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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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ragenden Häupter jenes Labyrinths von Bergzügen, welches sich zwischen Rissa
und Widdin eindrängt. Zur Zeit, wo ich die Gegend musterte -- es war in
der ersten Hälfte des November -- waren die meisten Höhen schon mit Schnee
bedeckt, aber seltsamerweise reichte diese weiße Region nicht bis zur äußersten
Spitze hinan und ließ hoch oben zumeist eine schwarze Kappe frei. Nach
dem untern Hange zu verlor sich der Schnee in dem Dunkel des Waldwuchses.
Hier, inmitten dieser sehtüchtiger, zerrissenen Felsenketten und weiter westwärts,
in den Gebirgen / die sich nach der save und dem adriatischen Meere zuziehen,
hatte die alte serbische Geschichte ihren Boden. Es sind dies die "sensenförmig
aufsteigenden Höhen", deren unser Leopold Ranke in seiner "Geschichte der
serbischen Revolution" gedenkt -- "das bunte Waldgebirg, wie es die Lieder
bezeichnen -- wo das Dunkel der Waldung von weißen Felsen oder von lang¬
liegendem Schnee unterbrochen wird, hatten die Serben von jeher inne und
wohnten von da längs der Drina und Bosra, nach der save, längs den
beiden Morawas nach der Donau hinunter, südlich bis in das obere Make¬
donien; sie bevölkerten die Küsten des adriatischen Meeres. Sie lebten seit
Jahrhunderten unter ihren Schupanen und nettesten, ohne von den Bewegungen
der welthistorischen Völker ernstlich berührt zu werden."

Die Serben sind ein Volksstamm, der im Unterschied von den Bevölke¬
rungen, die ihn umringen, in neuerer Zeit mancherlei geleistet hat, dem es
gelungen ist, unter türkischer Oberhoheit und russischem Schutze, oder besser zu
sagen unter der Einwirkung eines Druckes und Gegendruckes, von dem er
sich eingepreßt fand, einen Staat zu gründen, welcher mindestens unter mancher¬
lei Versuchen ähnlicher Art, die in dieser Weltgegend gemacht wurden, als
der gelungenste angesehen werden kann. In den letzten Jahren hat Oestreich
seine Hand als eine dritte leitende Schutzmacht in die serbischen Angelegen¬
heiten hineingesteckt, offenbar in der Absicht, im voraus auf diesem Terrain
seinen Einfluß festzustellen, welches ihm dereinst zur Brücke dienen dürfte, um
nach den Küsten des Archipelagus zu gelangen. Unter der Einwirkung dieser
dreifachen, auswärtigen Einmischung haben sich im Lande drei Parteien formirt,
von denen die russische, von entschieden antinationaler Färbung, gleichwol einen
mächtigen Anhang unter den serbischen Bauern hat, während die östreichische,
wenn ich recht unterrichtet bin, ihre Stütze in dem freilich erst im Entstehen be¬
griffenen Bürgerstande, dessen Kernmitte die Handelsbourgeoisie von Belgrad aus¬
macht, findet und schließlich geht ein großer Theil des Adels von der, wie mir
scheinen will, ganz richtigen Ansicht aus, daß die nationalen serbischen Inder
essen in jetziger Zeit noch am besten dach eine Fortdauer des Obrigkeits¬
verhältnisses der Pforte unterstützt und in ihrer Fortentwicklung begünstigt
werden.

Bei den Türken fand ich, vielleicht auf Grund der erwähnten, zu Rußland


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ragenden Häupter jenes Labyrinths von Bergzügen, welches sich zwischen Rissa
und Widdin eindrängt. Zur Zeit, wo ich die Gegend musterte — es war in
der ersten Hälfte des November — waren die meisten Höhen schon mit Schnee
bedeckt, aber seltsamerweise reichte diese weiße Region nicht bis zur äußersten
Spitze hinan und ließ hoch oben zumeist eine schwarze Kappe frei. Nach
dem untern Hange zu verlor sich der Schnee in dem Dunkel des Waldwuchses.
Hier, inmitten dieser sehtüchtiger, zerrissenen Felsenketten und weiter westwärts,
in den Gebirgen / die sich nach der save und dem adriatischen Meere zuziehen,
hatte die alte serbische Geschichte ihren Boden. Es sind dies die „sensenförmig
aufsteigenden Höhen", deren unser Leopold Ranke in seiner „Geschichte der
serbischen Revolution" gedenkt — „das bunte Waldgebirg, wie es die Lieder
bezeichnen — wo das Dunkel der Waldung von weißen Felsen oder von lang¬
liegendem Schnee unterbrochen wird, hatten die Serben von jeher inne und
wohnten von da längs der Drina und Bosra, nach der save, längs den
beiden Morawas nach der Donau hinunter, südlich bis in das obere Make¬
donien; sie bevölkerten die Küsten des adriatischen Meeres. Sie lebten seit
Jahrhunderten unter ihren Schupanen und nettesten, ohne von den Bewegungen
der welthistorischen Völker ernstlich berührt zu werden."

