern der einen Seite zu
denen der andern Stangen hinübergesteckt, an denen entlang entweder wilder
Wein rankt und das ganze in eine Art Laube umwandelt, oder auf welche
man behufs der Herstellung einer Eindeckung leichte Breter gelegt hat. Zumeist
befinden sich in solchen Gegenden der Gassen die größern Verkaufsladen und
die Niederlaßpunkte der Gemüse- und Obsthändler. In der Mitte der Straße
läuft eine Gosse und zwar dacht sich der gepflasterte Weg von beiden Seiten
hin zu derselben ab; diese Einrichtung ist in den türkischen Städten und Ort¬
schaften allgemein und macht mindestens eine Gassenreinigung möglich, wenn
sie auch allenthalben mehr oder weniger unausgeführt und der Hauptsache nach
den Hunden überlassen bleibt, deren man auf den Straßen von Rissa beinahe
mehr sieht, wie auf denen von Stambul.

Die Festung öffnet nach der Stadt, der Nissawabrücke entgegen, ein ho.des
steinernes, mit mancherlei Zierrathen bedecktes Thor, welches sich sehr stattlich
ausnimmt und einen respectableren Anblick darbietet, als die sogenannte „hohe
Pforte" des Serails in Konstantinopel, nach welcher der osmanische Staat
benannt wird. Wenn man den Eingang passtrt hat, gelangt man aus einen
nur hier und da mit Häuserreihen bestandenen freien Raum, den sogenannten
Festungshof. Derselbe wird ringsum von der Böschung des Walles begrenzt,
der nach innen hin kein hohes Profil weist; nach dem Graben hin aber,
wie erwähnt, in einer außerordentlich hohen, gemauerten Escarpe sich ab¬
senkt.

, Wenn man den Wall hinansteigt und aus die Spitze einer der nordwärtigcn
Bastionen hinaustritt, ist der Anblick, welcher sich bietet, ziemlich überraschend,
zumal wenn man zuvor längere Zeit im Innern der Stadt verweilte und das
Auge sich entwöhnte, über weite Räume hinzuschweifen. Mit einem Blick
übersieht man die nördlichen Aufläufe der Stara-Planina-Kette und die hoch-


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[0146] nahe anderthalb Stunden und könnte recht füglich in ihrem Innern bei 50,000 Be¬ wohner fassen; wogegen es heute zweifelhaft ist, ob sie deren 10,000 besitzt. Sie besteht aus einer innern und einer äußern Stadt; erstere ist nur von Musel¬ manen bewohnt und durch einen niedrigen Erdwall und Graben von letzterer geschieden, welche sich im weiten Halbkreise um sie her lagert. Ursprünglich mögen die Straßen strahlenförmig von der innern Stadt ausgelaufen sein und ihren Knotenpunkt daselbst nahe am Eingang der Brücke gehabt haben, welche aus dem Türkenquartier über die Nissawa hin nach der Citadelle oder Festung hinüberführt. Brände indeß und ein gewisser Hang zur Unregelmäßigkeit haben nach und nach den Bauplan gestört und zwar dermaßen, daß die Gassen jetzt ziemlich ohne ein einigendes System quer durcheinander hinlaufen. Uebri- gens sind sie meistens für den Verkehr ausreichend breit und verhältnißmäßig (natürlich nach orientalischem Maßstab) sauber gehalten. Wo sie sich verengen, was hier und dort geschieht, hat man von den Dächern der einen Seite zu denen der andern Stangen hinübergesteckt, an denen entlang entweder wilder Wein rankt und das ganze in eine Art Laube umwandelt, oder auf welche man behufs der Herstellung einer Eindeckung leichte Breter gelegt hat. Zumeist befinden sich in solchen Gegenden der Gassen die größern Verkaufsladen und die Niederlaßpunkte der Gemüse- und Obsthändler. In der Mitte der Straße läuft eine Gosse und zwar dacht sich der gepflasterte Weg von beiden Seiten hin zu derselben ab; diese Einrichtung ist in den türkischen Städten und Ort¬ schaften allgemein und macht mindestens eine Gassenreinigung möglich, wenn sie auch allenthalben mehr oder weniger unausgeführt und der Hauptsache nach den Hunden überlassen bleibt, deren man auf den Straßen von Rissa beinahe mehr sieht, wie auf denen von Stambul. Die Festung öffnet nach der Stadt, der Nissawabrücke entgegen, ein ho.des steinernes, mit mancherlei Zierrathen bedecktes Thor, welches sich sehr stattlich ausnimmt und einen respectableren Anblick darbietet, als die sogenannte „hohe Pforte" des Serails in Konstantinopel, nach welcher der osmanische Staat benannt wird. Wenn man den Eingang passtrt hat, gelangt man aus einen nur hier und da mit Häuserreihen bestandenen freien Raum, den sogenannten Festungshof. Derselbe wird ringsum von der Böschung des Walles begrenzt, der nach innen hin kein hohes Profil weist; nach dem Graben hin aber, wie erwähnt, in einer außerordentlich hohen, gemauerten Escarpe sich ab¬ senkt. , Wenn man den Wall hinansteigt und aus die Spitze einer der nordwärtigcn Bastionen hinaustritt, ist der Anblick, welcher sich bietet, ziemlich überraschend, zumal wenn man zuvor längere Zeit im Innern der Stadt verweilte und das Auge sich entwöhnte, über weite Räume hinzuschweifen. Mit einem Blick übersieht man die nördlichen Aufläufe der Stara-Planina-Kette und die hoch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/146>, abgerufen am 13.05.2024.