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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Ein zweites Räthsel des alten Pontus Eurinus beschäftigt unsre Historiker
schon lange Zeit, es ist eine der berühmten Streitfragen geworden und gleicht in
der That einem endlosen Processe, welcher aus Mangel an genügenden Beweis¬
mitteln bis ans Ende der Welt fortzudauern drohte. Es ist die Frage über den Ur¬
sprung des merkwürdigen Barbarenvolkes, welches die Hellenen an der Nordküste des
Pontus vorfanden und mit dem sie in vielfache Verbindung traten, der Skythen.
Es gibt wenig Völkerfamilien, mit denen man dies Volk nicht in ein Ver¬
wandtschaftsverhältniß gesetzt hat. In neuester Zeit hat die Ansicht, daß sie
dem germanischen Stamm angehörten, vielen Beifall gefunden. Diese Ansicht
nun, gedeckt durch die berühmten Namen von I. Grimm und Humboldt, wird
glänzend und wie es d/Bl. scheint, entscheidend widerlegt durch Neumanns Be¬
weis, daß die Scythen, wie schon Niebuhr annahm, zur mongolischen Race
gehört haben. Die ausführliche Untersuchung darüber ist ein Muster von vor¬
sichtiger und gründlicher Deduction.

Darauf folgt in dem Werke eine kritische Betrachtung der Lage, der Be¬
schaffenheit und Geschichte der griechischen Ansiedlungen, worin die Abschnitte
Cheronnesos und Pantikapaion (Sebastopol und Kertsch) am ausführlichsten
sind. Mit Glück unternimmt der Verfasser eine Charakteristik dieser Kolonien,
welche je nach dem Charakter der Ansiedler, der Lage und dem Boden die ver¬
schiedenartigste Verbindung hellenischen Lebens mit dem localen Barbcirenthum
darstellen, von der abschließenden Reinheit der dorischen Art ab bis zu der
phantastischen Vermischung ionischer Beweglichkeit mit fremdländischer Sitte.

Der zweite Band soll die Handelsverhältnisse der politischen Colonien zur
Zeit ihrer Blüte, die Geschichte der Kolonie Olbia und dabei die Völkerbewe-
gungen der Barbaren, welche den ersten Anstoß zum Verfall der griechischen
Colonien gaben und zuletzt die Geschichte des bosporanischen Reichs bis zum
Untergange Mithradats enthalten.

Um zu sehen, wie klar der Verfasser auch zu schreiben versteht, möge der
Leser hier einer.Schilderung folgen, die Band 1. S. 2S u. f. von dem Land¬
schaftscharakter der Steppe gegeben wird, welche das Gouvernement Cherson
bildet. Denn grade diese Landschaft ist in der letzten Woche durch die Erobe¬
rung des Forts Kinbnrn der Schauplatz eines Krieges geworden, welcher nicht
weniger blutig und furchtbar ist, als die Völkermorde des Alterthums an den
schwarzen Fluten des Pontus.

Oestlich vom Dniestr liegt das Gouvernement Cherson, dessen Flächen¬
inhalt den der Provinz Pommern und der Mark Brandenburg zusammen¬
genommen übertrifft. Es bildet die höchste der südrussischen Stcppenflächen und,
zeigt nur in seinem nördlichsten Theil einige Abwechslung in der Bodenerhe¬
bung ; die letzten Hügel verlieren sich auf der Mitte des Weges von Olviopol
nach Wosnesensk. Hier im Norden finden sich auch die letzten vereinsamten


Ein zweites Räthsel des alten Pontus Eurinus beschäftigt unsre Historiker
schon lange Zeit, es ist eine der berühmten Streitfragen geworden und gleicht in
der That einem endlosen Processe, welcher aus Mangel an genügenden Beweis¬
mitteln bis ans Ende der Welt fortzudauern drohte. Es ist die Frage über den Ur¬
sprung des merkwürdigen Barbarenvolkes, welches die Hellenen an der Nordküste des
Pontus vorfanden und mit dem sie in vielfache Verbindung traten, der Skythen.
Es gibt wenig Völkerfamilien, mit denen man dies Volk nicht in ein Ver¬
wandtschaftsverhältniß gesetzt hat. In neuester Zeit hat die Ansicht, daß sie
dem germanischen Stamm angehörten, vielen Beifall gefunden. Diese Ansicht
nun, gedeckt durch die berühmten Namen von I. Grimm und Humboldt, wird
glänzend und wie es d/Bl. scheint, entscheidend widerlegt durch Neumanns Be¬
weis, daß die Scythen, wie schon Niebuhr annahm, zur mongolischen Race
gehört haben. Die ausführliche Untersuchung darüber ist ein Muster von vor¬
sichtiger und gründlicher Deduction.

Darauf folgt in dem Werke eine kritische Betrachtung der Lage, der Be¬
schaffenheit und Geschichte der griechischen Ansiedlungen, worin die Abschnitte
Cheronnesos und Pantikapaion (Sebastopol und Kertsch) am ausführlichsten
sind. Mit Glück unternimmt der Verfasser eine Charakteristik dieser Kolonien,
welche je nach dem Charakter der Ansiedler, der Lage und dem Boden die ver¬
schiedenartigste Verbindung hellenischen Lebens mit dem localen Barbcirenthum
darstellen, von der abschließenden Reinheit der dorischen Art ab bis zu der
phantastischen Vermischung ionischer Beweglichkeit mit fremdländischer Sitte.