Die Serben sind ein Volksstamm, der im Unterschied von den Bevölke¬
rungen, die ihn umringen, in neuerer Zeit mancherlei geleistet hat, dem es
gelungen ist, unter türkischer Oberhoheit und russischem Schutze, oder besser zu
sagen unter der Einwirkung eines Druckes und Gegendruckes, von dem er
sich eingepreßt fand, einen Staat zu gründen, welcher mindestens unter mancher¬
lei Versuchen ähnlicher Art, die in dieser Weltgegend gemacht wurden, als
der gelungenste angesehen werden kann. In den letzten Jahren hat Oestreich
seine Hand als eine dritte leitende Schutzmacht in die serbischen Angelegen¬
heiten hineingesteckt, offenbar in der Absicht, im voraus auf diesem Terrain
seinen Einfluß festzustellen, welches ihm dereinst zur Brücke dienen dürfte, um
nach den Küsten des Archipelagus zu gelangen. Unter der Einwirkung dieser
dreifachen, auswärtigen Einmischung haben sich im Lande drei Parteien formirt,
von denen die russische, von entschieden antinationaler Färbung, gleichwol einen
mächtigen Anhang unter den serbischen Bauern hat, während die östreichische,
wenn ich recht unterrichtet bin, ihre Stütze in dem freilich erst im Entstehen be¬
griffenen Bürgerstande, dessen Kernmitte die Handelsbourgeoisie von Belgrad aus¬
macht, findet und schließlich geht ein großer Theil des Adels von der, wie mir
scheinen will, ganz richtigen Ansicht aus, daß die nationalen serbischen Inder
essen in jetziger Zeit noch am besten dach eine Fortdauer des Obrigkeits¬
verhältnisses der Pforte unterstützt und in ihrer Fortentwicklung begünstigt
werden.

Bei den Türken fand ich, vielleicht auf Grund der erwähnten, zu Rußland


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[0147] ragenden Häupter jenes Labyrinths von Bergzügen, welches sich zwischen Rissa und Widdin eindrängt. Zur Zeit, wo ich die Gegend musterte — es war in der ersten Hälfte des November — waren die meisten Höhen schon mit Schnee bedeckt, aber seltsamerweise reichte diese weiße Region nicht bis zur äußersten Spitze hinan und ließ hoch oben zumeist eine schwarze Kappe frei. Nach dem untern Hange zu verlor sich der Schnee in dem Dunkel des Waldwuchses. Hier, inmitten dieser sehtüchtiger, zerrissenen Felsenketten und weiter westwärts, in den Gebirgen / die sich nach der save und dem adriatischen Meere zuziehen, hatte die alte serbische Geschichte ihren Boden. Es sind dies die „sensenförmig aufsteigenden Höhen", deren unser Leopold Ranke in seiner „Geschichte der serbischen Revolution" gedenkt — „das bunte Waldgebirg, wie es die Lieder bezeichnen — wo das Dunkel der Waldung von weißen Felsen oder von lang¬ liegendem Schnee unterbrochen wird, hatten die Serben von jeher inne und wohnten von da längs der Drina und Bosra, nach der save, längs den beiden Morawas nach der Donau hinunter, südlich bis in das obere Make¬ donien; sie bevölkerten die Küsten des adriatischen Meeres. Sie lebten seit Jahrhunderten unter ihren Schupanen und nettesten, ohne von den Bewegungen der welthistorischen Völker ernstlich berührt zu werden." Die Serben sind ein Volksstamm, der im Unterschied von den Bevölke¬ rungen, die ihn umringen, in neuerer Zeit mancherlei geleistet hat, dem es gelungen ist, unter türkischer Oberhoheit und russischem Schutze, oder besser zu sagen unter der Einwirkung eines Druckes und Gegendruckes, von dem er sich eingepreßt fand, einen Staat zu gründen, welcher mindestens unter mancher¬ lei Versuchen ähnlicher Art, die in dieser Weltgegend gemacht wurden, als der gelungenste angesehen werden kann. In den letzten Jahren hat Oestreich seine Hand als eine dritte leitende Schutzmacht in die serbischen Angelegen¬ heiten hineingesteckt, offenbar in der Absicht, im voraus auf diesem Terrain seinen Einfluß festzustellen, welches ihm dereinst zur Brücke dienen dürfte, um nach den Küsten des Archipelagus zu gelangen. Unter der Einwirkung dieser dreifachen, auswärtigen Einmischung haben sich im Lande drei Parteien formirt, von denen die russische, von entschieden antinationaler Färbung, gleichwol einen mächtigen Anhang unter den serbischen Bauern hat, während die östreichische, wenn ich recht unterrichtet bin, ihre Stütze in dem freilich erst im Entstehen be¬ griffenen Bürgerstande, dessen Kernmitte die Handelsbourgeoisie von Belgrad aus¬ macht, findet und schließlich geht ein großer Theil des Adels von der, wie mir scheinen will, ganz richtigen Ansicht aus, daß die nationalen serbischen Inder essen in jetziger Zeit noch am besten dach eine Fortdauer des Obrigkeits¬ verhältnisses der Pforte unterstützt und in ihrer Fortentwicklung begünstigt werden. Bei den Türken fand ich, vielleicht auf Grund der erwähnten, zu Rußland 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/147>, abgerufen am 23.05.2024.