Der zweite Band soll die Handelsverhältnisse der politischen Colonien zur
Zeit ihrer Blüte, die Geschichte der Kolonie Olbia und dabei die Völkerbewe-
gungen der Barbaren, welche den ersten Anstoß zum Verfall der griechischen
Colonien gaben und zuletzt die Geschichte des bosporanischen Reichs bis zum
Untergange Mithradats enthalten.

Um zu sehen, wie klar der Verfasser auch zu schreiben versteht, möge der
Leser hier einer.Schilderung folgen, die Band 1. S. 2S u. f. von dem Land¬
schaftscharakter der Steppe gegeben wird, welche das Gouvernement Cherson
bildet. Denn grade diese Landschaft ist in der letzten Woche durch die Erobe¬
rung des Forts Kinbnrn der Schauplatz eines Krieges geworden, welcher nicht
weniger blutig und furchtbar ist, als die Völkermorde des Alterthums an den
schwarzen Fluten des Pontus.

Oestlich vom Dniestr liegt das Gouvernement Cherson, dessen Flächen¬
inhalt den der Provinz Pommern und der Mark Brandenburg zusammen¬
genommen übertrifft. Es bildet die höchste der südrussischen Stcppenflächen und,
zeigt nur in seinem nördlichsten Theil einige Abwechslung in der Bodenerhe¬
bung ; die letzten Hügel verlieren sich auf der Mitte des Weges von Olviopol
nach Wosnesensk. Hier im Norden finden sich auch die letzten vereinsamten


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[0171] Ein zweites Räthsel des alten Pontus Eurinus beschäftigt unsre Historiker schon lange Zeit, es ist eine der berühmten Streitfragen geworden und gleicht in der That einem endlosen Processe, welcher aus Mangel an genügenden Beweis¬ mitteln bis ans Ende der Welt fortzudauern drohte. Es ist die Frage über den Ur¬ sprung des merkwürdigen Barbarenvolkes, welches die Hellenen an der Nordküste des Pontus vorfanden und mit dem sie in vielfache Verbindung traten, der Skythen. Es gibt wenig Völkerfamilien, mit denen man dies Volk nicht in ein Ver¬ wandtschaftsverhältniß gesetzt hat. In neuester Zeit hat die Ansicht, daß sie dem germanischen Stamm angehörten, vielen Beifall gefunden. Diese Ansicht nun, gedeckt durch die berühmten Namen von I. Grimm und Humboldt, wird glänzend und wie es d/Bl. scheint, entscheidend widerlegt durch Neumanns Be¬ weis, daß die Scythen, wie schon Niebuhr annahm, zur mongolischen Race gehört haben. Die ausführliche Untersuchung darüber ist ein Muster von vor¬ sichtiger und gründlicher Deduction. Darauf folgt in dem Werke eine kritische Betrachtung der Lage, der Be¬ schaffenheit und Geschichte der griechischen Ansiedlungen, worin die Abschnitte Cheronnesos und Pantikapaion (Sebastopol und Kertsch) am ausführlichsten sind. Mit Glück unternimmt der Verfasser eine Charakteristik dieser Kolonien, welche je nach dem Charakter der Ansiedler, der Lage und dem Boden die ver¬ schiedenartigste Verbindung hellenischen Lebens mit dem localen Barbcirenthum darstellen, von der abschließenden Reinheit der dorischen Art ab bis zu der phantastischen Vermischung ionischer Beweglichkeit mit fremdländischer Sitte. Der zweite Band soll die Handelsverhältnisse der politischen Colonien zur Zeit ihrer Blüte, die Geschichte der Kolonie Olbia und dabei die Völkerbewe- gungen der Barbaren, welche den ersten Anstoß zum Verfall der griechischen Colonien gaben und zuletzt die Geschichte des bosporanischen Reichs bis zum Untergange Mithradats enthalten. Um zu sehen, wie klar der Verfasser auch zu schreiben versteht, möge der Leser hier einer.Schilderung folgen, die Band 1. S. 2S u. f. von dem Land¬ schaftscharakter der Steppe gegeben wird, welche das Gouvernement Cherson bildet. Denn grade diese Landschaft ist in der letzten Woche durch die Erobe¬ rung des Forts Kinbnrn der Schauplatz eines Krieges geworden, welcher nicht weniger blutig und furchtbar ist, als die Völkermorde des Alterthums an den schwarzen Fluten des Pontus. Oestlich vom Dniestr liegt das Gouvernement Cherson, dessen Flächen¬ inhalt den der Provinz Pommern und der Mark Brandenburg zusammen¬ genommen übertrifft. Es bildet die höchste der südrussischen Stcppenflächen und, zeigt nur in seinem nördlichsten Theil einige Abwechslung in der Bodenerhe¬ bung ; die letzten Hügel verlieren sich auf der Mitte des Weges von Olviopol nach Wosnesensk. Hier im Norden finden sich auch die letzten vereinsamten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/171>, abgerufen am 28.05.2024.